Ernst Ulrich von Weizsäcker 80:
„Wir sind dran: Inspirieren – Reflektieren – Handeln“

Symposium zu den großen Herausforderungen in Umwelt, Klima, Gesellschaft und Nachhaltigkeit

Ernst Ulrich von Weizsäcker – Foto © Gerhard Hofmann

Die Herausforderungen sind gewaltig – egal ob Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung, Artensterben, ökonomische Ungerechtigkeit oder Sicherheit. Wie lassen sich hier Denkmuster durchbrechen, Chancen erkennen und intelligent Handlungspotenziale bündeln? Ernst Ulrich von Weizsäcker, anerkannter und engagierter Vordenker, setzt sich seit Jahrzehnten mit diesen drängenden Fragen auseinander und entwickelt Antworten – zuletzt im Club of Rome-Bericht „Wir sind dran“. Wir sind dran: das bedeutet jetzt handeln und konkrete Maßnahmen umsetzen. Anlässlich seines 80. Geburtstags hielt Weizsäcker im Symposium die Keynote und setzte den Rahmen für die darauf folgenden Arbeitskreise und Diskussionen.

„Wir sind dran“

Weizsäcker begann mit seinem und Anders Wijkmans jüngstem Buch: „Wir sind dran“, dem dritten großen Club of Rome Bericht, erschienen 2018 (siehe: solarify.eu/was-wir-aendern-muessen-wenn-wir-bleiben-wollen). Der erste große Bericht hieß bekanntlich „Die Grenzen des Wachstums“. Das 1972 erschienen Buch war ein Weltbestseller. Der zweite große Bericht erschien 1991: „The First Global Revolution“ und sei heute fast vergessen. „Weil die globale Revolution völlig anders verlief.“

Im dritten großen Bericht gehe es um die „Nichtnachhaltigkeit der ‚Vollen Welt’“. Die heutigen Religionen und Denkmuster stammten alle aus der Zeit der leeren Welt und eigneten sich nicht für die volle Welt. Die erklärte Weizsäcker so: Nachhaltig sei die frühere, die „Leere Welt“ gewesen. Damals sei die Welt viel größer gewesen als die Erfordernisse menschlichen Wirtschaftens – „heute ist die ‚volle Welt‘ dafür viel zu klein“. Aus der Leeren Welt stammten

  • unsere Fruchtbarkeit,
  • die Kulturen der Welt,
  • die Raubbau Ökonomie.

„Aber die Welt war halt wunderschön groß.“ Für den Unterschied zwischen leer und voll nannte Weizsäcker Beispiele: „Wenn du in der leeren Welt bist und willst mehr Fische haben, dann brauchst du

  • mehr Fischer,
  • mehr Boote,
  • mehr Angeln oder Netze …“

… und in der Vollen Welt?

  • Schutzzonen mit Fischfang Verboten;
  • Fischfarmen;
  • Wirf weibliche Fische ins Meer zurück!
Ernst Ulrich von Weizsäcker – Foto © Gerhard Hofmann

„… also ungefähr das Gegenteil dessen, was man in der leeren Welt machte!“ Die Volle Welt heiße jetzt das Anthropozän, neu, entstanden nach 1950! Weizsäcker präsentierte einen makabren Messwert zum Anthropozän: 97% des Körpergewichts der auf dem Land lebenden Wirbeltiere seien Haust- und Schlachttiere (67%) und wir selbst (30%). Nur 3% bleiben für Wildtiere. Wir Menschen lassen den Wildtieren fast keinen Raum mehr. Da sei es kein Wunder, dass nun das Artensterben zum großen Drama werde – wenn das IPBES warne. eine Million Arten seien gefährdet oder bereits ausgestorben. Die dafür verantwortliche Umweltzerstörung finde heutzutage findet vor allem in den Entwicklungsländern statt.

Greta Thunberg vor cop24 – youtube.com

Das Klima entwickle sich alles andere als nachhaltig. Die Temperaturen steigen unentwegt. Der Klimaschock von 2018 (28 große Waldbrände allein in Schweden) habe den großen Erfolg von Greta Thunberg erst möglich gemacht. Aber nicht nur in Schweden: In Australien gebe es Jahrhundertdürre – in Indien immer wieder seit 10 Jahren, und ganz schlimm eben, im Juni 2019.

