RNE: Mutiger und nicht nur moderat verändern!

Der Regierungsentwurf zur Nachhaltigkeit bleibt hinter den Erfordernissen zurück.

RNE logoStellungnahme des Rates für Nachhaltige Entwicklung zum Regierungsentwurf der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie vom 31. Mai 2016

Die Bundesregierung legt der Öffentlichkeit einen Entwurf zur Fortschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie vor. Sie verändert ihre Nachhaltigkeitsstrategie an vielen Stellen. Das ist richtig und unterstreicht die gewachsene Aufgabe, mit der Nachhaltigkeitsstrategie nunmehr auch die global vereinbarten Nachhaltigkeitsziele in Deutschland zur Orientierung nationaler Politik zu machen.

Der Rate für Nachhaltige Entwicklung begrüßt, „dass die von Deutschland aktiv vorangetriebene, globale Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zum Bezugspunkt der Deutschen Nachhaltigkeitspolitik gemacht wird. Für das Jahr 2030 und darüber hinaus bedeutet dies auf nationaler Ebene, dass die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, die Einführung von nachhaltigen Konsummustern und Produktionsweisen und die Bekämpfung von Ungleichheit nachdrücklich und mit hohen Ambitionen voran gebracht werden müssen. Wir begrüßen auch, dass dabei keines der bisher noch nicht erreichten nationalen Ziele unter den Tisch fällt.“

„Unverkennbar ist, dass sich die Bundesregierung große Mühe gibt, den von ihr selbst formulierten Ansprüchen gerecht zu werden. So interpretieren wir den Umstand, dass die Anzahl der Indikatoren fast verdoppelt wird und die globale Verantwortung weitaus stärker als bisher in die nationalen Ziele eingewoben wird. Der Entwurf geht dabei allerdings allzu oft den Weg des geringsten Widerstandes. Wo grundlegende Änderungen erforderlich sind, bleibt er bei moderaten Anpassungen. Wo diese in die richtige Richtung weisen, sind sie nicht konsequent. Wo die Nachhaltigkeitsstrategie bisher nicht erfolgreich war, bedeuten sie Stillstand und vergebene Chancen.

Wo Zielkonflikte augenfällig sind, thematisiert sie diese nicht oder zu wenig und vermag so die Menschen nicht mitzunehmen oder,schlimmer noch,sie nährt damit populistische Vorbehalte.

Wir verstehen den Entwurf der Fortschreibung als Einladung zum Mitdenken. Wir begrüßen es sehr, dass diese Einladung offen ist und an alle interessierten Menschen und Verbände geht. Dies entspricht unserer wiederholt vorgebrachten Empfehlung, die Diskussion über Deutschlands Zukunft auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Der Nachhaltigkeitsrat versteht seine Aufgabe zur Politikberatung als die einer Plattform mit Exponenten aus der Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik. Unsere Empfehlungen zeigen Wege zur Transformation. Unsere Projekte zeigen das Erfolgspotenzial einer aktivierenden Nachhaltigkeitspolitik. Beides sind Grundlage für die nachstehenden Kommentare, mit denen wir an die vorangegangenen Stellungnahmen und Empfehlungen der letzten Jahre anschließen.

Generelles

Die teils auch in das Detail reichenden Kommentare lassen sich auf einen politischen Nenner zurückführen: Statt die Nachhaltigkeitsstrategie nur moderat fortzuschreiben, raten wir an, ihre Modernität durch ambitionierte Ziele, flexible Instrumente und eine grunderneuerte Governance auszudrücken. Zur Nachhaltigkeitsarchitektur hatte der Rat in seiner Stellungnahme vom Mai 2015 eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Sie sollen Institutionen und Instrumente auf den Stand der Erfordernisse bringen. Ein Business as Usual kann es nicht geben, wie die Bundesregierung richtig feststellt. Konsequenterweise darf es dann auch kein „Capacity as Usual“ geben, wenn es um Zuständigkeiten, Verantwortung und den Einsatz von Budget und Personal geht.

Wir empfehlen der Bundesregierung, rechtspolitische Überlegungen und Vorschläge aufzugreifen, um dem Prinzip Nachhaltigkeit Verfassungsrang zu geben und erinnern an das Gutachten, das Prof. Dr. Joachim Wieland für den RNE hierzu erstellt hat.

Vollzug der Nachhaltigkeitsstrategie

Wir empfehlen, die Arbeitsweise des Staatssekretärsausschusses zu stärken, die Anzahl der Sitzungen zu erhöhen und seine Befassung im jährlichen Rhythmus am Stand der Umsetzung der Ziele auszurichten. Die Peer Reviews zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie haben dies 2009 und 2013 mit Vorschlägen zur Stärkung der politischen Verantwortung im Bundeskanzleramt unterstrichen1.

Für die konkrete Umsetzung der Strategie empfehlen wir nunmehr in Weiterführung dieser Grundüberlegungen, in allen Ressorts Beauftragte für die Nachhaltigkeitsstrategie zu benennen und diese mit einem Budget auszustatten. Eine nur nachrichtliche Mitbehandlung des Themas Nachhaltigkeit am Rande von strategischen Ressortaufgaben gilt es zu überwinden. Die Beauftragten sind über ihren jeweiligen Ressortchef dem Staatssekretärsausschuss berichtspflichtig. Im Rahmen der koordinierenden Aufgabe des Bundeskanzleramtes ist ein Budget-Titel zu schaffen, der im Falle mangelnder Zielerreichung für entsprechende Maßnahmen zur Beratung und konzeptionellen Unterstützung eingesetzt werden kann.

Parlamentarische Kontrolle

Die Befassung des Bundestages mit Nachhaltigkeitsfragen ist auszuweiten. Wir schlagen eine jährliche Plenardebatte im Nachgang zum öffentlichen Nachhaltigkeitsgipfel der RNE-Jahreskonferenzvor, die den Stand der Nachhaltigkeitsstrategie bewertet. Das Plenum des Bundestages sollte die Perspektiven der Nachhaltigkeitspolitik erörtern. Der Parlamentarische Beirat sollte regelmäßig in jeder Legislaturperiode zeitgleich mit den Ausschüssen eingerichtet werden und ein Initiativrecht erhalten, um zentrale Fragen auch unter Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen Experten zu erörtern. Bisher spielen Nachhaltigkeitsaspekte bei übergreifenden Fragen zur Entwicklung des Rechtssystems kaum eine Rolle (Bürokratieabbau, „oneinoneout“-Ansatz, Haushalt, „wirksames Regieren“, „bessere Rechtssetzung“). Die nach GGO vorgeschriebene Nachhaltigkeitsprüfung soll verstärkt werden. Unterstützt wird die Einführung einer so bezeichneten IT-gestützten Prüfkaskade. Sie soll die Qualität der Prüfung verbessern. Über diesen Status quo hinausgehend empfiehlt der Rat, insbesondere zu prüfen, ob Gesetzentwürfe die Managementregeln nachvollziehbar anwenden. Insbesondere ist zu prüfen, ob die ökologischen Belastungsgrenzen beachtet wurden. Dabei gilt es,auch unterlassenes Handeln und dessen Folgen zu bewerten; die Kooperation zwischen verschiedenen Ressorts insbesondere bei horizontal verflochtenen Zielen ist zu bewerten.

Agenda Setting und Nachhaltigkeitsrat

Der Entwurf greift die Rolle und Tätigkeit des Rates umfangreich auf, um eine Prüfung anzukündigen, damit der Rat der erweiterten Schnittstelle global/national gerecht wird. Das ist sachgerecht; ein anderer Aspekt ist allerdings viel wesentlicher. Es muss in Zukunft gelingen, dem Rat dauerhaft auch solche Projekte und Aktivitäten möglich zu machen, die dem auch institutionellen Charakter der Nachhaltigkeitsidee folgen und sich einem nur maximal dreijährigen Projektmodus entziehen.

Peer Review

Die Bundesregierung hat ihre Nachhaltigkeitsstrategie bereits zweimal von außen prüfen lassen. Diese so genannten Peer Reviews haben 2009 und 2013 stattgefunden und wurden vom Nachhaltigkeitsrat auf Bitten der Bundesregierung verantwortet. Sie haben auf höchster Ebene in Politik und Parlament Beachtung gefunden und Resonanz erzeugt.

Gerade jetzt, wo im Rahmen der Verfahrensweisen des UN High Level Political Forums (HLPF) über eine weltweite Anwendung dieses Instruments nachgedacht wird, erscheint es uns für die Bundesregierung mehr als angeraten, einen erneuten Peer Review anzukündigen. Zudem gibt es auch nationale Gründe. Die grundlegende Änderung und Ergänzung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie einschließlich ihrer Prüfaufträge gibt vielfältige Gründe und Anlässe, sie ähnlich wie zuvor und anknüpfend an den internationalen Diskussionsstand auf Inhalt, Wirkung und Verfahrensweisen zu prüfen.

