Beiträge der Kategorie: Allgemein

Hat Kapitalismus eine Zukunft?

von Irene Schöne

Ein Buch über „The Future of Capitalism – Facing the New Anxieties“ weckt große Hoffnungen beim Leser, weil er erwartet, dass die Probleme unserer heutigen Wirtschaftsweise benannt, ihre Ursachen analysiert und Lösungen vorgeschlagen werden, besonders wenn es von einem renommierten britischen Ökonomen wie Paul Collier stammt. Mit diesen Hoffnungen beginnt man die Lektüre.

Um es vorwegzusagen: Diese Hoffnungen werden enttäuscht. Colliers Buch hätte lieber einen Titel wie „Die Zukunft von Globalisierungsverlierern“ tragen sollen, anstelle „Die Zukunft des Kapitalismus“. Er befasst sich nur mit einem Ausschnitt unserer heutigen Probleme und ihren Folgewirkungen, nämlich mit der Frage, was eine Regierung tun kann, um die regionalen Verlierer der Globalisierung, u. a. seinen Geburtsort Sheffield, wieder zum Erblühen zu bringen. Neue Vorschläge zu machen, wie man den Verlust von Alt-Industrien ersetzen und Regionen wieder beleben kann, wäre ein Buch wert, vor allem wenn diese über die bisher bekannten hinausgingen, also über die öffentliche Förderung von Unternehmens-Neuansiedlungen und Start-ups. Globalisierungsverlierer gibt es zudem nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den früher Autos produzierenden Regionen der USA sowie in deutschen Stahl- und Schiffbauregionen. weiterlesen

Beirat für „Sustainable Finance“ nimmt Arbeit auf

Deutschland soll zu führendem Standort für nachhaltige Finanzen werden

Der Beirat soll die Bundesregierung bei der Ausarbeitung und Umsetzung ihrer Sustainable Finance-Strategie beraten, bestehende Expertise bündeln und den Dialog zwischen den relevanten Akteuren fördern.

Die Bundesregierung hat heute einen Beirat für „Sustainable Finance“ eingesetzt. Der Beirat soll die Bundesregierung bei der Ausarbeitung und Umsetzung ihrer Sustainable Finance-Strategie beraten, bestehende Expertise bündeln und den Dialog zwischen den relevanten Akteuren fördern. Unter Sustainable Finance (nachhaltige Finanzen) versteht die Bundesregierung die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei Entscheidungen der Finanzmarktakteure. Das Gremium setzt sich zusammen aus Vertretern und Vertreterinnen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sowie verschiedener Bundesressorts. weiterlesen

Die Strategie muss liefern! Nachhaltigkeitsrat empfiehlt Bundesregierung kreative Konsequenz

Vorbemerkung

Die Bundesregierung kündigt an, die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie weiterzuentwickeln. Der Arbeitsprozess soll im Herbst 2019 starten. Die Weiterentwicklung ist erforderlich. Es steht zu befürchten, dass wichtige Ziele nicht erreicht werden, wenn die Bundesregierung hier nicht konsequent nachsteuert. Auch neue Themen aus der Digitalisierung, der Wirtschaftsentwicklung und den Umweltschäden erfordern diese Weiterentwicklung. Neue Anforderungen stellen sich auch im europäischen und globalen Kontext. Es ist dringlich, die regionalen Akteure und Entscheidungsträger in das Handeln einzubeziehen. Hier gibt es neue, noch zu wenig genutzte Möglichkeiten für die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie.
Die internationale Prüfung durch eine Gruppe von hochrangigen Experten (Peer Review) unter Leitung von Helen Clark bescheinigt Deutschland einen fortgeschrittenen Aufbau von politischen Kapazitäten zur Nachhaltigkeitspolitik. Die Peers legen gleichwohl die Latte höher und weisen mit Dringlichkeit auf jene Ziele hin, die nicht erreicht werden (off track). In diesen Signalbereichen gibt es empfindliche Handlungslücken. Hier liegt eine große Aufgabe, die sowohl von der Bundesregierung, allen Institutionen mit Nachhaltigkeitsaufgaben, als auch von allen interessierten Kreisen angegangen werden muss. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie muss gewährleisten, dass Ziele auch erreicht werden. Darauf muss das politische Augenmerk gelegt werden. weiterlesen

Nachhaltige Geldanlagen: EU-Parlament will teils schärfere Regeln

Die EU arbeitet daran, die Finanzmärkte nachhaltiger zu machen. Das EU-Parlament hat am 26.04.2019 seine Position zu einem der wichtigsten Vorhaben vorgelegt, einem Definitionsrahmen für nachhaltige Geldanlagen. Immer noch gehen jede Woche Schülerinnen und Schüler weltweit für Klimaschutz auf die Straße – geht es nach Valdis Dombrovskis, dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission zuständig für Finanzdienstleistungen, hat die Politik längst eine Antwort auf die Forderungen der jungen Generation: „Meine Antwort an junge Menschen und Bürger auf der ganzen Welt ist klar: Die Europäische Union steht zu ihren Verpflichtungen, die wir mit dem Abkommen von Paris eingegangen sind“, sagte er zum Auftakt des zweiten Gipfels für eine Nachhaltige Finanzwirtschaft der EU im März in Brüssel. weiterlesen

„Nachhaltigkeit muss in den Mainstream des Kapitalmarkts“

Alicia Prager auf EURACTIV.de

Einen Neustart des Finanzsystems, ein Umdenken alter Strukturen. Das fordern die OECD, die Weltbankgruppe und das UN-Umweltprogramm in ihrem neuen Report. Sustainable Finance soll zum Mainstream werden, der Markt ist weit davon entfernt.

„Wir brauchen nachhaltige Listungskriterien für DAX-Firmen“, so Kristina Jeromin, Leiterin der Abteilung Nachhaltigkeit bei der Deutschen Börse im Rahmen der Konferenz am Rande des Petersberger Klimadialogs. Seit sie die Stelle vor drei Jahren übernommen hat, ist sie in Deutschland zu einer der führenden Stimmen für die Umgestaltung der Finanzwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit geworden. Der Markt nachhaltiger Produkte wächst um über 8 Prozent jährlich. Doch bislang ist das eine Nische.

Der Versuch, Nachhaltigkeitskriterien für DAX-Firmen einzuführen, wird heftige Debatten in der Wirtschaft auslösen, vermutet Jeromin. „Aber es ist unumgänglich, dem Mainstream klarzumachen, dass sich die Zeiten tatsächlich ändern“, sagt sie. Greenwashing, das war gestern, heute braucht es echte Transparenz

Die Idee dabei: Für Investoren muss ganz klar sein, welche Langzeitstrategie eine Firma in Bezug auf den Klimaschutz verfolgt. Um das auf EU-Ebene zu erreichen, könnte etwa die geltende Richtline über nichtfinanzielle Berichterstattung erweitert werden.

Die Bundesregierung hält weiter an der Einführung einer substanziellen Finanztransaktionssteuer fest

Die Bundesregierung hält an der Einführung einer substanziellen Finanztransaktionssteuer im europäischen Kontext fest. Dies teilt sie in einer Antwort (19/9828) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (19/9496) mit. Damit es aufgrund der Maßnahmen der teilnehmenden Mitgliedstaaten nicht zu Marktverzerrungen komme und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes verbessert werde, trete die Bundesregierung dafür ein, die grundlegenden Merkmale einer Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene zu harmonisieren, wird erläutert. Der Diskussionsprozess über einen Richtlinienentwurf, der diesem Willen folge, sei jedoch noch nicht abgeschlossen. weiterlesen

Facebook ade

Gefahr für Demokratie und Zusammenleben

Wir begründen in diesem Text, warum sich die – zu Unrecht! – sogenannten „Social Media“ mit der Zeit zu einer echten Gefahr für unser Zusammenleben entwickelt haben. Nicht erst seit dem Datenskandal um Cambridge Analytica ist vielen bewusst geworden, dass die vermeintliche Freiheit des Internet missbrauchbar ist – und missbraucht wird. Von „ganz normalen“ Straftätern, aber auch von wirtschaftlich und politisch Kriminellen. Und, dass die Gegenwehr der Politik schleppend bis wirkungslos bleibt.

Als Polizisten in einem Vorort von Phoenix, Arizona, im Dezember 2018 einen Lagerarbeiter im Rahmen einer Mordfahndung festnehmen, sollen sie laut New York Times eine neue Technik benutzt haben: Die Mobiltelefon-Nachverfolgung. Die Polizei sagt dem Verdächtigen, über gespeicherte Daten hätten sie sein Telefon zu dem Ort verfolgt, an dem neun Monate zuvor ein Mann erschossen worden sei. Zuvor ist Google aufgefordert worden, Informationen über alle in der Nähe des Mordes aufgezeichneten Geräte bereitzustellen, wobei Google möglicherweise auch den Aufenthaltsort von Personen in der Umgebung erfasst hat. Denn der Festgenommene erweist sich bald als unschuldig. Die Haftbefehle, die sich auf eine riesige – von Mitarbeitern Sensorvault genannte – Google-Datenbank stützen, machen das Geschäft der Standortverfolgung von Mobilfunknutzern ab dato zu einem digitalen Fahndungs-Schleppnetz.

In einer Zeit der allgegenwärtigen Datenerfassung ist das nur das jüngste Beispiel dafür, wie personenbezogene Daten – wohin wir gehen, wer unsere Freunde sind, was wir lesen, essen und beobachten und wann wir es tun – für Zwecke verwendet werden, die viele Menschen nie erwartet hätten. Die Folgen dessen reichen aber von hilfreich wirkenden Diensten wie Staumelder in Echtzeit (wenn alle Handys stehen, steht auch der Verkehr still), weiter als wir uns träumen lassen, zum Schaden der Demokratie. „Wenn die Leute wirklich wüssten, was wir über sie wissen“, sagte ein Google-Mitarbeiter vor einiger Zeit zu dem kalifornischen Immobilienunternehmer Alastair Mactaggart, „sie würden ausflippen“. Der so Angesprochene horchte auf, wurde aktiv und fragte nach. Und er kam dahinter, dass Facebook, Google und Co. zwecks Werbungs-Verkaufs nicht nur ihre Kunden sondern auch den Rest des Internets verfolgten, indem sie ein ausgeklügeltes und unsichtbares Netzwerk von Browsern nutzten – sie hatten innerhalb von etwas mehr als einem Jahrzehnt einen privaten Überwachungsapparat von außergewöhnlicher Reichweite und Raffinesse geschaffen. Mactaggart dachte, dass etwas getan werden sollte. Jahre später initiierte er in Kaliforniern Amerikas erstes Datenschutzgesetz. Von Beginn an seitens der Tech-Riesen erbittert befehdet, tritt es 2020 in Kraft.

Was der Missbrauch von Daten, aber auch glatte Lügen im Internet, wo sie jeder direkt an jeden wenden kann, anrichten, zeigen nicht nur Flashmobs oder Mobbing Jugendlicher. Auch ganz seriöse Umfragen belegen einen bedenklichen Trend: Fast 8 % der Befragten bejahten laut der jüngsten „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende April 2019 den Satz: „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“, und fast jeder Zehnte ist der Überzeugung: „Es gibt wertvolles und unwertes Leben.“ In Zeiten, wo unbequeme Nachrichten als „Fake News“ abgetan und wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zum Klimawandel (97% Wahrscheinlichkeit) offen bezweifelt werden, scheint der Konsens darüber ins Wanken zu geraten, worauf wir uns noch verlassen können oder wollen. Es gibt (Mit-)Verantwortliche dafür: Die zu Unrecht so genannten „Sozialen Medien“ (SM).

Gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten und Institutionen ist wichtig für eine Gesellschaft, aber wenn Verschwörungstheorien anfangen, sogar Gewalt zu legitimieren, können sie gesellschaftlichen Zusammenhalt und Demokratie als solche gefährden. Verschwörungstheorien finden laut Mitte-Studie teilweise hohen Zuspruch: So meinen 46 % der Befragten, es gebe geheime Organisationen, die politische Entscheidungen beeinflussten. Fast ein Viertel der Befragten meint, Medien und Politik steckten unter einer Decke, und jede zweite befragte Person gibt an, den eigenen Gefühlen mehr zu vertrauen als Experten.

Das ist nicht so neu: Vor gut zwei Jahren schon fragte das (repräsentative) Wissenschaftsbarometer seine Probanden, was sie von dem Satz hielten: „Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und zu wenig ihren Gefühlen und dem Glauben.“ 38 Prozent stimmten „voll und ganz“ oder „eher“ zu. Eine erschreckende Zahl: Ganz abgesehen davon, dass es keinen Grund zur Annahme gibt, in der Wissenschaft sei die Anzahl schwarzer Schafe geringer als im Rest der Menschheit, und ebenso abgesehen davon, dass es genügend Anlass gibt, trotz Peer-Reports und anderer Falsifizierungs-Mechanismen skeptisch gegenüber so manchem als „wissenschaftlich“ daherkommenden Ergebnis zu sein (fast jede Zahnpasta ist schließlich laut Werbung „medizinisch“ getestet) – inzwischen misstraut die Hälfte den Ergebnissen der Forschung, und zieht „Gefühl“ und „Glauben“ als Richtschnüre vor.

Jene, die an Verschwörungsmythen – wie etwa die aktuell von rechts (u.a. von dem Massenmörder von Christchurch) immer wieder zitierte „Umvolkung“ – glauben, sind laut Ebert-Stiftung zugleich misstrauischer gegenüber dem politischen System, zeigen höhere Gewaltbereitschaft gegen andere und neigen zu stärkeren Abwertungen. Der britische „Guardian“ nannte das ein „Aufblühen von etwas Gefährlichem, das tief verwurzelt ist“, anlässlich der Ausschreitungen von Chemnitz am 27.08.2018, nachdem Tausende binnen kürzester Zeit über die SM auf den Plan gerufene rechter Krawallmacher Chemnitz fast ins Chaos gestürzt hätten.

Datenethik-Kommission und Jaron Lanier

Am 05.09.2018 kam die von der Bundesregierung berufene 18köpfige Datenethik-Kommission erstmals zusammen. „Gibt es ein Eigentum an Daten, wenn ja, wer hat das?“ fragte Justizministerin Katarina Barley zum Auftakt. Ein Blick in den weiteren Fragenkatalog ist aufschlussreich; er beginnt mit der Feststellung, dass Algorithmen es beispielsweise ermöglichen, Muster und Unterschiede im Verhalten verschiedener Gruppen zu erkennen. Etwa: „Wie kann ermittelt werden, welche Vorurteile und Verzerrungen in welchen Bereichen ethisch unerwünscht sind?“ Und: „Gibt es Grenzen des Einsatzes…, wenn Einsatz und Kriterien den betroffenen Menschen nicht erklärt werden können?“ Es geht um die „ethischen Grenzen der Ökonomisierung von Daten“, darum, wer den „ökonomischen Nutzen aus Daten ziehen darf“.

Die Kommissionsmitglieder hätten eigentlich nur das Buch von Jaron Lanier „10 Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“ lesen müssen. Der rastalockige Internet-Guru Lanier möchte „Social Media“ in „Verhaltensmodifikations-Imperien“ umbenennen. Denn darum geht es Zuckerberg & Co in Wirklichkeit: Sie wollen, ohne dass die Kunden das merken, deren Verhalten verändern. Lanier erfand für das Vorgehen ein neues Akronym BUMMER (im Englischen umgangssprachlich für etwas Unerfreuliches, ähnlich wie „Mist!“ oder „blöd!“) – das Kürzel steht für „Behaviors of Users Modified, and Made into an Empire for Rent“, („Verhaltensweisen von Nutzern, die verändert und zu einem Imperium gemacht wurden, das jedermann mieten kann“). BUMMER-Algorithmen berechnen die Wahrscheinlichkeit von Einzel-Verhalten; was aber im Einzelfall nur eine Wahrscheinlichkeit sei, werde im Durchschnitt der großen Zahl zur Gewissheit.

BUMMER spricht unsere negative Seite an, knallige Brutalbotschaften sollen uns süchtig machen und in ihren Bann ziehen. Laniers Kurzformel: „BUMMER macht Dich zum Arschloch“. Entsprechend lauten die anderen Kapitel (die Gründe für das Löschen) des 200-Seiten-Werks: „Du verlierst deinen freien Willen“, „SM untergräbt die Wahrheit“, „macht das, was du sagst, bedeutungslos“, „tötet dein Mitgefühl“, „macht dich unglücklich“, „fördert prekäre Arbeitsverhältnisse“, „macht Politik unmöglich“, und: „Social Media hasst deine Seele“.

Nach der OCEAN-Methode, dem universellen Standardmodell der Persönlichkeitsforschung aus den 30er Jahren, lässt sich eine Einzelperson durch fünf (daher auch „Big Five“) Kriterien weitestgehend beschreiben: „Openness, Conscientiousness, Extraversion, Agreeableness, Neuroticism“ (etwa: Aufgeschlossenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Empathie und emotionale Verletzlichkeit). Werden diese Kriterien mit (wie etwa die 50 Millionen von Cambridge Analytica an die Trump-Wahlkämpfer verkauften) Daten von Google, Facebook, Amazon oder WhatsApp verknüpft, entstehen zuverlässige Persönlichkeitsprofile, mit deren „Hilfe“ gezielt demokratische Prozesse ausgehebelt oder Massenphänomene ausgelöst werden können. Lanier bringt schlagende Beispiele dafür: Den Brexit (s.a. ZDF-zoom vom 25.04.2019: „Angriff auf die Demokratie – Wurde der Brexit gekauft?“), die Trump-Wahl („Fake America great again“, 09.10.2018 auf arte, und: „Der Fall Cambridge Analytica“, 26.02.2019, WDR-Fernsehen), den Massenexodus der Rohingya aus Myanmar, den arabischen Frühling und seine Zerstörung, der italienische BUMMER heißt „5 Sterne“ – was Lanier noch nicht wusste: die von Social Media gepushte Wahl Bolsonaros in Brasilien.

Und Lanier zieht einen beängstigenden Schluss: SM höhlen die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben aus und zerstören über kurz oder lang die Demokratie, bedrohen das Überleben der Zivilisation. Denn sie schädigen unser Verständnis für einander dadurch, dass jeder User nur das serviert bekommt, was der Algorithmus als für ihn passend definiert hat – die Folge: Vereinzelung – alle Facebook-Nutzer leben in ihrer eigenen Echokammer – „Microtargeting“ heißt das: 77.000 derart direkt angemailte Wähler im Mittleren Westen der USA reichten aus, um Trump ins Weiße Haus zu schubsen, obwohl Hillary Clinton 3 Millionen Stimmen mehr bekommen hatte. Kurzum: Irgendwann verlieren wir in der Echokammer die Maßstäbe dafür, was echt oder gefälscht (fake) ist.

Lanier, Erfinder des Datenhandschuhs und des Begriffs „Avatar“, 2010 unter den Nominierten der TIME-Liste der 100 einflussreichsten Menschen und 2014 Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, nennt „das, was plötzlich normal geworden ist – allgegenwärtige Überwachung und ständige, subtile Manipulation – unmoralisch, grausam, gefährlich und unmenschlich“. Er zeigt, wie die SM für die Süchtigen nicht wahrzunehmendes Suchtverhalten erzeugen. Dazu zitiert er u.a. einen Ex-Facebook-Vizepräsidenten: „Die von uns entwickelten, schnell reagierenden, dopamin-getriebenen Feedbackschleifen zerstören das Funktionieren der Gesellschaft. Ich fühle mich sehr schuldig. In den hintersten Winkeln unseres Bewusstseins wussten wir alle, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Jetzt haben wir, glaube ich, einen wirklich schlimmen Zustand erreicht. Er untergräbt das Fundament des Verhaltens der Menschen zu und untereinander.“

Die britische Journalistin Carole Cadwalladr zwang Facebook erstmals in die Knie, indem sie Verflechtungen zwischen Trump-Wahlkampf und Brexit-Kampagne nachwies. In einem Interview im Berliner Tagesspiegel sagte sie am 17.03.2019: „Es gab natürlich Stimmen, ich sei ein wenig naiv, und Cambridge Analytica mache nichts Illegales, sondern organisiere einfach Kampagnen wie andere Firmen auch. Tatsächlich liegen die Wurzeln des Unternehmens beim Militär. Während des ‚Krieges gegen den Terror‘ nannte man diese Strategie ‚Winning the Hearts and Minds‘. Jetzt griffen sie in die Politik bei uns ein, mit Überzeugungstechniken, welche die Sicht der Menschen auf die Wirklichkeit beeinflussen. Wir reden hier darüber, dass sich eine Person anmeldet und die Wahlkämpfer daraufhin die Daten hunderter ihrer Freunde abschöpfen. Das hat Cambridge Analytica getan. Diese Leute operierten mit erstaunlichen Werkzeugen im Herzen der Demokratie. Und Akteure wie Russland investieren enorme Ressourcen, um herauszufinden, wie freie Wahlen unterwandert werden können.“

Lanier will wachrütteln. Google und Facebook kontrollieren heute mehr als die Hälfte des weltweiten Marktes für Online-Werbung – Daten sind wie früher einmal Kohle, Öl und Erz, die Ressource des 21. Jahrhunderts. Der Wert ihres inzwischen gesammelten Datenschatzes wird auf mindestens 650 Milliarden Dollar geschätzt. Lanier – inzwischen bei Microsoft und immer noch Silicon Valley-Bürger – fordert keine Opposition, er bittet „um Hilfe“, auch wenn es seltsam klingen mag, dass er zum Widerstand auffordert. Er rechnet auch nicht mit einer „großen Austrittswelle“. Für Lanier war es einmal Ausdruck sozialen Denkens, dass die Internetdienste kostenlos waren (scheinbar). Das sieht er heute anders. Er hält BUMMER für so gefährlich, dass er das Geschäftsmodell (noch dazu herrscht ein Einzelner über einen der teuersten Konzerne der Welt) abschaffen will.

Rechtspopulismus und Social Media

Social Media sind ursächlich für den Aufstieg der Rechtspopulisten. Für die galt früher: Anprangern regt alle auf und schreckt ab – heute werden Unentschlossene dadurch eher noch motiviert, sich ebenfalls nach rechts zu wenden. Politiker zeigen sich alarmiert. Eine sachliche Argumentation wird von AfD-Wählern als Oberlehrerattitüde missverstanden, der kalkulierte Tabubruch gilt als Leistungsnachweis nach dem Motto von Alice Weidel: „Political Correctness gehört auf den Müllhaufen der Geschichte!“ Durch die permanente Nennung befördern „die Medien“ diese Strömung indirekt mit und helfen somit den Populisten dabei, die gesellschaftliche Normalität zu verändern. Über ihre Sprüche und Formulierungen hatte ihr Geist bereits Einzug in den Sprachgebrauch von Politik und Medien gehalten, lange bevor sie im Bundestag angekommen waren.

Das liegt wesentlich daran, dass die Rechtspopulisten virtuos auf der Klaviatur der sozialen Medien spielen: Die Art, wie sie kommunizieren, korrespondiert besonders gut mit deren Auswahl und Darstellungslogik. In seiner 2017 bei J.H.W. Dietz erschienen Analyse Propaganda 4.0 bezeichnet Johannes Hillje Rechtspopulisten als „Spitzenverdiener der Aufmerksamkeitsökonomie“. Während die AfD bei Facebook, dem mit 30 Millionen Nutzern größten Massenmedium Deutschlands, sehr aktiv ist oder auf AfD-TV (mit fünfstelligen Klickzahlen), in Blogs, auf Nachrichtenportalen und in WhatsApp-Gruppen, hinken die seriösen Parteien weit hinterher. Die AfD saugt einerseits die Ängste von Millionen auf, egal, ob sie berechtigt sind. Eine Angst ist für ein Individuum Realität in dem Sinne, dass sie eine Wirklichkeit schafft – und Wirkung haben wird. Oft werden Ängste aber auch einfach behauptet, erst erzeugt und dann geschürt. Politiker und Medien, welche die Ängste heutiger AfD-Wähler nie ernst genommen haben, wundern sich nun paradoxerweise umso mehr über die aktuellen Folgen wie den Einzug in die Parlamente. Das war Gratis-PR vom Feinsten.

Ortwin Renn weist in seinem Buch Zeit der Verunsicherung. Was treibt Menschen in den Populismus? nach, was virtuelle Realität ausmacht: „In Deutschland gibt es pro Tag rund einen Mord (2016 waren es genau 373; 2015 waren es 296). Wenn man alle Programme auswertet, finden dagegen in den Fernsehsendungen (die Nachrichten ausgenommen) im Schnitt mehr als 50 Morde pro Tag statt.“ Fake News und die Echokammern der sozialen Medien leisten Schützenhilfe: Das künstlich erzeugte Virtuelle ersetzt die Wirklichkeit, alles dagegen Sprechende wird ausgeblendet und aus der selektiven Wahrnehmung entstehen scheinbar Wahrheiten. Eigene selektive Erfahrungen oder Stammtischgespräche befeuern Stimmungen und Ängste weiter, Ratio und Argumente werden ausgeblendet.“ Dennoch bleibt nach Renn die Informationskompetenz das einzige wirksame Mittel gegen Fake News, genährt aus kognitiver Dissonanz nach dem Motto: „Erwäge das Gegenteil!“

Johannes Hillje beendet seine Untersuchung so: „Mit der Propaganda 4.0 nutzen antidemokratische Kräfte digitale Strukturen genau wie klassische Medien, um die Demokratie von innen abzuschaffen oder mindestens zu beschädigen. Oft heimlich und leise, manchmal aber auch laut und aggressiv. Demokraten müssen dagegenhalten, bevor sie nur noch Reparaturarbeiten leisten können. Statt sich von Rechtspopulisten die Themen, die Sprache und letztlich die Politik vorgegeben zu lassen, müssen demokratische Kräfte wieder den Ton angeben“. Dazu brauche es „eine Öffentlichkeit, die den digitalen Raum nicht den antidemokratischen Kräften überlässt, sondern die digitale Revolution endlich zu einer demokratischen Revolution macht. Man könnte das als Demokratie 4.0 bezeichnen. Eine immanent kommunikative Demokratie. Mit ihrer Entwicklung müssen wir heute beginnen. Denn nicht die Welt wird einfacher, sondern nur die vermeintlichen Lösungen, die ihr angeboten werden.“

Inzwischen denken bereits etliche politisch Verantwortliche über Entflechtung, Zerschlagung oder gar Verstaatlichung der Internet-Giganten nach. EU-Justizkommissarin V?ra Jourová sprach im September 2018 von Facebook als einer „absoluten Dreckschleuder“. Sie habe „einen solchen Ansturm von Hass nicht erwartet“. Und sie warnte, dass Facebook, wenn es sich nicht an die EU-Verbraucherregelungen halte, mit schweren Sanktionen zu rechnen habe. Die SPD unterstützt den Vorstoß von EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), für eine Zerschlagung von Facebook. „Eine Entflechtung von Facebook und anderen Internetkonzernen liegt für die SPD absolut im Bereich des Möglichen“, so der digitalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann. Auch der EU-Wettbewerbs-Chefökonom Tommaso Valletti dachte schon laut darüber nach, die SM-Konzerne zu zerschlagen. Immerhin hat die EU eine kleine Gruppe ins Leben gerufen, die Fake News entlarven soll.

Schon ein bisschen gesellschaftliche Kontrolle wäre nicht schlecht, mit der EU-Datenschutzgrundverordnung ist ein Anfang gemacht. Vielleicht wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Vorbild. Vielleicht kommt erstmal die EU-weite Besteuerung. Vielleicht sollten sich längst Bundes- und Landesregierung(en), Ministerien, Parteien und Gewerkschaften und öffentlich rechtliche Sender Gedanken darüber machen, wozu sie eigentlich Facebook-, Twitter- oder andere Accounts brauchen.

Für die von der Agentur Zukunft gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft betreute Seite Solarify ist die geschilderte Entwicklung jedenfalls Anlass genug, die sozialen Accounts zu löschen.

Text: Gerhard Hofmann

Vorteile einer CO2-Dividende

„Es muss schnell gehandelt werden“

Obwohl der menschengemachte Klimawandel für die allermeisten ein Faktum ist, versuchen immer noch viele, das Problem zu verdrängen oder zu leugnen. Da es jedoch akut ist, muss schnell gehandelt werden. Aber wie? Helmut Dietl, Professor für Services & Operations Management am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Zürich, schrieb dazu am 07.04.2019 im Finanzportal cash, warum er eine CO2-Steuer – und die daraus resultierende CO2-Dividende – richtig findet.

„In den USA haben Mitte Januar diesen Jahres 45 der einflussreichsten Ökonomen eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die Einführung einer nationalen CO2-Dividende zur Verringerung des CO2-Ausstoßes fordern. Bei dieser Erklärung, die mittlerweile von über 3.500 Ökonomen unterzeichnet wurde, handelt es sich um die größte öffentliche Erklärung von Ökonomen, die es je gab. Durch die CO2-Steuer verbessert sich die Kostenwahrheit, indem fossile Brennstoffe teurer werden. Zugleich fordern die Ökonomen, dass die CO2-Steuer jährlich solange ansteigen soll, bis die Klimaziele erreicht sind. Dieser kontinuierliche Anstieg der CO2-Steuer begünstigt langfristige Investitionen in technologische Innovationen und umfangreiche Infrastrukturentwicklungen. Durch die CO2-Steuer kann auf umfangreiche Regulierungsmassnahmen verzichtet werden, wodurch Unternehmen Bürokratiekosten einsparen und eine hohe Regulierungssicherheit gewährleistet wird. Beides wirkt sich wachstumsfördernd auf die Wirtschaft aus.

Da es sich bei der CO2-Steuer um eine nationale Maßnahme handelt, müssen Importgebühren auf Waren aus Ländern ohne eine entsprechende CO2-Steuer erhoben werden. Andernfalls könnte die einheimische CO2-Steuer durch Importe umgangen werden. Schließlich soll die CO2-Steuer zu keinen zusätzlichen Staatseinnahmen führen. Vielmehr sollen alle Einnahmen aus der CO2-Steuer in Form einer CO2-Dividende an die Bevölkerung ausbezahlt werden….

->Quelle und kompletter Artikel: cash.ch/klimaschutz-die-vorteile-einer-co2-dividende

Bundesregierung über den Wert der Natur

Was die Natur wert ist

Die volkswirtschaftlichen Folgen im Zuge des Verlustes von biologischer Vielfalt sind von der Allgemeinheit zu tragen und mindern Naturkapital und Wohlfahrt. Eine anerkannte Zahl als Summe dieser externen Kosten in Deutschland gebe es allerdings nicht. Dies führt die Bundesregierung in ihrer Antwort (19/7971) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/7393) aus.

Ergebnisse der Fallstudien im Projekt „Naturkapital Deutschland“ hätten gezeigt, dass der Verlust natürlicher Auen „mitverantwortlich ist für die Schäden durch Hochwasserkatastrophen“ in Deutschland. Die für land- und forstwirtschaftliche Zwecke entwässerten Moorböden würden „mit einer Freisetzung von etwa 41 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr zu 40 Prozent der gesamten Klimagas-Emissionen aus der deutschen Landwirtschaft“ beitragen, heißt es in der Antwort. Durch Umwandlungen von Dauergrünland in Acker seien zudem wichtige Ökosystemleistungen, wie etwa die Speicherung von Kohlenstoff als Beitrag zum Klimaschutz oder die Minderung von Nitrateinträgen in das Grundwasser, verloren gegangen.

In Zukunft werde die nationalen Berechnungen im Bereich Naturkapital weiter fortentwickelt, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort. Eine vollständige Umsetzung der international verabschiedeten Ziele bis ins Jahr 2020 werde aber wegen „der methodisch anspruchsvollen und komplexen Aufgabe sowie der aktuell noch unzureichenden Datenbasis“ nicht möglich sein. (hib/LBR)

->Quelle: dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/079/1907971.pdf

Konferenz „Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit“

Hauptrichtung Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung – Zahrnt: „Es geht um Wachstum oder Klimaschutz!“

Ressourcen-und-Postwachstum - LogoAm 05.11.2018 diskutierten etwa 200 Teilnehmer einer Konferenz in Berlin politische Implikationen des neuen Ansatzes „Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit“ (siehe: blog.ethisch-oekologisches-rating.org/streitpunkt-wachstum-wirtschaftsforscher-legen-neuen-konsensvorschlag-vor und: solarify.eu/wachstumsunabhaengig-in-die-zukunft).

Jörg Knieling, HafenCity Universität Hamburg, fragte nach dem Wachstumsbegriff – warum diskutieren wir über Wachstum? Die “ Rote Karte“ werde schnell sichtbar beim Thema Klimawandel, bei Biodiversität, biochemischen Kreisläufen, Landnutzung (Flächenverbrauch).

Er griff zwei heraus:

  1. Urbanisierung und Flächenverbrauch – die Bevölkerung wandert in urbane Räume, bereits sei die 50 Prozentmarke überschritten worden – ohne Strategie, ohne Planung, dispers, die Mobilität muss der Bevölkerungswanderung nachfolgen. Konflikte zwischen Freiraum und Wohnen sind programmiert; verdichtete Städte haben negative Folgen für Ressourcenschutz und Lebensqualität (Beispiel Feinstaub).
  2. : Peak Oil und Energienutzung (Kohle) und die Verquickung mit dem Klimawandel. Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sei zwar bereits in Anfängen überwunden – aber die Folgen sind  nach wie vor spürbar, aus dem Wachstumskurs heraus werden sie lange dauern.

Frage: Welches Wachstumsmodell steht dahinter, dass es in Richtung Nachhaltigkeit umgebaut werde können?  Vor welchen Änderungen stehen wir?

Gesellschaftlicher Wandel

E-Mobilität wachse zwar – insofern erleben wir einen Mobilitätswandel – der steigere aber seinerseits den Ressourcenverbrauch, und noch dazu den Raumverbrauch in den Städten. E-Mobilits ist eben erst einmal nur eine technische Lösung. Knieling stellte Barcelona Kopenhagen gegenüber – in Bezug auf den Fahrradgebrauch: in Kopenhagen sind es  26% in Hamburg nur 12%.
Der aktuelle Baukulturwandel als veränderte Wirtschaftsstrukur führe zu stärker durchmischten Quartieren mit mehr Grün und Erneuerbaren Energien, das seien Innovationen in Richtung einer ressourcenschonenderen Stadtentwicklung; ihre Kennzeichen s eien Kreislaufstrukruren; Plusenergiehäuser, ein Wandel der Baukultur hin zu weniger Raumnutzung im Sinne von weniger Fläche pro Bewohner (bei uns 46 m², in Zürich-Kalkbreite nur 35 m²). Das sei nicht nur Ausdruck einer Notsituation, sondern eine ganz bewusste Veränderung hin zu einem anderem Wohnmodell.

Technikwandel

Smart City und Digitalisierung werfen neue Fragen auf – die Circular City/Regenerative Stadtregion – eine Veränderung von linearem zu zirkulärem Metabolismus. Kopenhagen setze mit seinem Value Chain Management bereits am Produktdesign an, das so sorgfältig verarbeitet sei, dass es entweder weiter benutzt werden, oder recycelt werden könne (Transition-Theory, MLP-Modell). Als Beispiel für einen Transformationsprozess in der Regionalentwicklung zeigte Knieling den Raum westliche Ostsee, seit 20 Jahren ein gemeinsamer Planungsraum (mit Green Growth in einem Green Investment Hub – auf dem Weg zum Post Growth…?). Die Westliche Ostsee habe

  • Pioniere für grünes Wachstum –
  • über 100 % EE –
  • nachhaltige Mobilität und
  • grüne Investitionen

Eine neue Genügsamkeit werde verlangt und (freiwillig) gelebt; dennoch gibt es allenthalben i mmer noch ein Nichtablassenwollen von Gewohntem, obwohl das Bewusstsein dafür längst vorhanden sei.

Zum Schluss seiner Keynote warf Knieling Fragen auf und nannte ungelöste Punkte:

  • Wo sind die Grenzen des grünen Wachstums? (Entkopplung, Reboundgefahren)
  • Wie die Akteure beim Kulturwandel mitnehmen?
  • Ist Raum für Experimente da, der nötig ist?
  • Wie kommt man vom Modell zum Mainstream – wie von der Nischeninnovation zur tiefen Transformation?
  • Strategie-Mix nötig –  Synergien suchen, sich auf Wettbewerb der Konzepte einlassen

Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen – Ansätze einer vorsorgeorientieren Wachstumsposition

Ulrich Petschow, IÖW - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für SolarifyUlrich Petschow vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung, der das Projektteam „Ansätze zur Ressourcenschonung im Kontext von Postwachstumskonzepten“ geleitet hatte, nannte zwei zentrale Begriffe: Herausforderungen (1) und von Green Growth und Degrowth zur vorsorgeorientieren Wachstumsposition (2).

1 – Erst ab 1850, mit dem Beginn der industriellen Revolution, beginnt signifikantes wirtschaftliches Wachstum, gleichzeitig aber auch eine zunehmende CO2-Freisetzung. Trotz starker Effizienzgewinne sehen wir aber nach wie vor keine Besserung; man kann nicht sagen, Effizienz könnte die Lösung sein. Ab 1950 beginne eine besonders starke CO2-Emission durch die Zementproduktion. Aber: die Lösung liegt nicht in der Wirtschaft, denn:  „Umweltprobleme sind letztlich soziale Organisationsprobleme“ (Helle Norgaard )

2 – Spannungsfelder Biophysikalische Grenzen und soziale Schwellenwerte, Diskurs Degrowth – Green Growth:
Thema „Degrowth“:
Verbreitete Auffassungen von Lebensqualität erforderten nicht prinzipiell weiteres Wirtschaftswachstum. Unklar bleibe aber in der Argumentation, ob und wie die gesellschaftliche Lebensqualität erhalten werden könne.
Die behauptete Gewissheit über das unvermeidliche Scheitern einer hinreichend starken Entkopplung ist letztlich nicht haltbar, da vergangenheitsbezogen argumentiert wird.
Thema „Green Growth“:
Zentral sei, was unter gesellschaftlicher Lebensqualität verstanden werde, diese müsse nicht vom Wachstum abhängen, so Petschow. Andererseits sei die unterstellte Gewissheit, dass eine hinreichende Entkopplung möglich sei, nicht haltbar.
Beide Positionen können nicht beanspruchen , allein als sinnvolle Richtschnur für (umwelt-)politisches Handeln dienen zu können.
Die „vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“ sei ergebnisoffen und habe keine starken ex-ante-Prämissen, sowohl nicht bezüglich künftigen Wirtschaftswachstums, bzw. deren Schrumpfung, ebenso wenig  in Bezug auf Möglichkeiten der (absoluten) Entkopplung.
Unklar sei nämlich, ob die Wirtschaftsleistung fallen oder steigen werde, wenn sie im Einklang mit den globalen ökologischen Zielen transformiert werde. Deshalb sollten zentrale gesellschaftliche Institutionen (etwa Renten- oder Krankenversicherung) möglichst wachstumsunabhängig ausgestaltet werden, dann hätte die Politik mehr Spielraum – politische Maßnahmen könnten dann weniger unter Wachstumsvorbehalt angekündigt werden.

Nils aus dem Moore, RWI - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für SolarifyNils aus dem Moore vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung zeigte den methodischen Ansatz auf. Er schilderte den Ablauf der forschenden Konferenzvorbereitungen und begann mit dem Hinweis auf ein breites Literaturstudium aus gesamtem Spektrum der im  Wachstumsdiskurs vertretenen Positionen –  wie Green Growth, Green Economy, A-Growth, Postwachstum, Degrowth.
Das alles in einer pluralen Perspektive, die bei Analysen verschiedene Ansätze der Ökonomik berücksichtigt habe: Neoklassik, Keynesianische und marxistische Ansätze, Verhaltensökonomik, Institutionenökonomik, evolutorische Ökonomik und Komplexitätsökonomik. Schließlich auf Evidenz basiert: Prüfung von Argumenten und Aussagen anhand vorhandener empirischer Studien.

Als Herausforderungen nannte er dabei, viele der gefundenen Vorschläge seien mitunter wenig ausgereift und nicht im Detail ausbuchstabiert gewesen, teilweise seien sie eher Postulate mit eingeschränktem „Prüfpotenzial“. Insgesamt gebe es überhaupt wenig oder gar keine empirischen Studien zu einem Teil der Vorschläge. Vorhandene Evidenz beziehe sich in der Regel auf marginale Veränderungen (so sei die Auswirkung eines CO2-Preises in seiner Gesamtwirkung eher noch unklar) einer einzelnen oder weniger Stellschrauben.
Wirkungskoeffizienten (aus dem Moore nannte sie „Elastitizitäten“) seien mithin nur eingeschränkt auf Vorschläge übertragbar, die mehrere Stellschrauben betreffen und nicht marginale Änderungen fordern.
Eine Konsistenzprüfung sei dennoch immer möglich, weil systemische Zusammenhänge und Budgetrestriktionen auch in Postwachstums- und Degrowth-Szenarien gelten würden.

Aus dem Moore diagnostizierte Konsens darüber, welcher Treiber von hoher Relevanz für künftiges Wirtschaftswachstum einer früh industrialisierten Volkswirtschaft sei: Das seien Innovationen und technologische Entwicklungen (Beispiel: Digitalisierung). Dissens habe – innerhalb des Projektteams und in der Literatur darüber bestanden, welche Maßnahmen die Politik bezüglich der Treiber ergreifen sollte. Er empfahl, die ökonomischen Rahmenbedingungen vor allem durch marktbasierte Instrumente zur Internalisierung extremer Effekte konsequent so zu setzen, dass eine Lenkung des Wachstums erfolgt. Dabei unterstrich er, dass einzelne Branchen, die einen derartigen Richtungswechsel nicht vollziehen könnten oder wollten, durch diese Lankung von „Schrumpfung bzw. Exit“ bedroht seien.

Kurz ging aus dem Moore auf zwei Perspektiven ein – die Keynesianische in Bezug auf Postwachstum und Degrowth (1) – und die Neoklassische Arbeitsökonomik in Bezug auf Green Growth (2).
1 – „Wachtumsabhängigkeit“, sie sei unidirektional von der Nachfrage her gedacht, steigende Produktivität dabei als exogen gegeben unterstellt. Technischer Fortschritt mache die Beschäftigten zwangsläufig produktiver, so dass zur Aufrechterhaltung des Beschäftigungsumfangs stets mengenmäßiges Wachstum erforderlich sei.
2 – Hier werde das Ausmaß der Beschäftigung vor allem strukturell über das Matching von Angebot und Nachfrage auf den Arbeitsmärkten bestimmt – und von der Höhe der Investitionen. Aber auch besseres Matching erhöhe die Beschäftigungszahl und damit das effektive Arbeitsvolumen, was in der Konsequenz zu höherem Wachstum führe.

Aus dem Moore berichtete über Analyse von Wachstumsabhängigkeiten im Bereich Beschäftigung, über die wichtigsten Vorschläge und ihre Bewertungen:

  1. Vorantreiben des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft
  2. Ausrichtung des technologischen Wandels auf Ressourcenproduktivität
  3. Reduzierung der Arbeitszeit
  4. Einkommen unabhängig von Beschäftigung machen

…so bewertet:

  1. Konkrete Umsetzungsmodalitäten unklar
  2. Kann und sollte durch ökonomische Instrumente forciert werden
  3. Evidenz für neutrale,  positive und negative Effekte auch in Abhängigkeit von empirischer Ausgangslage, Umfang positiver Effekte jedoch durch systemische Zusammenhänge zwangsläufig beschränkt
  4. Commons-basierte Produktion und nicht kommerzielle Share-Economy können Bedürfnisbefriedigung unabhängiger von Erwerbseinkommen machen – das würde weitgehenden gesellschaftlichen Wandel voraussetzen.

Ähnliches Vorgehen im Bereich der Rentenversicherung – zunächst die Vorschläge:

  1. Umverteilung zwischen Beitragszahlem und Leistungsempfängern (Anpassung der Lebensarbeitszeit, kapitalgedeckte Rentenversicherung)
  2.  Kreis der Beitragszahler wird erweitert – („Rente für alle“,  Beveridge-System, stärkere Steuerfinanzierung)Zeitgutschriftsysteme)
  3. Das, was als Beitrag bzw. Leistung zählt, wIrd ausgeweitet (Anerkennung nicht-marktvermittelter Tätigkeiten, Zeitgutschriftsysteme)

Bewertung

– Reformideen implizieren vor allem Alternativen zur aktuellen Lastenverteilung
– Abhängigkeit von der Wirtschaftsleistung kann durch keinen Vorschlag  umfassend und dauerhaft aufgelöst werden
– „Rente für alle“ ermöglicht aber temporäre Einführungsgewinne
– Ausweitung durch Einbeziehung nicht-marktvermittelter Tätigkeiten kann Wachstumsabhängigkeit ggf. etwas reduzieren

Ähnliches Vorgehen schließlich auch im Bereich der Krankenversicherung – zunächst die Vorschläge:

Wichtigste Vorschläge

  1. Förderung der Prävention von Erkrankungen durch stärkere Anreize für ein gesundheitsbewusstes Verhalten
  2. Durchsetzung eines kostengünstigeren Produktangebots seitens der Pharma- und Medizintechnikindustrie
  3. Aktivierung ehrenamtlicher oder semi-professioneller Unterstützungspotenziale beispielsweise für altere Mitbürger/innen

Bewertung

– Potenziale bei Krankenversicherung sind etwas größer als im Bereich der Rentenversicherung, da Verhalten hier eine größere Bedeutung besitzt.
– Es gibt (bisher) keine Konzepte, die eine vollständige oder sehr weitgehende Wachstumsunabhängigkeit ermöglichen würden.
– Um das Ausmaß der Wachstumsabhängigkeit abzuschwächen, müsste insbesondere auf der Ausgabenseite des Systems angesetzt werden.

Drei zentrale Handlungsempfehlungen der vorsorgeorientierten Postwachstumsposition
Die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition kann als Bestandteil einer übergreifenden, verantwortungsethisch motivierten Resilienzstrategie verstanden werden. Diese Strategie sollte die folgenden drei Elemente umfassen:

  1. Konsequente Internalisierung umweltschädlicher Effekte von Produktion und Konsum durch marktbasierte Instrumente

  2. Ausloten möglicher Pfade der gesellschaftlichen Entwlcklung durch partizipative Suchprozesse, Experimentierräume sowie neue innovations- und forschungspolitische Ansätze

  3. Prüfung, ob und wie gesellschaftliche Institutionen und Prozesse unabhängiger vom Wachstum werden können

Hermann E. Ott - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify - 20181105Hedrmann E. Ott (Fachhochschule Eberswalde) gab zu bedenken, dass relative Entkopplung zwar möglich sei, aber nicht ausreiche, um Mengenwachstum zu kompensieren; es würden hier antagonistische Positionen zusammengebracht; aber: „Verringerung von Wachstumsabhängigkeiten ist möglich“. Wenn es um Entkopplung gehe, um Verbindung von Postwachstumspolitik und Ressourcenschonung, sei ein tastender Prozess richtig, mit Versuch und Irrtum, eine fehlerfreundliche, rückholbare Politik.

Angelika Zahrnt - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify - 20181105Angelika Zahrnt (BUND) kritisierte in einer Diskussionsrunde die Wachstumsgläubigkeit, die auch diesem Projekt innewohne, dass nämlich die mögliche Verbindung von Wachstum und 1,5-Grad-Grenze stets wie ein Mantra verkündet werde: „Wir müssen langsam aus der Phase der theoretischen Diskussion heraus und die großen Fragen beantworten: Es geht um Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz!“

Reinhard Loske - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify - 20181105Reinhard Loske (Universität Witten-Herdecke) lobte Zahrnt – aber bereits die Möglichkeit, alles zusammenzuführen sei schon eine Veränderung des Koordinatensystems. Freiwillige Selbstverpflichtungen seien jedoch auf ganzer Breite gescheitert. In der ersten Enquete sei versucht worden, Verbindendes zusammenzuführen, dann erst Trennendes zu behandeln. Das Prinzip war: Konsens nach vorne, Dissens nach hinten. Dem vorliegenden Papier gelinge das ganz gut, auch dsas das RWI sage, da müsse etwas passieren, Experimente, wenn sie nicht in der Nische blieben, seien auch gut; man könne den gesellschaftlichen Subsystemen nicht mehr sagen: Das müsste „müsste man mal prüfen“. Aber der Dreiklang des Papiers sei ein guter Angang.

Folgt: Die Thesen zur Konferenz