Kurzfristigkeit oder die Tragik des Zeithorizonts

Finanzmärkte müssen Bedrohung durch Klimawandel erkennen

Mark Carney – Foto © bankofengland.co.uk

Germanwatch weist auf eine wichtige Rede aus England hin: Der Klimawandel gefährdet die Stabilität der Finanzmärkte. In welch großem Ausmaß dies jetzt schon absehbar ist, legte Mark Carney – Vorsitzender des Finanzmarktstabilitätsrats der G20 und Gouverneur der Bank of England – in einer Rede vom 29.09.2015 eindrücklich dar.

Gestützt auf die von der britischen Regulierungsbehörde PRA herausgegebene Studie „The impact of climate change on the UK insurance sector“ beschrieb er pointiert die konkreten Risiken und skizzierte auch politische Maßnahmen, diesen entgegen zu wirken. Dass mit Carney ein wichtiger Finanzmarktregulierer diese Botschaft offen aussprach, könnte bahnbrechende Auswirkungen haben, so Germanwatch. Die Umsetzung seiner Vorschläge könnte eine wichtige Triebkraft für den Umbau der Wirtschaftssysteme der G20-Staaten werden – und dabei helfen, den Weg zu einem nachhaltigen Pfad zu ebnen, der die weltweite Temperaturerhöhung auf unter 2°C begrenzt.

Die Tragik des Zeithorizonts – Warum sich die Finanzmärkte bereits heute gegen Risiken des Klimawandels schützen müssen und wie politische Rahmensetzung helfen kann

Mark Carney ließ aufhorchen. Der Gouverneur der Bank of England und Vorsitzende des Finanzmarktstabilitätsrats rechnete den Akteuren des Finanzmarktes und der G20 vor, dass der Klimawandel das Potenzial hat, die Stabilität der Finanzmärkte zu gefährden. Eingesetzt worden war der Finanzmarktstabilitätsrat von der G20 im Kontext der Finanzmarktkrise, um frühzeitig Risiken für die Finanzmärkte zu identifizieren und einzudämmen. Der Stabilitätsrat war von den G20-Finanzministern beauftragt worden, sich mit der Frage zu befassen: Wie kann und muss der Finanzsektor Klimawandelrisiken berücksichtigen, die weltweit zunehmend zur Gefahr für die Stabilität der Finanzmärkte werden? Als Ratsvorsitzender stellte Carney in seiner bemerkenswerten Rede einige Überlegungen zu dieser Frage an. Er stützte sich dabei auf die von der britischen Prudential Regulation Authority herausgegebene Studie „The impact of climate change on the UK insurance sector“.

Risiken und Maßnahmen

Christine Lagarde– Foto © MEDEF_flickr.com – liz. unter CC BY-SA 3.0 üb. Wikimedia Commons

Carney beschrieb nicht nur pointiert die Risiken des Klimawandels für die Finanzmärkte und deren Stabilität, er skizzierte auch konkrete politische Maßnahmen für die G20, um eine erneute Finanzmarktkrise abzuwenden. Seine Vorschläge könnten einen interessanten Impuls für die Einführung eines allmählich steigenden [[CO2]]-Preis-Korridors in den 20 wichtigsten Volkswirtschaften liefern, ähnlich wie zuletzt der Vorstoß von IWF-Chefin Christine Lagarde, die im Rahmen des vergangenen Jahrestreffens von IWF und Weltbank in Lima mit einem dramatischen Appell die Einführung einer globalen [[CO2]]-Steuer verlangte – wenn sich alle wegduckten, “werden wir uns in Hühnchen verwandeln und wir werden alle gebraten, gegrillt, getoastet und geröstet”.

Auch für das Gipfeltreffen der G20-Staaten am 15. und 16.11.2015 in Ankara und für die darauf folgenden G20-Gipfel in China und Deutschland könnten seine Argumente wichtige Dynamik liefern. Carneys Vorstoß ist die bisher relevanteste einer Reihe verwandter Initiativen:

  • Die Zentralbank von Bangladesch setzt durch günstige Refinanzierungsmöglichkeiten Anreize für Kreditbanken in grüne Projekte zu investieren.
  • Eine ähnliche Wirkung sollen die „Green Credit Guidelines“ der chinesischen Bankenaufsichtsbehörde CBRC haben.
  • Die Zentralbank von Brasilien schlägt vor, die Betrachtung von Umweltrisiken in das Basel III Regelwerk aufzunehmen, das einen regulativen Rahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Banken (u.a. strengere Eigenkapitalanforderungen) vorsieht, und appelliert an Banken sozial-ökologische Risiken besser zu managen.

