Konferenz „Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit“

Die Thesen zur Konferenz

Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit: Ansätze zur Integration von Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik

Ein Diskussionsbeitrag aus dem Projekt Ansätze zur Ressourcenschonung im Kontext von Postwachstumskonzepten

Berlin, 5. November 2018

Ausgangspunkt, Problemverständnis und Vorgehensweise

Vorsorgeorientierte_Postwachstumsposition_UBA_TEXTE_CoverIn Deutschland besteht auf wissenschaftlicher und politischer Ebene ein weitgehender Konsens darüber, dass ökologische Belastungsgrenzen (planetary boundaries) auf Dauer eingehalten werden sollen. Mit dem 1 ,5-Grad- bzw. 2-Grad-Ziel wurde ein zentrales klimapolitisches Ziel im Pariser Abkommen auch international festgeschrieben. Nimmt man diese Ziele ernst, so ist eine fundamentale Veränderung der Wirtschaftsweise innerhalb einer Zeitspanne von wenigen Jahrzehnten notwendig. Der bisherigen Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik ist es bislang bei Weitem nicht gelungen, eine hinreichend starke Reduktion der ökologischen Belastungen zu erreichen. Wie gen au die grundsätzlich konsensualen Ziele erreicht werden sollten, wird sowohl im wissenschaftlichen als auch im politischen Bereich kontrovers diskutiert. Besonders umstritten erscheint dabei die Frage nach der Relevanz der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. des Wirtschaftswachstums für die Erreichung umweltpolitischer Ziele.

Mit dem Diskussionspapier „Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen – Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition“ möchten wir zum Verständnis dieser Kontroverse beitragen und konkrete Vorschläge unterbreiten. Die dort präsentierten Forschungsergebnisse stellen die Ausgangspunkte für die Diskussionen der Konferenz dar. Durch die Darstellung, Analyse und erste Bewertung zentraler Argumente und Schlussfolgerungen aus dem gesamten Spektrum der Positionen innerhalb der Wachstumsdebatte – von Green Growth über A-Growth und Postwachstum bis hin zu Degrowth – leistet das Diskussionspapier einen Beitrag dazu, diesen Diskurs zu strukturieren und für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen. Ebenso haben wir relevante Bezüge zu verschiedenen theoretischen Ansätzen und empirischen Studien hergestellt, wie sie in der Mainstream-Ökonomik und in heterodoxen Ansätzen zu finden sind. Gemeinsam haben sich die Wissenschaftler/innen des Projektteams, die auch diese Vielfalt an Perspektiven repräsentieren, auf die Suche nach einem tragfähigen, anschlussfähigen Konsens begeben.

Ausgehend von der Prämisse, dass das Ziel der Einhaltung planetarer Grenzen für umweltpolitisches Handeln maßgeblich sein sollte, möchten wir insbesondere die folgenden Ergebnisse des Diskussionspapiers zur Diskussion stellen.

These I: Die Einhaltung der planetaren Grenzen erfordert einen tiefgreifenden Wandel, der sich nicht allein auf eine Grundstrategie stützen kann

Innerhalb des Diskurses gibt es zwei besonders prominente und eindeutig antagonistische Positionen: Green Growth und Degrowth. Beide Ansätze beruhen jedoch auf Kernannahmen, die sich wissenschaftlich nicht hinreichend begründen bzw. belegen lassen. Keine dieser Position sollte daher für sich beanspruchen, als alleinige Strategie für umweltpolitisches Handeln dienen zu können (vgl. Kapitel 2 des Diskussionspapiers) .

