EU-Finanzkommissarin: Grünes Finanzwesen trotz Roter Zahlen

„Klimanotstand erfordert Solidarität in der EU und globale Zusammenarbeit“

EU-Finanzkommissarin Mairead McGuiness forderte am 17.11.2020 in einem Gastbeitrag für EURACTIV, „die aktuelle Gelegenheit“ zu nutzen, um ein stabileres Bankensystem zu entwickeln: „Es heißt zwar, Geld regiert die Welt, doch auch das Finanzwesen kann sich den Rufen nach einem Wandel unter Einbeziehung gesellschaftlicher Aspekte wie Klimawandel und sozialer Inklusion nicht verschließen, schreibt EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness. Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten: Eine Pandemie zwingt uns, Arbeit, Wohnen und Freizeit völlig neu zu denken, und im Kampf gegen die Klimakrise besteht dringender Handlungsbedarf. Allein dieses Jahr wird die EU-Wirtschaft nach Schätzungen der Europäischen Kommission um acht Prozent einbrechen. Zugleich befinden wir uns im Klimanotstand, ausgerufen vom Europäischen Parlament im Dezember 2019 – gerade, als auch das Coronavirus zum ersten Mal auftrat. Nie zuvor waren Solidarität in der EU und globale Zusammenarbeit dringender gefordert.

Auch in der COVID-19-Krise kann und will Europa Maßnahmen gegen den Klimawandel und für einen ökologischen Neustart nicht auf die lange Bank schieben. Das Bekenntnis zum europäischen Green Deal ist ungebrochen; er hilft uns nicht nur, die Herausforderungen im Klima- und Umweltschutz anzugehen, sondern fördert auch nachhaltiges Wachstum und eine langfristige Erholung.  Erstmals in ihrer Geschichte nimmt die Europäische Kommission nun Geld auf, um ein Konjunkturprogramm zu finanzieren.  Wir werden die enorme Summe von 750 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen und Darlehen mobilisieren, um den Mitgliedstaaten aus der Krise zu helfen.  37 Prozent der Mittel für den Wiederaufbau sollen nach Vorschlag der Kommission für grüne Projekte reserviert werden. Geht es nach Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, werden zu diesem Zweck 30 Prozent der für das Konjunkturprogramm aufgenommenen Gelder aus grünen Anleihen stammen.

„Ökologisch und sozial orientierte Anleihen schneiden besser ab“

Erneuerbare Energien kosten Geld: PV und Euros – Foto © Gerhard Hofmann – Foto © Gerhard Hofmann

So soll es gelingen, den Finanzmarkt stärker zu mobilisieren und die nötigen Mittel für den Konjunkturaufschwung und die Klimawende aufzutreiben. Der Start war vielversprechend: Als die Kommission kürzlich Anleihen zur Unterstützung der EU-Arbeitsmärkte anbot, war das Marktinteresse enorm.  Anlagen, die ökologische und soziale Faktoren einbeziehen, schneiden in der Krise besser ab als der Rest des Marktes.  Pensionsfonds und andere Anleger fordern immer vehementer, dass Unternehmen klare Angaben dazu machen, wie sie mit Klima- und Umweltfragen und anderen nichtfinanziellen Aspekten umgehen.

Noch steckt die Ausrichtung des Finanzsystems auf Nachhaltigkeit in den Kinderschuhen; allerdings ist die Zeit nicht auf unserer Seite, wenn wir die massive Zerstörung unseres Planeten durch Klimawandel, Umweltschäden und den Verlust der Artenvielfalt aufhalten wollen.  Wir müssen von Grund auf umdenken. Nachhaltige Finanzierungen müssen gang und gäbe werden, wenn sie tatsächlich etwas für unsere Gesellschaft und unseren Planeten bewirken und dabei eine gute Rendite abwerfen sollen.  Die EU ist dabei Vorreiterin.

Die Europäische Kommission arbeitet auf Hochtouren an einer überarbeiteten Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen. Die Strategie wird Anfang 2021 auf den Weg gebracht und enthält exakt definierte Ziele mit klaren Fristen, damit wir langfristig auf Kurs bleiben. Die öffentliche Resonanz zeigt, dass unsere ehrgeizigen Pläne breite Zustimmung finden. Wir erarbeiten eine Taxonomie für ein nachhaltiges Finanzwesen, Regeln für die Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten durch Unternehmen und Anleger, Klima-Referenzwerte sowie Maßnahmen für grüne Anleihen und Umweltsiegel für Investitionen.

Die Taxonomie für ein nachhaltiges Finanzwesen ist eine Klassifizierung für „grüne“ Investitionstätigkeiten. Allerdings müssen wir auch Möglichkeiten finden, Sektoren und Industrien dabei zu unterstützen, von klimaschädlichen Praktiken abzugehen und so Schäden einzudämmen. Manche Seiten fordern eine Negativliste, die vorgibt, was heutzutage nicht mehr nachhaltig ist. Es gibt aber auch Bedenken, dass eine solche Liste Unternehmen und Projekten den Zugang zu Finanzierungen für den Übergang zu weniger schädlichen und letztlich nachhaltigen Tätigkeiten erschweren könnte. Mit all diesen Fragen befasst sich die neue Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen.

Welche Rolle können Übergangstechnologien spielen? Umweltschädliche Industriezweige und die Menschen, deren Lebensgrundlage sie sind, sollten durch politische Maßnahmen nicht über Gebühr bestraft werden. Sie sollten viel eher Anreize und Orientierungshilfen dafür bekommen, „sauber“ zu werden. Deshalb ist die Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen nicht nur umweltfreundlich, sondern auch sozial. Die COVID-Krise hat die Bedeutung eines krisenfesten öffentlichen Gesundheitswesens ins Blickfeld gerückt. Mehr als deutlich wurde auch, dass Geringverdiener – häufig Frauen – besonders gefährdet sind. Junge Menschen sind ebenfalls stark betroffen. Diesen Tatsachen müssen wir in unserer künftigen Investitionsagenda Rechnung tragen. Allein schafft Europa das nicht – deswegen arbeiten wir mit der Internationalen Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen zusammen. Und wir hoffen, dass der designierte US-Präsident Joe Biden, der sich klar zum Kampf gegen den Klimawandel bekennt, auch die Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen unterstützen wird.

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein – das sind nur noch 30 Jahre. Schon für 2030 haben wir uns ein deutlich ehrgeizigeres Ziel für die Senkung der CO2-Emissionen vorgenommen. Um das zu erreichen, sind enorme Investitionen nötig. So mancher Neinsager will diesen Plan im Keim ersticken und pocht auf ein Konjunkturprogramm ausgehend vom Status quo. Damit würden wir Geld mit nicht nachhaltigen und klimaschädlichen Praktiken verpulvern. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Unternehmen – ob groß oder klein – die Klima- und Umweltrisiken in ihren Geschäftstätigkeiten ignorieren, werden schon bald eine sehr unausgeglichene Bilanz vorweisen.

Dafür, dass Geld in nachhaltige Projekte fließt,  wird der solide rechtliche und politische Rahmen auf der Grundlage der überarbeiteten Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen sorgen. Ein grüner Wandel trotz Roter Zahlen – das ist nicht bloß möglich, sondern absolut notwendig.

->Quelle: euractiv.de/gruenes-finanzwesen-trotz-roter-zahlen