Vor uns die Sintflut?

Höchst bedrohlich sei der Meeresspiegelanstieg. Die Lufterwärmung sei vergleichsweise harmlos. Die Weltmeere nähmen viel mehr Wärme auf als die Atmosphäre. „Also ist die Bedrohung durch Meeresspiegelanstieg sehr real.“ Und die Übergänge könnten plötzlich kommen. Den Sprung kennen wir als „die Sintflut“. Weit über eine Milliarde Menschen leben heute direkt am Meer – allein in Asien ca 800 Millionen: „Wenn die auf einmal zu Flüchtlingen werden, haben wir ein Flüchtlingsproblem tausend mal größer als 2015!“

Natürlich seien wir froh über das Klimaabkommen von Paris gewesen. Aber wie reagiere die Politik? „Tja, wir müssen uns mehr ums Klima kümmern. Aber das wird verdammt teuer. Also brauchen wir jetzt erstmal viel mehr Wachstum.“ Ist das die richtige Antwort? Nein, es ist die falsche Antwort! Denn das Wachstum gehe ziemlich strikt mit CO2-Ausstößen einher.

Uniper-Braunkohle-Kraftwerk Schkopau – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Wir seien scheinbar halbwegs anständige Diagnoseärzte: Die globale Erwärmung ist eine schwere Krankheit. Aber als Therapeuten seien wir komplette Versager. Systematisch schlügen wir Therapien vor, welche die Krankheit verschlimmerten – „wenn das nicht eine philosophische Krise anzeigt!“ Na ja, meinte Weizsäcker, „Wahrheit ist eben unbequem, und Lügen bequem für Populisten und andere.“

Das Bevölkerungswachstum stehe im Zentrum der Vollen Welt. Ihre Dynamik sei vor allem in den Entwicklungsländern. Ebenso wie bei Kohlekraftwerken: auch hier sei die Dynamik in den Entwicklungsländern: Weltweit seien 1.380 neue Kohlekraftwerke in Planung oder im Bau – 90 Prozent davon (also mehr als 1200!) in den Entwicklungsländern. Weizsäcker: „Insofern ist eine Klimapolitik, die nur die Industrieländer betrifft, weitestgehend sinnlos!“

Missliche Lage der Parteien

In einem Exkurs streifte der Jubilar kurz die Erosion der Parteienlandschaft. Er ging weit zurück. 1950 bis 1990 seien die „goldenen Jahre der Demokratie“ gewesen. „Die Wirtschaft musste sich dem Staat unterordnen, florierte aber. Der Staat diente ja als Bollwerk gegen den Kommunismus.“ Dann kam 1990 und der Sieg des Kapitalismus. Das Ergebnnis: „Der Kommunismus ist besiegt. Wozu jetzt noch Sozialstaat? Der Staat soll sich dünn machen!“

Für den Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sei der doktrinäre Kapitalismus der 80er (in den USA und England) und der 90er Jahre „grandios gescheitert“: „Ein Kurswechsel hin zu einem progressiven Kapitalismus ist nötig. Dieser progressive Kapitalismus … stellt sicher, dass die Wirtschaft zum Wohle aller funktioniert“, habe Stiglitz vor kurzem gesagt. Laut Weizsäcker muss das Parteienverhalten „auch als Reaktion auf den doktrinären Kapitalismus gesehen werden“. Und er nannte vier Punkte zur heutigen Parteienlandschaft:

  1. Warum ist die SPD so schwach?
  2. Was, zum Kuckuck, ist die Attraktion der AfD?
  3. Brauchen wir wieder die zwei Volksparteien?
  4. Lösungsperspektiven für die SPD.