Green-Growth-Befürworter/innen argumentieren, dass weiteres Wirtschaftswachstum auch in früh industrialisierten, wohlhabenden Volkswirtschaften notwendig ist, um die Lebensqualität in diesen Gesellschaften zu erhalten oder zu erhöhen. Zudem bestehe hinreichende Gewissheit darüber, dass ökologischen Belastungen durch geeignete Instrumente ausreichend stark reduziert werden können, damit die planetaren Grenzen eingehalten werden. Die Wirtschaftsleistung kann dabei – wenn auch in qualitativ veränderter Form – weiterhin wachsen. Diese Auffassungen lassen sich aber nur dann gut begründen, wenn eine Gewissheit für das Gelingen einer hinreichend starken Entkopplung unterstellt wird, die wissenschaftlich nicht haltbar ist. Zudem wird hier die in der neoklassischen Wohlfahrtsökonomik vertretene Auffassung der Lebensqualität zugrunde gelegt Lebensqualität ist demnach das Aggregat des Ausmaßes, in dem individuelle Präferenzen erfüllt werden. Es ist aus einer gesellschaftlichen Perspektive aber nicht klar, warum gerade diese Auffassung von Lebensqualität als Präferenzerfüllung und nicht eine andere Konzeption der „richtige“ Maßstab für politisches Handeln sein sollte.

Degrowth-Vertreter/innen sind der Auffassung, dass Wirtschaftswachstum zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität in den wohlhabenden Ländern nicht (mehr) notwendig ist. Diese könne selbst dann gesichert oder gar erhöht werden, wenn die aggregierte Wirtschaftsleistung sinkt. Laut dieser Position besteht zudem hinreichende Gewissheit darüber, dass die Wirtschaftsleistung in den wohlhabenden Ländern sinken wird, wenn diese ihre ökologischen Belastungen ausreichend stark reduzieren. Dagegen wenden wir ein, dass Degrowth-Vertreter/innen nicht überzeugend erläutern, ob und insbesondere wie die Lebensqualität erhalten werden kann, wenn das BIP pro Kopf (sehr) stark abnimmt. Ebenso ist die behauptete Gewissheit über das unvermeidliche Scheitern einer hinreichend starken Entkopplungsstrategie wissenschaftlich nicht haltbar.

These II: Die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition nimmt die Schnittmengen der unterschiedlichen Zugänge auf und lotet handlungsorientiert die Möglichkeiten zur Einhaltung der planetaren Grenzen aus

Ein zentrales Ergebnis des Projekts besteht in der Erkenntnis, dass es zwischen den sich auf Ebene ihrer zentralen Annahmen widersprechenden Orientierungen Green Growth und Degrowth dennoch weitreichende Überschneidungen und potenzielle Komplementaritäten auf Ebene der jeweils befürworteten Maßnahmen und politischen Instrumente gibt (vgl. Kapitel 4.1 und Kapitel 5). Die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition versucht, diese Ausgangslage in produktiver Art und Weise zu nutzen: Sie ist einerseits ergebnisoffen und besitzt selbst keine starken Ex-ante-Prämissen bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Wirtschaftsleistung sowie hinsichtlich des Gelingens oder Scheiterns der Entkopplung. Andererseits lotet sie aus, wie groß der konsensuale und potenziell komplementäre Bereich zwischen verschiedenen Positionen auf der instrumentellen Ebene ist. Zugleich wird aber auch die in der Multi-Level-Perspektive betonte Einsicht anerkannt, dass gesellschaftliche Wandelprozesse nicht allein auf der instrumentellen Ebene und durch Benennung von defensiven Zielen („planetare Grenzen“) angestoßen werden können.

 These III: Die Einhaltung der planetaren Grenzen erfordert einen kulturellen und institutionellen Wandel

Die bisher dominante „Culture of Growth“ ist tief in den formalen und informellen Institutionen verankert, die unsere Gesellschaften „steuern“. Wollen sie zur Einhaltung planetarer Grenzen beitragen, müssen Politikansätze daher – jenseits materieller Ziele und unmittelbar darauf ausgerichteter Instrumente – auch den kulturellen Wandel hin zu einer „Culture of Sustainability“ in den Blick nehmen (vgl. Kapitel 5.1).

Aufgrund der heutigen Verfasstheit der früh industrialisierten, wohlhabenden Länder spielen die Wirtschaftsleistung und die damit generierten Einkommen eine wichtige Rolle für die Funktionsweise fundamentaler gesellschaftlicher Institutionen (vgl. Kapitel 3.2). Aus dem Vorsorgeprinzip lässt sich angesichts der bestehen Unsicherheiten bezüglich der künftigen Entwicklung der Wirtschaftsleistung das Ziel ableiten, diese gesellschaftlichen Institutionen wo möglich so zu transformieren, dass sie ihre Funktionen unabhängig(er) von der Wirtschaftsleistung erbringen können.