Wir raten an, dass die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie einen Peer Review für 2018 ankündigt. Seine Ergebnisse können wichtige Nachsteuerungen zur Zielerreichung ermöglichen. Sie können den deutschen Beitrag an das HLPF 2019 vertiefen und ergänzen.

Prüfaufträge

Zu einer erstaunlichen Vielzahl von offenen Fragen zur Governance und zu Sachthemen enthält der Entwurf gleichrangig formulierte Prüfaufträge. Die unterschiedslose Herangehensweise irritiert, denn es handelt sich durchaus um Prüfaufträge mit sehr unterschiedlichem Charakter. So lassen manche Prüfaufträge vermuten, dass die Sachfragen eigentlich politisch entscheidungsreif sind, aber eine solche Ressortvereinbarung aus politischen Gründen noch nicht getroffen werden konnte, während andere Prüfaufträge eher einen konzeptionellen und wissensbasierten Hintergrund haben. Die Bundesregierung wird um Klarstellung gebeten, um wie viele substantielle Prüfaufträge es sich handelt (unklare Formulierungen) und welche Prüfaufträge bis zur Vorlage der Kabinettsfassung der Fortschreibung abgeschlossen sein sollen, respektive längere Prüfungen erfordern.

Managementregeln

Zustimmend äußert der Entwurf sich zu dem Bedarf, die Managementregeln zur nachhaltigen Entwicklung zu überarbeiten. Er führt aus, dass eine Überarbeitung bisher nur in moderater Form erfolgt sei und weitere Schritte erforderlich seien. Insbesondere muss es darum gehen, die Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung für die Sachthemen konkret zu beschreiben und dabei den Bezug zu den ökologischen Belastungsgrenzen sowie den Chancen einer an Nachhaltigkeit orientierten Wirtschaft und eines nachhaltigen Konsums deutlicher zu machen. Die fachliche Systematik der Managementregeln – im Kern: Regeneration, Substitution, Anpassung, Gefahrenabwehr, Zeit – muss erneuert und ergänzt werden. Nicht zuletzt die SDGs fordern neue fachliche Ansätze zur „Neutralität“ (im Sinne von Klimaneutralität, Flächenneutralität). Auch die globale Dimension des „Triple“ muss eingearbeitet werden. Schließlich sind auch die prozessbezogenen Regeln zu fokussieren und zu ergänzen. Der Rat bietet detaillierte Vorschläge und Textmaterial an, die an dieser Stelle den Umfang der Stellungnahme sprengen würden.

Öffentlichkeit, interessierte Kreise, Wissenschaft

Wir wiederholen unsere Anregung, Verbände und Vereinigungen in viel stärkerem Maße als bisher und kontinuierlich in die Aufgaben beim Vollzug der Nachhaltigkeitsstrategie substanziell einzubinden und transparent zu beteiligen. Die Aufgaben mögen dabei sehr unterschiedlich sein und sie müssen die verschiedenen Rollen und Möglichkeiten der Beteiligten respektieren, aber gemeinsam ist allen Beteiligten die Verantwortung gegenüber Zielen und Anliegen der nachhaltigen Entwicklung, vor allem auch in der globalen Bedeutung. Diese Verantwortung ist kontinuierlich und konkret in Handlungen und Vereinbarungen zu übersetzen, die dem Gedanken der Partnerschaft (im Form der fünf „P“ der Agenda 2030: people, planet, prosperity, peace, and partnership) entsprechen. Als einen konkreten Schritt haben wir die Einrichtung eines öffentlichen Registers angeregt, das alle freiwilligen und staatlichen Siegel, Label und Kriterien zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit von Wirtschaftsgütern und Produkten in globalen Lieferketten dokumentiert. Dies ist ein wesentlicher Schritt zur Transparenz und damit zu Beteiligung und Übernahme von Verantwortung. Der Rat hält an diesem Vorschlag fest.

Die systematische Rolle der Wissenschaft im Vollzug der Nachhaltigkeitsstrategie ist einerseits noch unklar, andererseits aber in ihrem Potenzial nicht zu unterschätzen. Schon bisher haben Wissenschaftsprogramme zur Nachhaltigkeit und spezifische Forschungsvorhaben z.B. zum 30ha-Ziel2 wesentliche Beiträge geleistet. Dies muss ausgebaut werden und in die allgemeine Forschungsförderung Eingang finden, und es müssen die nichtwissenschaftlich formierte Zivilgesellschaft und alle wissensbasiert handelnden Akteure der Nachhaltigkeitsstrategie in eine verstärkt transformativ ausgerichtete Wissenschaft einbezogen werden. Diese Vorgehensweise soll auch zu Veränderungsprozessen innerhalb der Wissenschaft beitragen.

Strukturierte Dialoge

Die Bedeutung strukturierter Dialoge kommt im Entwurf zu kurz. Für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie in Bereichen jenseits des rechtlichen und förderpolitischen Zugangs haben diese Dialoge höchste Bedeutung. Sie müssen als wesentlicher Beleg für das ordnungspolitische Grundverständnis einer auch bürgerschaftlich getragenen Nachhaltigkeitsstrategie herausgestellt werden. Wir empfehlen der Bundesregierung, den Entwurf zu ergänzen, um die strukturierten Dialogverfahren explizit anzusprechen und gezielt zu unterstützen. Beispiele für solche Dialogverfahren sind der beim RNE geführte Dialog „Nachhaltige Stadt“und die Foren und Allianzen zur nachhaltigen Erzeugung von z.B. Kakao, Fisch, Holz und anderen Wirtschaftsgütern. Dialoge können auch die Form von Wettbewerben mit anspruchsvollen Prüfverfahren wie z.B. der Deutsche Nachhaltigkeitspreis annehmen. Jugendliche Zielgruppen hat der Nachhaltigkeitsrat mehrfach angesprochen, zuletzt mit den Dialogen zur Vision_2050, den 100 jüngsten Kommunalpolitikern und der „Generation Carlowitz“.

Auf kommunaler Ebene finden Dialoge bei der Zukunftsstadt und in der kommunalen Entwicklungspolitik Anwendung. Auch die Beteiligung von Akteuren und interessierten Kreisen in Form von Multistakeholder-Dialogen zum Deutschen Nachhaltigkeitskodex und seinen Branchenvereinbarungen ist zu nennen. Am Dialog Nachhaltige Stadt beteiligen sich Oberbürgermeister von ca. dreißig deutschen Städten. Sie nehmen in ihrer persönlichen Kapazität teil. Sie setzen sich für ganzheitliche Lösungen und für Nachhaltigkeits-Partnerschaften ein. Das Ziel nachhaltiger Städte und Siedlungen ist eine wesentliche Voraussetzung für den engagierten Klima- und Ressourcenschutz in Deutschland und global.

Wir empfehlen der Bundesregierung, diesem Dialog ein Eigengewicht als Beispiel für Seite 6von 10freiwillige und strukturierte Dialoge, auch im Zusammenhang mit der UN-Habitat-Konferenz in Quito zu geben. Die politische Rolle strukturierter Dialoge ist auszubauen, wie auch die Dialoge selbst substantiell und strukturell auszubauen sind.

Europa

Unseres Erachtens müsste eine explizitere Betrachtung der Rolle der Nachhaltigkeit als zentrales Element der europäischen Politik unbedingt Bestandteil der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie sein. Viele Politikbereiche können ohne die europäische Dimension nicht nachhaltig gestaltet werden. Daher sollte sie darlegen, was genau Deutschland von einer EUNachhaltigkeitsstrategie erwartet (und was nicht). Nachhaltigkeit muss darüber hinaus als europäisches Narrativ eingebracht werden, um den nationalistischen Tendenzen in einigen Mitgliedsstaaten entgegen zu wirken und der Frage nach dem Sinn und Vorteil einer Europäischen Union eine Richtung zu geben, die materielle Aspekte von Wohlstand und Ungleichheit mit Governance-Fragen und einem guten Leben innerhalb der planetarischen Grenzen verbindet.

Ziele

Der Entwurf der Nachhaltigkeitsstrategie enthält keine Zielvorgaben für 2030. Diese sind jedoch nötig, weil durch sie das Ambitionsniveau der Bundesregierung deutlich wird. Die vom Entwurf eingeführten Indikatoren lassen vermuten, dass unterschiedliche Arten von Zielen eingeführt werden sollten. Zum einen sind Ziele wie bisher mit quantitativen Angaben festzulegen. Als Beispiel hierzu kann das Ziel30ha herangezogen werden, das wesentliche Fortschritte erbracht hat und bis 2020 erreicht sein soll (und wohl nicht erreicht werden wird); dieses gilt es nun für 2030 fortzuschreiben. Insofern kommt ein Ziel 20 ha in Betracht, das auch die Grundlage legt für eine Netto-Null-Bilanz der Flächennutzung, die von den SDGs gefordert wird. Zum anderen wird es auch halbquantitative Zielvorgaben, etwa im Sinne von „stetige Veränderung in die richtige Richtung“ geben müssen.

Der Entwurf sieht die politische Festlegung der Zielvorgaben (die den Indikatoren entsprechen) als Gegenstand der Konsultationen und auch der weiteren Arbeit des Staatssekretärsausschusses. Diese Vorgehensweise hat positive wie auch problematische Implikationen. Jedenfalls aber kann unsere Stellungnahme zum Entwurf an dieser Stelle noch keine Vorschläge für Ziele enthalten. Der Nachhaltigkeitsrat bietet weitere Beratungen an.

Vision „The Future We Want“– The Germany we need.

Der Entwurf ordnet die 17 SDGs und ihre 169 Unterziele den Ressorts der Bundesregierung zu. Dies ist nötig und sinnvoll. Allerdings fällt kritisch auf, dass die Aufteilung nunmehr kaum erkennen lässt, welche gemeinsamen und alle Ressorts durchdringenden Aufgaben und Herausforderungen die Bundesregierung angehen will. Es fehlen eine gemeinsame Vision oder ein Leitbild. Die Summe der Indikatoren (einschließlich ihrer noch ausstehenden Ziele) ergibt dieses nicht per se.

Die Agenda 2030 trägt den plakativen Titel „The Future We Want“und setzt in Rhetorik und Ausdrucksstärke einen Maßstab. Der Entwurf wird dem noch nicht gerecht. Eine Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie –zumal im Zusammenhang mit dem (richtigen) Anliegen Deutschlands, international voran zugehen–muss sich fragen lassen, ob sie das „The Germany We Need“ abbildet.

Eckpunkte zu einzelnen Indikatoren

Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung die Sustainable Development Goals zur Gliederung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie nutzt. Dies entspricht unserer Empfehlung aus 2015. Einen so starken Anstieg der Indikatoren auf eine fast verdoppelte Anzahl hatten wir nicht empfohlen. Aber wenn die Bundesregierung die Vielzahl von Indikatoren auf anspruchsvolle Weise steuern und im Rahmen des Monitoring überprüfen kann, so ist die große Anzahl nicht zu kritisieren.

Begrüßt wird auch die dreigegliederte Darstellung der Bedeutung der Ziele für Deutschland in internationaler und nationaler Sicht sowie im Hinblick auf die Strategie.

International ist die Bekämpfung von Armut vordringlich; aber auch in Deutschland gibt es Armut und Armutsrisiken. Ein beträchtlicher Teil der staatlichen Transferzahlungen wird hier aufgewendet. Gerade aus diesem Grund besteht erheblicher armutspolitischer Handlungsbedarf. Wir begrüßen, dass dieser Aspekt jetzt aufgenommen wird. Schwer verständlich ist, dass der Entwurf eine gewisse Unsicherheit und Unentschiedenheit erkennen lässt, indem er vermerkt, dass das „Nachhaltigkeitspostulat hierzu noch offen“ sei. Aus unserer Sicht macht sich die nachhaltige Entwicklung hier vor allem an der Bekämpfung der Kinder- und Bildungsarmut fest sowie an der Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt.

Die Ungleichheit der Einkommen innerhalb Deutschlands –bisher kein Indikator; wir hatten die Aufnahme empfohlen – wird durch den Gini-Koeffizienten gemessen und als Handlungsfeld aufgenommen. Das ist zu begrüßen und Maßnahmen zur Steuerung werden nun erwartet.

Erstmalig nimmt die Bundesregierung einen Indikator zum Thema der Friedenssicherung auf. Das wird dem Grunde nach begrüßt. In der Tat legen die globalen Nachhaltigkeitsziele einen Schwerpunkt auf Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, weil ohne diese Eckpfeiler der erfolgreiche Einsatz für Nachhaltigkeit erschwert, wenn nicht unmöglich wird. Die praktische Rüstungskontrolle ist zu stärken und die Proliferation zu bekämpfen. Deutschland ist insbesondere im Hinblick auf so genannte Kleinfeuerwaffen gefragt, weil sie eine zwar nach 2013 rückläufige aber immer noch erhebliche Rolle beim Rüstungsexport spielen. Fraglich ist allerdings die Auswahl des Indikators. Die Projekte zur Sicherung, Registrierung und Zerstörung von Kleinwaffen und leichten Waffen durch Deutschland mögen sehr wichtig sein, aber die Verbreitung von Waffen steuert man besser durch die vorsorgende Begrenzung des Exports als durch nachträgliches Einsammeln.

