Ralf Fücks: „Eigentum für alle! Vermögensverteilung und Vermögenspolitik in Deutschland“

Zur aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) über die Verteilung von Vermögen in Deutschland.

Ralph Fücks – Foto © libmod.deJPG

It‘s a rich man’s world: Folgt man einem aktuellen Forschungsbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sind die Vermögen in Deutschland extrem ungleich verteilt. Nach dieser Rechnung besitzen die obersten zehn Prozent knapp 64 Prozent des Volksvermögens, das top ein Prozent rund ein Drittel und die reichsten 45 Haushalte im Land 4,7 Prozent – etwa so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Während die Einkommensverteilung innerhalb der letzten Dekade entgegen der gefühlten öffentlichen Wahrnehmung einigermaßen stabil geblieben ist, hat sich die Kluft zwischen Vermögenden und Habenichtsen weiter geöffnet.

Der Börsen- und Immobilienboom hat die Vermögenswerte aufgeblasen – wer hat, dem wird gegeben, wer allein von seinem Gehalt leben muss, kann keine großen Sprünge machen. Dieser Trend wird durch die unterschiedliche Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen noch verstärkt.

Allerdings werden in der DIW-Studie Renten- und Pensionsansprüche nicht erfasst – das verzerrt die Statistik zugunsten der „Reichen“. Selbstständige müssen für ihre Altersvorsorge privates Vermögen bilden, während Angestellte und Beamte individuelle Ansprüche auf ein kollektives Vermögen erwerben. Wer über eine gut dotierte Pension verfügt, ist im Alter oft besser dran als Kleinunternehmer oder Freiberufler, die von ihrem Kapital leben müssen.

Außerdem sind gerade in Deutschland mit seiner mittelständischen Wirtschaftsstruktur große Vermögen häufig in Familienunternehmen gebunden, die Tausenden von Menschen Beschäftigung und Einkommen bieten und vor Ort Steuern zahlen. Ihr Reichtum kommt also durchaus dem Gemeinwohl zugute.

Verteilungsgerechtigkeit zählt

Beides sollte man bedenken, bevor man angesichts der DIW-Zahlen in Schnappatmung ausbricht. Dennoch bleibt die Schieflage der Vermögensverteilung eine Tatsache, über die man nicht achselzuckend hinwegsehen kann. Sie untergräbt die Chancengleichheit, schafft völlig getrennte Lebenswelten, die kaum noch miteinander in Berührung kommen und bläht den spekulativen Finanzsektor auf.

Da Kapitaleinkommen tendenziell stärker steigen als Löhne und Gehälter, vergrößert eine starke Ungleichheit von Vermögen langfristig auch die Ungleichheit bei der Einkommensentwicklung. Es spricht einiges dafür, dass die Konzentration von Einkommen und Vermögen am oberen Ende der Gesellschaft die Wachstumsdynamik der Wirtschaft dämpft. Dazu kommt ein nicht zu unterschätzendes politisch-psychologisches Moment: Wenn die Mehrheit der Bürger den Eindruck hat, dass es nicht mehr gerecht zugeht, zerstört das die Legitimation einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung.

Die soziale Marktwirtschaft beruht auf dem Versprechen vom „Wohlstand für alle“. Wenn ein großer Teil der Leute, die sich jeden Tag abrackern, auf der Stelle tritt, während die Vermögenden immer reicher werden, ist das Wasser auf die Mühlen der Populisten von links und rechts. Das alles sind Gründe, weshalb eine ausgewogenere Verteilung von Vermögen auf die politische Tagesordnung gehört.

Wer in der Wiedereinführung der Vermögensteuer den Königsweg zu mehr Verteilungsgerechtigkeit sieht, springt allerdings zu kurz. Wenn Vermögensteuern eine signifikante Verteilungswirkung haben sollen, müssen sie so hoch angesetzt werden, dass sie empfindlich in Betriebsvermögen eingreifen und die Altersvorsorge von Selbstständigen angreifen. Beides ist wirtschafts- und gesellschaftspolitisch kontraproduktiv. Gleichzeitig setzt die Vermögensbesteuerung nur bei den Symptomen an, statt die Ursachen des Problems anzugehen: die mangelnde Vermögensbildung breiter Bevölkerungsschichten.

Der Schlüssel für die Vermögensverteilung liegt in der Beteiligung am Produktivkapital und am Immobilienstock. Die Trennlinie bei der Vermögensverteilung verläuft zwischen den Schichten, die Unternehmensanteile und attraktive Immobilien besitzen, und denen, die allein auf ihre laufenden Einkommen angewiesen sind. Wer die Kluft zwischen „unten“ und „oben“ verkleinern will, muss das Eigentum an Unternehmen und Immobilien auf breitere Grundlagen stellen. Nicht „Abschaffung des Eigentums“, sondern „Eigentum für alle“ ist die freiheitliche Antwort auf die Vermögensfrage.

Vermögensbildung fördern

Wie kann die Eigentumsbildung von Arbeitern und Angestellten befördert werden? Zum einen durch höhere Nettoeinkommen, die auch eine höhere Sparleistung ermöglichen. Eine Abflachung der „kalten Progression“ bei der Lohn- und Einkommensteuer würde hier schon helfen. Die reichlich sprudelnden Steuereinnahmen bieten Spielraum für eine sehr viel ambitioniertere Reform des Steuertarifs, als Union und SPD bisher vorhaben.

Der Erwerb von Aktien und Immobilien durch untere und mittlere Einkommensschichten sollte steuerlich stärker gefördert werden. Auch Arbeitgeber und Gewerkschaften können hier mehr tun, etwa durch den Ausbau vermögenswirksamer Leistungen als Teil von Tariferhöhungen. So könnte ein Teil der ausgehandelten Lohnsteigerungen in überbetriebliche Fonds fließen, die in einheimische Unternehmen investieren. Langfristig würde damit der Anteil breiter Bevölkerungsschichten am Volksvermögen exponentiell wachsen. Auch die innerbetriebliche Beteiligung der Mitarbeiter ist ausbaufähig. Wenn Arbeiter und Angestellte zu Miteigentümern werden, stärkt das ihre Identifikation mit dem Unternehmen.

Nicht zuletzt kommt es auf eine möglichst gute Bildung für möglichst alle an. In einer Wissensgesellschaft sind Allgemeinbildung und berufliche Qualifizierung das wichtigste „Produktivvermögen“. Sie sind der Schlüssel für beruflichen Erfolg, Einkommen und soziale Teilhabe. Deshalb sind Investitionen in das öffentliche Bildungssystem auch ein Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft. Teilhabegerechtigkeit vermittelt sich nicht nur über private Einkommen und Vermögen, sondern auch über öffentliche Institutionen.

Wer eine freiheitliche Wirtschaftsordnung mit Privateigentum, Unternehmergeist und offenen Märkten verteidigen will, muss sich der Gerechtigkeitsdebatte stellen. Globalisierung und digitale Revolution sind keine Garanten für mehr Wohlstand für alle. Wie die Erfahrung zeigt, führen sie eher zu einer wachsenden Polarisierung zwischen Gewinnern und Verlierern der neuen Wirtschaftswelt. Die Verfechter der liberalen Demokratie dürfen die Debatte über Verteilungsgerechtigkeit nicht ihren Gegnern überlassen.

Ralf Fücks war über lange Jahre Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist jetzt geschäftsführender Gesellschafter des neu gegründeten Zentrums Liberale Moderne in Berlin

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