Würde es gelingen, gesellschaftliche Institutionen wachstumsunabhängig(er) zu gestalten, könnte die Politik notwendige (Umwelt-)Politikmaßnahmen unabhängiger von ihren vermeintlich negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum gestalten. Die Spielräume für eine ambitionierte Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik würden sich ausweiten.

These IV: Die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition stellt drei relevante und anschlussfähige Forderungen auf: ökonomische Rahmenbedingungen setzen, neue Pfade der gesellschaftlichen Entwicklung ausloten, Potenziale für stärkere Wachstumsunabhängigkeit prüfen

Aus der vorsorgeorientierten Postwachstumsposition lassen sich die folgenden drei Forderungen ableiten:

(i) Die Einhaltung der planetaren Grenzen erfordert eine Anpassung der ökonomischen Rahmenbedingungen, insbesondere durch den entschlossenen Einsatz von (marktbasierten) Instrumenten zur Internalisierung umweltschädlicher externer Effekte.

(ii) Durch partizipative Such prozesse, Experimentierräume und neue innovations- und forschungspolitische Ansätze sollten neue Pfade der gesellschaftlichen Entwicklung ausgelotet und erschlossen werden.

(ill) Potenziale für eine wachstumsunabhängigere Gestaltung ~esellschaftlicher Institutionen sollten identifiziert und nutzbar gemacht werden (vgl. Kapitel 5.2).

Die Analysen des Projektteams zeigen jedoch, dass die bisher vorgeschlagenen Ansätze zur Verwirklichung von mehr Wachstumsunabhängigkeit allenfalls eine marginale Wirksamkeit besitzen (vgl. Kapitel 4.2 für den Bereich Beschäftigung und 4.3 für die Sozialversicherungssysteme). Zudem werden grundlegende Reformansätze, wenn überhaupt, bisher nur in kleinen Teilbereichen der Gesellschaft angedacht und in einer Reihe kleinerer Experimente verfolgt. Angesichts der Ungewissheit über die Erfolgsaussichten der bisher dominant verfolgten Strategie einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und negativen Umweltauswirkungen erscheint es jedoch geboten, weiter an der Konzeption und Erprobung von weniger stark vom Wirtschaftswachstum abhängigen Modellen zu arbeiten. Wir sehen in diesem Themenfeld einen erheblichen Diskussions-, Handlungs- und Forschungsbedarf.

Auch die internationale Perspektive ist vor diesem Hintergrund von zentraler Relevanz. So kann die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition als relevanter Baustein einer noch zu konzipierenden, konsistenten und globalen Strategie zur Einhaltung der planetaren Grenzen dienen. Sie unterstützt zentrale Leitgedanken wie das Vorsorgeprinzip und gesellschaftliche Resilienz, indem sie angesichts der Unsicherheit über zukünftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen zu einer größeren Robustheit des Transformationsprozesses hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft innerhalb der planetaren Grenzen beiträgt.

Über die Konferenz und das Projekt

Die Konferenz „Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit: Ansätze zur Integration von Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik“ war die Abschlusskonferenz des Projektes „Ansätze zur Ressourcenschonung im Kontext von Postwachstumskonzepten“ (Forschungskennzahl 3715 311040), das vom Umweltbundesamt beauftragt wurde.

Das Projekt wurde durchgeführt vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), in Kooperation mit dem RWI – Leibniz-lnstitut für Wirtschaftsforschung und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Das Diskussionspapier „Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen – Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition“ ist der Zwischenbericht des Vorhabens. Es wurde zusammen mit einer deutschen und englischen Zusammenfassung in der Reihe UBA TEXTE (89/2018) veröffentlicht. Die Veröffentlichung des Endberichtes erfolgt im Jahr 2019.

Bibliographische Angaben

Petschow, Ulrich; aus dem Moore, Nils; Pissarskoi, Eugen; Korfhage, Thorben; Lange, Steffen; Schoofs, Annekathrin; Hofmann, David (2018):  Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen. Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition – UBA-Texte 89/2018, Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau.

Download: umweltbundesamt.de/publikationen/vorsorgeorientiertepostwachstumsposition