Der Entwurf stärkt angesichts der Agenda 2030 die Anzahl und Aussagekraft der Indikatoren mit internationaler Bedeutung. Nunmehr soll die Wirkung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gemessen werden; inwiefern der Zugang zur Abwasserbeseitigung („access to sanitation“)pars pro toto für den Wandel stehen kann, der durch die SDGs ausgelöst werden soll, wird nicht dargelegt und ist zumindest sehr fraglich. Andere Indikatoren wie die deutsche REDD+-Unterstützung an Entwicklungsländer, die Anzahl von Hochschulangehörigen aus Entwicklungsländern, die an MINT-Einrichtungen studieren oder die berufliche Qualifizierung von Frauen und Mädchen durch deutsche Entwicklungshilfe, sind vergleichsweise besser ausgerichtet.

Deutschlands Verantwortung in der Welt umfasst (auch) den Beginn der Wertschöpfungskette von Produkten, die hier konsumiert werden; das ist oft jenseits unserer Grenzen. Die Nachhaltigkeitsstrategie greift exemplarisch die textile Kette auf. Ein neuer Indikator stellt auf den Umsatzanteil der Mitglieder des Textilbündnisses am Textilmarkt ab. Zu empfehlen ist jedoch etwas anderes, nämlich die direkte Messung des Anteils der sozial und ökologisch verantwortungsvoll erzeugten Textilien, um die reale Marktentwicklung vor Augen zu haben. Im Hinblick auf die Daten erscheint dies durchaus machbar, ob es kartellrechtlich zulässig ist, kann hier nicht beurteilt werden. Sollte die Konkretisierung des Indikators kurzfristig nicht möglich sein, so wird empfohlen, ihn durch einen Indikator für nachhaltig erzeugten Kakao zu ersetzen.

Die Weiterentwicklung eines Indikators für den Ressourcenverbrauch wird grundsätzlich begrüßt. Der ökologische Fußabdruck wird mit globaler Dimension aufgenommen, wenn der Indikator Rohstoffproduktivität die gesamten Vorprodukte berücksichtigt.

Zuzustimmen ist der mit den zusätzlichen Indikatoren deutlich werdenden, stärkeren Vernetzung von nationaler und globaler Verantwortung.

Darüber hinaus muss allerdings auch der Ressourcenverbrauch pro Kopf gesenkt werden, und hierfür sollte ein entsprechender Indikator eingeführt werden. Um effektiv zu wirken, muss die Nachhaltigkeitsstrategie ihren generellen Ansatz zur Ressourcenproduktivität auf die mengenmäßig besonders wichtigen Bereiche wie insbesondere das Planen und Bauen herunterbrechen.

Die Überlastung der natürlichen Lebensgrundlagen wird verstärkt aufgegriffen und es werden neue Indikatoren zu Wasser, Ozeanen, Feinstaubbelastung, Phosphor zusätzlich zu den bestehenden Indikatoren zu Stickstoff-Überschuss (beim Düngen in der Landwirtschaft), dem Flächenanteil des Ökolandbaus sowie der Biodiversität aufgenommen. Hier liegen schon jetzt viele Vollzugsdefizite vor und es bleibt unklar, wie die mit den zusätzlichen Indikatoren nun ebenfalls in Blick genommenen, weiteren Vollzugsdefizite bis hin zu EU-Vertragsverletzungsverfahren neu angegangen werden sollen. Als Beispiel für einen Neuansatz sei auf das Recycling von Phosphor verwiesen. Hier müsste die Nachhaltigkeitsstrategie Investitionen lenken und Neuland betreten.

Das Ziel 20% Ökolandbau war bisher faktisch wirkungslos, dennoch war es richtig und sollte –allerdings verbessert –beibehalten werden. Entscheidend wäre die Festlegung von Zwischen- und Teilzielen und damit eine explizite Steuerung durch Fördermaßnahmen und Marktgestaltung,Forschung und Kommunikation. Dies muss auch in Zusammenhang mit der grundlegenden Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik und Biodiversitätswirksamkeit gesehen werden. Hier muss die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie exemplarisch die europäische Dimension und eine subsidiäre EU-Nachhaltigkeitsstrategie ansprechen; vor dem Hintergrund der SDGs ist dies erforderlich. Zu begrüßen ist, dass die Herausforderung angegangen wird, einen Indikator für Nachhaltigen Konsum aufzustellen. Das ist extrem wichtig für die internationale Glaubwürdigkeit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Der neue Indikator „Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen“ ist der Einstieg. Aber er überzeugt nicht, da er wenig Aussagekraft hat,indem er sich zunächst nur auf „ökologische“ Produkte bezieht und diese wiederum nur als Produkte mit amtlichem Umweltzeichengelten lässt. Das stellt die Seite 9von 10Ernsthaftigkeit des Einstiegs in Frage.

Der Entwurf sieht einen Prüfauftrag vor, um auch glaubwürdige und anspruchsvolle Umwelt- und Sozialsiegel anzusprechen. Wir haben mit dem Gutachten des IMUG-Institutes einen statistisch und normativ gangbaren Weg zur Messung des nachhaltigen Konsumsaufgezeigt und diesen durch den Aspekt Genügsamkeit ergänzt. Die Suffizienz darf in einer Nachhaltigkeitsstrategie kein Fremdkörper bleiben.

Sie ist gleichrangig und subsidiär zu Effizienzgewinnen und innovativen Neuerungen und transformativen Umbaumaßnahmen, weil industrialisierte Gesellschaften die für die globalen Nachhaltigkeitsziele erforderliche, deutliche Reduktion ihres Ressourcenverbrauchs nur durch ganzheitliche Herangehensweisen glaubwürdig anstreben können. Erforderlich sind dazu auch in Deutschland politische Rahmenbedingungen, Anreize und Impulse für nachhaltige Konsum- und Lebensstile.

Das 30ha-Ziel zur Verringerung der Flächeninanspruchnahme durch Siedlung und Verkehr hat sich dem Grunde nach bewährt. Es spricht Ökologie, Ökonomie und Soziales zugleich an. Es steht für eine nachhaltige Stadtentwicklung und für die Erhaltung der Kulturlandschaft und einen lebensfähigen ländlichen Raum. Es hat Maßnahmen vor allem in Kommunen ausgelöst. Allerdings reichen diese nicht aus, um das Ziel bis 2020 zu erreichen. Daher müssen das Ziel und der Indikator weiterentwickelt werden. Die Agenda 2030 fordert die Netto-Null bei der Landnutzung, mithin eine „land degradation neutral world“. Hier sollte Deutschland den politischen und methodischen Durchbruch schaffen und eine Netto-Null-Bilanz bis 2030 anstreben. Die Inanspruchnahme von „Grüner Wiese“ für die Siedlungsentwicklung sollte als „Verlust“mit dem „Gewinn“aus Entsiegelung und umweltgerechter Wiedernutzung von kontaminierten und übernutzten Flächen bilanziert werden. Wir empfehlen eine Ergänzung der Nachhaltigkeitsstrategie um diesen Aspekt.

Richtig ist, dass die Bundesregierung beim Thema Mobilität einen neuen Indikator vorschlägt, der wirkungsorientiert ist und den Endenergieverbrauch misst. Das entspricht in der Tendenz dem RNE-Vorschlag nach Messung der klimaneutralen Logistikleistung in den Teilmärkten. Dieser neue Indikator steht nach unserer Auffassung nicht im Widerspruch zum Ziel der Mengenreduzierung von Verkehren. Wir raten der Bundesregierung jedoch an, explizit deutlich zu machen, dass sie nach wie vor das Ziel verfolgt, die Gesamtmenge an Verkehr zu reduzieren und den nötigen Verkehrsaufwand auf klimaneutrale Weise und mit kombinierter Mobilität zu decken.

Die deutschen Energie- und Klimaziele müssen an den Festlegungen des Abkommens von Paris gemessen werden.

Die Steigerung der Energieeffizienz wird weiterhin thematisiert, noch aber fehlt auch hier ein wirkungs- und anspruchsvolles Ziel für 2030, das die Effizienz zum Beispiel verdoppelt. Gerade beim Bauen und im Verkehr wäre ein solches Ziel außerordentlich nötig. Dem längst technisch möglichen und umfangreichen Recycling von Baustoffen würde es einen lange ausstehenden Anstoß geben.

Zusammen mit dem Indikator zur Energieproduktivität bilden die Energie-Indikatoren so etwas wie die verdeckte Reserve der Energiewende. Diese Reserve bleibt bislang bei Bau- und Verkehrsstrategien, in der Unterhaltungstechnik, im Produktdesign und in der Landwirtschaft weitgehend ungenutzt. Das gilt auch für die Effizienzreserve einer durch digitale Lösungen gestützten Nachhaltigkeit. Der Bundesregierung wird die Prüfung empfohlen,den Gesamtenergieverbrauch pro Branche auszuweisen und so einen Anreiz zu setzen, das Potenzial an Gewinnen aus Effizienz und Suffizienz zu erschließen.

Politisch längst überfällig – und im Hinblick auf das Sachwissen in der Wirtschaft und die Lebenswirklichkeit auch möglich und hoch interessant – ist der explizite Einstieg in die Nachhaltige Wirtschaft (Green Economy). Wo nur von monetären Ausgaben die Rede ist (etwa bei den Indikatoren zur Forschung und zur ODA-Quote) und wo nur abstrakte Statistikgrößen ohne Wirkungsparameter wie das BIP gemessen werden, kann das nicht gelingen. Das ist eine Frage der grundsätzlichen Ausrichtung und Blickweise.

Ausgaben und Hilfe müssen wir als Investitionen in die Zukunft denken. Denn erst mit diesem Blick unterscheiden sich reine Kosten von sinnvollen Investitionen. Transformative Neuerungen und Innovationen sollten systemisch gemessen werden.

Die Nachhaltigkeitsstrategie nimmt das Aufkommen und den Beitrag der Nachhaltigen Wirtschaft und der Nachhaltigkeitskonzepte am Finanzmarkt bisher nur als Kollateraleffekt außerhalb ihres Einflusses wahr (also im Wesentlichen gar nicht) und sieht nicht ihren eigenen Handlungsbedarf in den relevanten Branchen.

Eine Reihe von wichtigen Indikatoren hat die Bundesregierung nicht geändert. Das gilt für die Indikatoren zu Innovation, Anlageinvestitionen, Aufwendung für Forschung, Staatsdefizit/Schuldenquote, BIP, 0,7%Quote für die Entwicklungszusammenarbeit. (Nur der Indikator zu deutschen Einfuhren aus Entwicklungsländern wird leicht, und zwar um die LDCs,ergänzt.

)Jedoch gibt es auch bei diesen Indikatoren gute Gründe für Veränderungen, nicht zuletzt aus den UN-Nachhaltigkeitszielen. Das SDG-Ziel eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums findet beispielsweise keine Entsprechung. Für die Erhaltung des Wohlstands in Deutschland ist das BIP seit jeher nur beschränkt aussagefähig. Ein ergänzender Indikator für Wohlstand ist notwendig.

Aber entscheidend wird in Zukunft etwas anderes sein, das ebenfalls Kern einer Nachhaltigkeitsstrategie sein sollte: Die Fluchtbewegungen, die neben Krieg, Despotismus und dem Fehlen von Rechtsstaatlichkeit letztlich auch das dramatische Gefälle an Wohlstand und Lebensqualität nachzeichnen. Dieses Gefälle unterstreicht die Bedeutung von Investitionen in die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung außerhalb von Deutschland, etwa in Afrika, auch für den Erhalt des Wohlstandes in Deutschland. Vor diesem Hintergrund müssen Grenzen des Wachstums innerhalb Deutschlands thematisiert und Export- und Importstrategien einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Diese globale Wechselwirkung und die neuen Impulse des nachhaltigen Wirtschaftens sollten im gesellschaftlichen Ordnungsrahmen verankert werden. Das längst veraltete „Stabilitätsgesetz“zur Definition des so genannten gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sollte Nachhaltigkeit zur zentralen ordnungsrechtlichen Größe machen.

1https://www.bundesregierung.de/Content/EN/StatischeSeiten/Schwerpunkte/Nachhaltigkeit/Anlagen/20131015peerreviewrne_en.pdf;jsessionid=0FE6521054B68E659DF205012D150114.s4t1?__blob=publicationFile&v=120160620_RNE_Stellungnahme_RegE_DE_Nachhaltigkeitsstrategie.pdf

2Bis zum Jahr 2020 will die Bundesregierung den Flächenverbrauch auf maximal 30 Hektar pro Tag verringern.