Ausgangspunkt für die Ermittlung der zugrundeliegenden Daten durch Carney war eine Anfrage der Finanzminister der G20-Staaten an den Finanzmarktstabilitätsrat. Die aktuellen und zukünftigen Risiken durch den Klimawandel und Möglichkeiten diesen zu begegnen wurden im Vorfeld mit öffentlichen und privaten Akteuren diskutiert.

Die Risiken des Klimawandels für den Finanzmarkt – „Tragik der Allmende“

Mark Carney erläuterte zunächst die grundlegende Herausforderung, dem Klimawandel, einem sich im Zeitverlauf nicht-linear verstärkenden Phänomen, mit unseren kurzfristigen Systemlogiken (in Politik, Wirtschaft und Finanzmärkten) zu begegnen. Er diskutierte das hier vorliegende Problem in Anlehnung an die „Tragik der Allmende“, die auf der Annahme basiert, dass frei verfügbare aber endliche Ressourcen in der Gefahr stehen, übernutzt zu werden. Dabei zieht jeder Einzelne kurzfristig Nutzen, die Gemeinschaft nimmt langfristig jedoch Schaden. Der Begriff geht auf eine gemeinschaftlich genutzte Weide zurück, die, wenn sie landwirtschaftlich übernutzt wird, an Nutzen für alle verliert.

Kurzfristigkeit

Im Klimawandel sieht Carney eine „Tragik des zeitlichen Horizonts“ am Werke: Der große zeitliche Abstand zwischen Ursache und Wirkung des Klimawandels führe dazu, dass seine katastrophalen Auswirkungen insbesondere unsere nachkommenden Generationen treffen werden, während die heutige Generation kaum Anreize habe dessen Ursachen wirkungsvoll zu bekämpfen. Was für den einzelnen gilt, gilt verstärkt für die wichtigsten gesellschaftlichen Teilsysteme. Da die Klimawandelschäden kaum bereits innerhalb der Wahlperiode von Politikern auftreten, haben diese wenig Anreiz, das Problem ernst zu nehmen.

Dieser Widerspruch setzt sich verstärkt auf den Finanzmärkten fort: Da die stärksten Auswirkungen des Klimawandels die sehr kurzfristigen Planungshorizonte der Finanzmarktakteure überschreiten, bestehen für sie wenig Anreize den Klimawandel bei Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. Sobald der Klimawandel aber ein ernsthaftes Problem für die Finanzmärkte und ihre Stabilität geworden ist, wird es zu spät sein, ihn wirksam einzudämmen und Schäden abzuwenden. Doch bereits seit den 80er Jahren haben sich weltweit die wetterbedingten Schadensfälle verdreifacht und sind die inflationsbereinigten Versicherungsschäden von im Schnitt ca. 9 auf 46 Milliarden Euro gestiegen.

[note Wetterbedingte Schadensfälle weltweit (1980–2014). Blau: Gesamtschäden. Grün: versicherte Schäden. Stand 2014. Werte inflationsbereinigt basierend auf dem landesweiten Verbraucherpreisindex – Quelle: PRA Report 2015, S.32 – basierend auf Daten des Munich Re NatCatSERVICE (2015).]

Drei Risikoklassen

Carney benannte in seiner Rede drei Risikoklassen, die durch den Klimawandel wachsen und die insbesondere für die Versicherungswirtschaft zunehmend relevant werden.