1. Warum ist die SPD heute so schwach? Weil sie die Ziele, um derentwillen sie gegründet wurde, im Wesentlichen erreicht hat, z.B.:

  • Allgemeines Wahlrecht
  • Tarifverträge mit den Gewerkschaften
  • Altersversorgung
  • Krankenversicherung
  • Arbeitslosengeld
  • Steuerprogression
  • Mitbestimmung

Ralf Dahrendorf habe 1983 vom „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“ gesprochen: „In seinen besten Möglichkeiten war das (20.) Jahrhundert sozial und demokratisch. An seinem Ende sind wir fast alle Sozialdemokraten geworden“. Und: „Der Sozialdemokratie ergeht es zum Ausgang des 20. Jahrhunderts wie den Liberalen zu Beginn desselben: Sie verlieren ihre Identität, ihre Unverwechsel barkeit, weil der Kern ihrer Idee Allgemeingut wird,“ habe Fritz Goergen 2015 Habermas geschrieben. Weizsäcker: „Wer sich dies klarmacht, muss vehement den bei Journalisten beliebten Erklärungen widersprechen, wie: ‚Schröder ist schuld‘, ‚GroKo ist schuld‘, ‚Nahles ist schuld‘, ‚Kevin Kühnert ist schuld'“.

Das “Sozialgesetzbuch“ bestehe in Wirklichkeit aus zwölf Büchern – „August Bebel würde Tränen der Rührung vergießen.“ Jetzt bei der SPD „mit der Pinzette“ noch in der Sozialpolitik nachzubessern, könne zwar nötig sein, sei aber „für die Programmatik einer Volkspartei einfach viel zu wenig“. Da sei es kein Wunder, wenn am Ende nur zwei Prozent der Wähler fänden, dass die SPD die besten Antworten auf die Fragen der Zukunft habe.

Weltweite Ungleichheit der Einkommen – die ‚Elefantenkurve‘ – Grafik © Branko Milanovic

2. Was, zum Kuckuck, ist die Attraktion der AfD? Historisch analytisch gesehen, gehören AfD-Wähler zum Abwärtsrüssel der sogenannten „Elefantenkurve“, die Darstellung des Ungleichgewichts der Vermögensverteilung: Die acht reichsten Milliardäre besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit. „Da entwickelt sich Wut auf die internationalen ‚Eliten’…. und die Schuld schiebt man fälschlich der EU zu. Die Wut auf die Eliten gehört zum Standard Repertoire der AfD.“

Abwärtsrüssel der Elefantenkurve – Grafik © Branko Milanovic

Und dann seien 2015 die Flüchtlinge dazugekommen, denen der Staat angeblich die Wohnungen gegeben habe, die nun den Armen in Ostdeutschland fehlten. „Noch mehr Wut. Aber keine praktischen Antworten….“ Dabei sei die Tragödie für die AfD-Wähler: Schuldzuweisung an die EU oder gar die Renationalisierung der Wirtschaft sei „das idiotischste Rezept für die Menschen im Abwärts-Elefantenrüssel. Weizsäcker: „Nein! Nur in der EU und im Kräftemessen der EU mit USA und China geht‘s wieder aufwärts!“

3. Brauchen wir wieder die zwei Volksparteien?

Ob wir die zwei Volksparteien wieder bräuchten? Und ob wir dazu die „Groko“ zertrümmern müssten? („noch so eine gängige Journalisten-Weisheit“)
a) Richtig sei: Die Große Koalition dürfe kein Dauerzustand sein, denn das stärke die Randparteien.
b) Aber keinem OECD-Land gehe es besser als Deutschland mit seiner momentanen Regierung.
c) Man verstehe nicht recht, warum die Große Koalition ständig „Denkzettel“ bekommen müsse. „Seien wir doch froh, dass bei uns Volksverdummer wie Salvini, Orban, Trump oder Boris Johnson keine Mehrheiten kriegen! Was ich verstehe, ist dass das alte CDU/SPD Spektrum die heutigen Herausforderungen nicht mehr gut abdeckt.“
d) Historisch: in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg sei es wunderbar gewesen, dass es eine eher vorsichtige und eine progressive Volkspartei mit „sozialdemokratischem“ Programm gegeben habe, die einander etwa alle 10 Jahre abwechselten. „Aber diese Konstellation ist jetzt Geschichte.“
e) Die wenigen übriggebliebenen Länder mit der Aufteilung in zwei große Volksparteien seien heute eher abschreckend, etwa Polen, Türkei, Großbritannien oder die USA. Die Länder seien gespalten, der Umgangston hasserfüllt, und Sieger seien meistens Rechtsradikale. „Natürlich wünsche ich mir eine große linke Volkspartei. Die muss die sich aber mehr um die Zukunft kümmern! Da haben die Grünen einen Vorteil vor der SPD, weil sie programmatisch mehr auf die Zukunft ausgerichtet sind. Aber warum dann nicht eine Partei wie die von Jesse Klaver, 33, gegründete holländische GroenLinks, inzwischen schon drittstärkste Partei in Holland?“

4. Lösungsperspektiven für die SPD

Sie müsse entschlossen Zukunftsaufgaben anpacken . Die seien hauptsächlich international („Weltinnenpolitik“):

  • Fridays-for-Future-Demonstration in Berlin – Foto © Gerhard Hofmann

    Klima: Unterstützung von Fridays for Future; Entwicklungsländer einbeziehen („Budget Ansatz“: wie viel CO2 dürfen wir noch emittieren, damit wir die 1,5-Grad-Grenze nicht überschreiten?)

  • Frieden, Völkerverständigung: Gefährlicher neuer Rüstungswettlauf! UNO stärken! Trump Doktrin (Nationen sind immer Rivalen) brandmarken und diskreditieren. Russland verstehen
  • Finanzmärkte: G20 wieder zur politischen Kraft der Finanzmarktkontrolle machen. Das war die G20 Gründungsidee nach der Krise von 2008/2009. Der Beschluss der Finanzminister in Fukuoka dieser Tage war ein Glückstag für die Welt – so Weizsäcker, der sich ausdrücklich bei Olaf Scholz bedankte.
  • Technologiebewusstsein:
    a) internationale Wettbewerbsfähigkeit,
    b) Technikfolgenabschätzung bei hochbrisanten neuen Techniken
  • Europa als Friedensprojekt: gemeinsame Steuerpolitik mit ökologischer Note; Finanzprogramm für Öffentliche Güter! EU Außenpolitik stärken.
  • Kommunalpolitik: Da ist die SPD in den Großstädten immer noch die Nummer 1. Jetzt gerade wieder in Wiesbaden!

„Das waren nur Stichworte. Wenn man mit SPD nicht mehr Hartz IV und dessen Abwicklung assoziiert, sondern mit diesen sechs Stichworten, laufen die Leute der SPD wieder in Scharen zu“

Was also tun („und zwar wir alle, nicht bloß die SPD“)

  • Strategisch und philosophisch nachdenken über die Aufgaben in der Vollen Welt!
  • Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen!
  • Klimapolitik weltweit statt national! („Budget Ansatz“)
  • Technische Effizienzrevolution!
  • Technikfolgenabschätzung (und Kritik am amerikanischen „disruptive“ Hype!)
  • Balance zwischen Innovation und Stabilisierung („Fridays for Stabilization“)

Strategisch und philosophisch nachdenken

Aus all dem resultiere die Anregung, dass wir auf eine neue Aufklärung zusteuern sollten. Der Club of Rome fordere „nichts weniger als diese Neue Aufklärung“. Zentral darin sei die „Forderung nach Recht statt Rechthaberei. Das heißt auch Balance und Stabilisierung.“ Die Preise müssten die ökologische Wahrheit sagen (1990 hat Weizsäcker einmal formuliert, der Kommunismus sei deshalb zusammengebrochen, weil er den Preisen nicht erlaubt habe, die ökonomische Wahrheit zu sagen). „Aber der Kapitalismus wird zusammenbrechen, wenn er den Preisen nicht erlaubt, die ökologische Wahrheit zu sagen! Hier kommt die CO2-Steuer ins Spiel.“

Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Christiane von Weizsäcker, Svenja Schulze – Foto © Gerhard Hofmann

Klimapolitik müsse weltweit betrieben werden, statt nur national. Weizsäcker wies auf den „Budget-Ansatz“ des WBGU von 2009 hin. Er sei die vielleicht einzige Politikoption, welche die Klimakatastrophe noch abwenden könne. Denn er würde den Klimaschutz in den Entwicklungsländern lukrativ machen. Weizsäcker. „Das wäre sensationell! Die Klimakonferenzen hätten auf einmal richtig Sinn!“

Natürlich würden die USA, Russland, Polen, Saudi-Arabien und ein paar andere nicht mitmachen. Aber die EU (minus Polen), Japan, Kanada und ein paar andere aus dem „Norden“ können als Pioniere den Anfang machen – aber so, dass es keine nennenswerte Industriewanderung und keine Kapitalvernichtung gebe. Die Pioniere wären, wenn man es gescheit mache, die Gewinner – „so wie Japan in den 1970er 80er Jahren“.

Technische Effizienzrevolution

Die Wirtschaftsleistung müsste weitgehend von den Treibhausgasemissionen und vom Naturverbrauch entkoppelt werden. Er verwies auf den Club of Rome-Bestseller von Gunter Pauli: „Building the Blue Economy – 10 years, 100 innovations, 100 million jobs“. Die Blue Economy habe schon viele Milliarden Dollar aktiviert und drei Millionen Jobs geschaffen. Analog dazu nannte Weizsäcker sein Buch „Faktor Fünf“ – auch ein Club of Rome Bericht zum Thema Nachhaltiges Wachstum. Als Beispiel nannte er Franz Josef Radermachers klimaneutrale Verbrennungsmotoren – die klängen zunächst zwar absurd, seien aber machbar: Power-to-Gas und CO2-Recycling: Solar oder Windstrom spalten Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. H2 und CO2 vereinigen sich zu CH3OH, genannt Methanol. Methanol wird wie sonst Benzin oder Kohle in den vorhandenen Autos und Industrien verbrannt – das sei aber nicht die einzige Lösung (siehe: solarify.eu/alternative-kraftstoffe-synthetische-treibstoffe-desinger-fuels-e-fuels).

„Ökonomisch laufen die meisten Entkopplungstechnologien nur, wenn der Naturverbrauch teurer wird. Die Märkte schaffen das nicht. Also müssen wir politisch dafür sorgen, dass die Preise halbwegs die ökologische Wahrheit sagen!“ Weizsäckers Grundidee: CO2– und Rohstoffpreise laufend parallel zu den Effizienzgewinnen anzuheben – das sei sozialverträglich und industrieverträglich und „wunderbar kalkulierbar für Investoren“. Technikfolgenabschätzung (und gleichzeitig Kritik am „disruptive“ Hype): Es gebe immer wieder faszinierende neue Technologien. Aber fast immer enthielten sie Gefahren, „manchmal tödliche“. Der amerikanische Hype der „disruptive technologies“ ignoriere die Gefahren. Technikfolgenabschätzung sei hier „das Mittel der Wahl“. Besonders brisant ist in Weizsäckers Augen hier eine Technologie, die man beschönigend „gene drive“ nenne. Damit könne man theoretisch ganze Tierarten ausrotten. Und die zugehörige Lobby versuche, „jegliche rechtliche Einschränkung oder Folgenabschätzung zu verhindern“.

Eine Balance zwischen Innovation und Stabilisierung sei nötig – etwa eine Bewegung namens „Fridays for Stabilization“, eine Balance zwischen Mensch und Natur, Kurzfrist und Langfrist oder öffentlichen und privaten Gütern. Menschheit und Natur seien ja nicht nur durch die Klimaerwärmung in Gefahr. Die aberwitzige Beschleunigung der Wirtschaftsprozesse ruft ja darüber hinaus die große Gefahr der Destabilisierung auf den Plan. Es werde viel Zeit kosten, „bis sich dieser Systemfehler der Geschwindigkeitsprämien und der Verhinderung negativer Rückkopplung in unserer Zivilisation herumspricht. Dann aber bekommen wir hoffentlich eine „Fridays for Stabilization“ Bewegung.“

In einer späteren Diskussion wies Weizsäcker darauf hin, dass die amerikanische analytische Philosophie dazu führe, „dass man bestimmte Fragen gar nicht mehr stellt.“ Die Nachhaltigkeitsziele der UN seien wunderbar, aber was in der Realität damit geschehe? In den ersten 11 Zielen heiße es immer wieder „Wachstum, Wachstum, Wachstum“. Das hätten die Entwicklungsländer da hineingebracht, als man sie mit ins Boot geholt habe. Wenn die aber verwirklicht würden, dann seien die drei wichtigsten – Klima, Ozeane, Luft – praktisch tot.

Vorträge, Workshops, Diskussionsrunden

In Vorträgen, zahlreichen interaktiven Workshops und Diskussionsrunden mit international renommierten Wissenschaftlern und Experten wurden unterschiedliche Themen und Lösungsszenarien diskutiert. Wie kann ein Wandel erfolgreich stattfinden? Welche Wege sollten wir gehen? Das Symposium wollte die vielschichtigen nachhaltigen Entwicklungsansätze verzahnen und neue Narrative, Lösungen und Handlungsoptionen schaffen. Im Zentrum standen die Themenfelder Bildung, Klimawandel und Ressourcenhunger, Balance zwischen Ökonomie und Ökologie, Spielregeln für die Globalisierung, Frieden und Sicherheit im globalen Kontext sowie Werte und Verantwortung für ein digitales Zeitalter. Die Unterveranstaltungen ergaben zahlreiche konkrete Anstöße für eine nachhaltige Transformation auf regionaler und globaler Ebene.

„Wir brauchen weniger Untergangs- sondern Übergangsszenarien. Übergänge in eine Welt, die mehr Freude macht als die jetzige. Wir brauchen eine ansteckende positive Vision von einer Welt, für die wir nicht verzichten ‚müssen‘, sondern gerne loslassen von dem, was uns eh nicht glücklich macht. Und genau dafür steht Ernst Ulrich von Weizsäcker“, sagte der Kabarettist und Moderator Eckart von Hirschhausen. „Die Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen“, ist eine der Forderungen, von denen Ottmar Edenhofer, Direktor am Potsdam-Institut für Klimaforschung (PIK) inspiriert wurde. „Auch wenn wir noch weit entfernt davon sind, muss es uns gelingen das umzusetzen, um eine sozial verträgliche und ökologische Marktwirtschaft aufbauen zu können, sagte er und dankt Ernst Ulrich von Weizsäcker für seine Erdpolitik, die dringender ist denn je.

Maja Göpel (WBGU) und Uwe Schneidewind (Wuppertal-Institut, das Weizsäcker 1990 gegründet hatte) schlugen die „erste genossenschaftliche Universität für Wirtschaftswissenschaften“ vor. Dazu müsse man die Genossenschaftsidee gemeinsam mit Scientists-for-Future weiter entwickeln; eben jetzt – während im Klimakabinett der Klimaschutzplan entstehe – gebe es ein „Window of Opportunity“, soziale und ökologische Verträglichkeit voranzubringen.

Mojib Latif (Geomar) und Peter Hennicke (Ex-Wuppertal) beklagten, dass wir alles wüssten, es aber nicht schafften, etwas zu ändern. Dezentralisierung sei dringend erforderlich, allerdings sei der sekuläre Trend dazu nicht mehr aufzuhalten. Die Politik sei zu fragen, warum nichts geschehe. Man müsse bereits in 10 Jahren aus der Kohle aussteigen. In Schleswig-Holstein entstehe eben eine von atmosfair unterstützte Produktionsstätte für synthetischen Kerosin.