  1. Physische Risiken führen schon heute zur Fälligkeit von Verpflichtungen der Versicherer und können den Wert von Finanzanlagen erheblich beeinflussen. Wird durch Auswirkungen von Extremwetterereignissen (die durch den Klimawandel häufiger bzw. heftiger auftreten) z.B. Eigentum der Versicherungsnehmer zerstört, entstehen für die Versicherer direkte Kosten. Zusätzlich entstehen – oft in wesentlich größerem Ausmaß – indirekte Kosten, wenn Naturkatastrophen globale Handelsströme beeinträchtigen, z.B. durch die Zerstörung von Produktionsstätten oder Verkehrsinfrastruktur. Geht man davon aus, dass die Wettertrends der letzten Jahrzehnte einen langfristigen Trend repräsentieren, wären die Schäden in heutigen Verlust- und Schadensmodellen bis zu 50% unterschätzt. Durch die Anpassung dieser Modelle könnten sich in der Folge Geschäftsmodelle, die aktuell noch als lukrativ eingeschätzt werden, als unrentabel herausstellen. Dieser Prozess kann ebenso dazu führen, dass Risikoprämien steigen oder der Versicherungsschutz gänzlich entfällt. Das hätte gravierende Folgen für die Menschen aus vom Klimawandel besonders gefährdeten Regionen, denen dadurch der Zugang zu Versicherungsleistungen verwehrt würde (oder die zumindest höhere Prämien zu zahlen haben).
  2. Haftungsrisiken kommen zustande, wenn vom Klimawandel betroffene Akteure Entschädigung oder Unterstützung für Schutzmaßnahmen von den Verursachern, also den Emittenten von Treibhausgasen, gerichtlich einfordern. Neben den Emittenten selbst wären insbesondere deren Versicherer betroffen („Drittparteienrisiko“). Klagerisiken sind bereits heute akut, auch wenn sie wohl erst nach juristischen Durchbrüchen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten drastisch zunehmen werden. Eine finanzielle Bewertung dieses Risikos fällt auch mit moderner Risikomodellierung noch schwer. Damit eng verbunden ist die Diskussion um die treuhänderische Pflicht („fiduciary duty“) von institutionellen Investoren, also Investoren, die im Auftrag ihrer Kunden (z.B. für die Altersvorsorge) deren Einlagen verwalten und gewinnbringend und nachhaltig anlegen. Dabei gilt der Grundsatz, dass im Rahmen der Anlagestrategie alle finanziellen Risiken berücksichtigt werden müssen. Dies gilt eben auch für die mit dem Klimawandel verbundenen finanziellen Risiken. Werden Klimarisiken nicht berücksichtigt, kann das einen Verstoß gegen diesen Grundsatz bedeuten.
  3. Daneben drohen Versicherern sogenannte Transformationsrisiken. Politische Maßnahmen in Richtung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft – etwa die stärkere Regulierung bis hin zum Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas – könnte die Neubewertung von Unternehmen nach sich ziehen – sowohl von direkt betroffenen Unternehmen als auch von Investoren. Dadurch entstehen weitere finanzielle Risiken. Dieser Prozess würde neben entsprechender politischer Rahmensetzung auch durch Innovation und technologische Entwicklungen – etwa die Verdrängung fossiler Energieträger durch immer kostengünstigere Erneuerbare Energien – und nicht zuletzt durch wachsende physische Risiken verstärkt werden.

Neubewertung von Unternehmen kein Nachteil

Die Bewertung von Unternehmen erfolgt auf Basis von Fundamentaldaten, die Auskunft über die jeweiligen Geschäftsmodelle und deren zukünftiger Bestandsfähigkeit geben. Unternehmensinformationen sind damit wichtige Kennzahlen für Investitionsentscheidungen. Ändern sich diese, ändert sich auch die Bewertung von Unternehmen. „Informationsmärkte“ steuern im Idealfall diesen Prozess. Carney sah in der Neubewertung von Unternehmen (aus der volkswirtschaftlichen Sicht eines Regulierers) keinen Nachteil. Im Gegenteil: Die Verteilung von Kapital sollte möglichst auf Basis verfügbarer Informationen und Fundamentaldaten erfolgen und auch Externalitäten, also zum Beispiel durch den Klimawandel entstehende Kosten, abbilden.

Allerdings: Eine abrupte Neubewertung von Unternehmen könne Märkte destabilisieren, und prozyklisch, das heißt verstärkend auf Verluste und Marktkonditionen wirken. Eine allzu plötzliche Auflösung der „Tragedy of the Horizons“ könnte somit eine große Gefahr für die Stabilität der Finanzmärkte bedeuten. Eine Lösung dieses Dilemmas sah Carney in der vorausschauenden und schrittweisen Neujustierung von Investitionen. In der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft sah er demnach auch eine große Chance, vor allem für langfristige Investoren wie Versicherungsfirmen. Chancen für gute Investitionen liegen zum Beispiel im Infrastrukturbereich.

Carbon Bubble – Divestment

Implizit weist Carney in diesem Zusammenhang auf die Gefahr der viel diskutierten „Carbon Bubble“ hin: Das 2°C-Limit stellt nach klimawissenschaftlichen Erkenntnissen die Grenze des weltweiten Temperaturanstiegs dar, bei deren Überschreitung das Risiko stark steigt, dass die Folgen des Klimawandels nicht mehr beherrschbar wären. Der Weltklimarat IPCC hat errechnet, dass dafür insgesamt nicht mehr als 2900 Gt [[CO2]] ausgestoßen werden dürften (davon sind bereits ca. 2000 Gt [[CO2]] verbraucht, es verbleiben ca. 900 Gt [[CO2]] – so der Stand 2015). Das globale [[CO2]]-Budget wäre schon bald aufgebraucht, würden weiter Investitionen in die Extraktion und Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas fließen – die fossilen Reserven umfassen deutlich mehr Treibhausgaspotenzial als das verbleibende Budget von 900 Gt [[CO2]]. Diese Investitionen könnten aber abrupt an Wert verlieren, wenn zur Einhaltung des [[CO2]]-Budgets keine zusätzlichen fossilen Energieträger verbrannt werden dürften. Ein solcher plötzlicher Wertverlust könnte die Stabilität der Weltfinanzmärkte erschüttern. Risikoträger sind vor allem diejenigen institutionelle Investoren, die prozentual stark in die extraktive Industrie investiert haben.