Ernst Ulrich von Weizsäcker hört Schulze-Rede – Foto © Gerhard Hofmann

Umweltministerin Svenja Schulze Weizsäcker in „fünf Faktoren“. Faktor eins: Visionär und Vordenker

Thesen zu ihrer aktuellen Politik habe Weizsäcker schon in den 70er, 80er Jahren entwickelt. Und das Erstaunliche daran: Sie seien immer noch hochaktuell. Faktor zwei: Weizsäcker sei radikal und Realist – als Pionier und Vordenker werde er heute bewundert. Das sei nicht immer so gewesen. Denn er sei mit seinen Ideen stets seiner Zeit voraus gewesen: Er habe der Globalisierung Grenzen zu setzen, die Bändigung des Finanzmarktkapitalismus und die Effizienzrevolution gefordert. Mit allem habe er Recht behalten: „Was damals als radikal galt, gilt heute als notwendig.“

Wenn die Bundesregierung heute daran arbeite, bis 2050 in einem klimaneutralen Land zu leben, brauche man dafür „eine grundlegende Transformation, radikale Veränderungen, revolutionäre Technologien. Dein Beispiel zeigt, dass radikal und utopisch erscheinende Forderungen manchmal die realistischsten und vernünftigsten sind.“

Faktor drei: Der Problem-Löser – Probleme seien Ausgangspunkt seiner Überlegungen, nicht ihr Endpunkt. Er benenne konkrete Lösungen, zeige Auswege aus den Krisen der heutigen Zeit. Schulze. „Meine Arbeit als Umweltministerin wäre schwieriger ohne Deine Pionierarbeit.“ Als vierten Faktor nannte die Ministerin, Weizsäcker sei „Wissenschaftler und Politiker von ganzem Herzen“. Der Wissenschaftler im Elfenbeinturm sei so ziemlich das Gegenteil von dem, was er verkörpere. DennErneuerbare Energien stehe für interdisziplinäre und politiknahe Forschung. Schulze: „Zunehmend erkennen wir, dass die Umweltkrise DAS Zukunftsthema ist, das sozialdemokratischer Antworten bedarf. Und ich will an dieser Stelle ergänzen: Deine Thesen hätten schon früher das politische Profil unserer Partei prägen sollen. Dann stünden wir heute ein ganzes Stück besser da.“

Ernst-Ulrich von Weizsäcker und die Jugend – Foto © Gerhard Hofmann

Faktor Nummer fünf sei, dass Weizsäcker zwar stets seiner Zeit voraus gewesen sei, habe aber gleichzeitig darauf geachtet, die Menschen mitzunehmen. Seine Idee der “Neuen Aufklärung im Zeitalter des Anthropozän” nehme als Ausgangspunkt die Überlastung der Umwelt, der Ressourcen. „Aber sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Das ist der Kern sozialdemokratischer Umweltpolitik. Wie Du es formulierst: Wir müssen die Kilowattstunden arbeitslos machen – nicht die Menschen.Schließlich kam sie auf Weizsäckers „breites Engagement für eine friedlichere, tolerantere und menschlichere Welt“: Er stehe „für eine Welt mit weniger Rüstung und militärischen Bedrohungen. Eine Welt, in der der Kapitalismus gezähmt wird und in der das Individuum mit seiner unveräußerlichen Würde Mittelpunkt allen Handelns ist. Eine Welt, in der es sich zu leben lohnt und für die es sich zu kämpfen lohnt.“ Am Schluss ihrer Rede sagte Schulze: „Du gehörst einer Generation an, in der ein altväterliches ‚Deine Eltern können stolz auf dich sein‘ als ultimatives Lob gilt. Das trifft sicher zu. Aber für Dich gilt auch: ‚Deine Kinder, Deine Enkel und Urenkel können stolz auf dich sein.‘ Du hast Dein Leben lang an einer besseren Welt für sie gearbeitet. Mit Erfolg.“

Alt-Bundespräsident Horst Köhler nannte in seiner Festrede Weizsäcker einen „Universalgelehrten“, er sei nicht selten ein „Übersetzer zwischen den verschiedenen Welten“. Köhler hob hervor, dass Weizsäcker die Zukunft der Demokratie und der Ökologie in Zusammenhang sehe. Und: Er fürchte sich nicht, seine Erkenntnisse weiterzugeben; er sei „gleichzeitig Mahner und Sucher“. Er kämpfe gegen die Paradigmen des Kointrollverlustes und sage: „Wir können handeln“. Und dazu ermutige Weizsäcker uns alle.

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