[note Globales CO2-Budget (für ein Szenario, bei dem wir mit >66% Wahrscheinlichkeit unter 2°C Temperaturerhöhung bleiben) vs. CO2-Intensität fossiler Energiereserven global – Quelle © Prudential Regulation Authority (PRA) Report 2015, S.53 (basierend auf IPCC (2014), Carbon Tracker (2013) und Berechnungen der PRA der Bank of England (2015))]

Umgang mit den Risiken – drei Lösungsansätze

Um den klimabedingten Risiken für die Finanzmärkte zu begegnen, schlägt Mark Carney drei aufeinander aufbauende konkrete Lösungsansätze vor:

  • die Veröffentlichung klimarelevanter Informationen,
  • die Einführung von CO2-Preiskorridoren und
  • die Durchführung von Klima-„Stresstests“
  1. Die Einrichtung einer „Climate Disclosure Task Force“ zur Verschärfung der Offenlegungsverpflichtungen für Unternehmen soll die für die Risikoabschätzung notwendige Transparenz von Emissionsdaten verbessern. Unternehmen müssten demnach einerseits ihre gegenwärtigen Emissionen berechnen und offenlegen. Andererseits sollten sie erläutern – und dieser Vorschlag ist sehr innovativ – wie ihre Strategie für den Übergang in eine CO2-arme Wirtschaft aussieht. Die Bewertung dieser Strategien sollte – so Carney – in die Unternehmensbewertung einfließen. Dazu müssen die offengelegten Daten konsistent, vergleichbar, verlässlich und eindeutig sein. Die Entwicklung gemeinsamer Standards sollten laut Carney die G20-Staaten und der Finanzmarktstabilitätsrat koordinieren. Diese Staatengruppe hält er für den geeigneten Startpunkt für eine solche Initiative, da diese für 85% der globalen Emissionen verantwortlich ist und damit großes Potenzial hat, Veränderungen zu forcieren.
  2. Zusätzlich schlägt Carney vor, dass die Regierungen der G20-Staaten Impulse für die Festsetzung von CO2-Preisen setzen. Variable aber steigende Unter- und Obergrenzen könnten einen Preiskorridor vorgeben, der zur Einhaltung des Zwei-Grad-Limits führt. Den Staaten bliebe überlassen, ob sie das CO2-Preis-Signal über Emissionshandel, Steuer, Abgabe oder ordnungsrechtliche Ansätze erzeugen. Dieser Ansatz verbindet Flexibilität bei der Preisfestsetzung und die Notwendigkeit belastbarer – aber auch flexibler – politischer Rahmensetzung.
  3. Letztlich diskutiert Carney die Rolle von Klimastresstests. Stresstests erlauben ökonomische Schocks und deren Auswirkungen auf finanzielle Kennzahlen oder Vermögensanlagen zu simulieren. Die beschriebenen Klimawandelrisiken, so Carney, können die Gewinne von Unternehmen schmälern, und Stresstests könnten das Ausmaß potentieller Gewinneinbußen am besten abbilden. Mit diesem Instrument, das vor allem von der Versicherungswirtschaft eingesetzt und perfektioniert wird, können zukünftige Risiken bereits heute sichtbar gemacht werden. So schaffen Klimastresstests, die auf Basis transparenter Daten und unter Berücksichtigung politisch empfohlener CO2-Preiskorridore durchgeführt werden, die Grundlage für besseres und gemeinsames Handeln.

Wenn ein Finanzmarktregulierer wie Mark Carney so eindringlich auf die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken für die Stabilität des Finanzmarktes hinweist, könnte dies – wie eingangs gesagt – bahnbrechende Auswirkungen haben. Die Umsetzung seiner Vorschläge könnte eine wichtige Triebkraft für den schrittweisen Umbau der G20-Wirtschaftssysteme werden – und dabei helfen, den Weg zu einem nachhaltigen 2°C-Pfad zu ebnen.

Quellen: