Die Bundesregierung hält weiter an der Einführung einer substanziellen Finanztransaktionssteuer fest

Die Bundesregierung hält an der Einführung einer substanziellen Finanztransaktionssteuer im europäischen Kontext fest. Dies teilt sie in einer Antwort (19/9828) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (19/9496) mit. Damit es aufgrund der Maßnahmen der teilnehmenden Mitgliedstaaten nicht zu Marktverzerrungen komme und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes verbessert werde, trete die Bundesregierung dafür ein, die grundlegenden Merkmale einer Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene zu harmonisieren, wird erläutert. Der Diskussionsprozess über einen Richtlinienentwurf, der diesem Willen folge, sei jedoch noch nicht abgeschlossen.

Deutscher Bundestag Drucksache 19/9828 19. Wahlperiode 03.05.2019

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bettina Stark-Watzinger, Christian Dürr, Dr. Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/9496 –

Finanztransaktionssteuer – Offene Fragen zum Kompromissvorschlag und zur Belastung der Kleinaktionäre

V o r b e m e r k u n g   d e r   F r a g e s t e l l e r

Die Bundesregierung plant die Einführung einer europaweiten Finanztransaktionssteuer im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit (VZ), an der sich Frankreich, Italien, Spanien, Belgien, Österreich, Griechenland, Portugal, Slowenien, die Slowakei und Deutschland beteiligen. Auf Vorschlag von Deutschland und Frankreich soll dabei die Steuer nach französischem Vorbild ausgestaltet werden.

Am Rande des ECOFIN-Rates (Rat Wirtschaft und Finanzen) im März 2019 trafen sich die Mitgliedstaaten der Verstärkten Zusammenarbeit zu einem informellen Ministertreffen zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/news/europaeische-tobinsteuer-soll-35-milliardeneuro- einbringen/). Laut Medienberichten soll der nun diskutierte Kompromissvorschlag zur Finanztransaktionssteuer Einnahmen in Höhe von 3,45 Mrd. Euro generieren und entweder dem Eurozonen-Budget oder dem EU-Haushalt zufließen und gleichzeitig vergemeinschaftet (mutualisiert) werden. Geplant ist eine Abgabe in Höhe von mindestens 0,2 Prozent auf den Erwerb von Aktien von Unternehmen, die eine Marktkapitalisierung über 1 Mrd. Euro aufweisen. In Deutschland gibt es 145 Unternehmen über diesem Schwellenwert (Bundestagsdrucksache 19/7572). Das „Handelsblatt“ berichtet von einer reinen Aktiensteuer (www.handelsblatt.com/politik/deutschland/aktiengeschaefte-scholz-setztauf- mini-finanztransaktionssteuer/23946782.html), die Tageszeitung „DER TAGESSPIEGEL“ von einer Aktien-Umsatzsteuer (www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ finanztransaktionssteuer-berlin-und-paris-specken-ab/23712412.html). Die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer, die auf Deutschland entfallen, sollen etwa 1,25 Mrd. Euro betragen. Wie genau die Einnahmen nach dem Mutualisierungsansatz verteilt werden sollen und ob sie vorrangig dem EU-Haushalt oder dem Eurozonenbudget zugeordnet werden, muss in den laufenden Verhandlungen noch geklärt werden.

Laut Unterrichtung der Bundesregierung im Nachgang zum ECOFIN-Rat vom März soll im Mai 2019 ein Richtlinienentwurf vorgelegt werden, der sich am deutsch-französischen Vorschlag orientieren soll. Die Bundesregierung hat in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP auf Bundestagsdrucksache 19/2141 zur Finanztransaktionssteuer in Verstärkter Zusammenarbeit ihren Willen bekräftigt, „Verlagerungen im Finanzsektor und negative Auswirkungen auf Instrumente der Altersversorgung“, auf „Kleinanleger sowie“ auf die „Realwirtschaft“ zu vermeiden. Der nun diskutierte Kompromiss zur Finanztransaktionssteuer ist nach Ansicht der Fragesteller jedoch so ausgestaltet, dass nach Ansicht der Fragesteller am Ende die Kleinaktionäre und Sparerinnen und Sparer und damit die Bürgerinnen und Bürger die Steuer zahlen. In der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 19/7572 wurde die Frage nach der Belastung auf die Altersvorsorge der Sparerinnen und Sparer nur ausweichend mit dem Hinweis auf die erst angelaufene Diskussion beantwortet. Mithin stellt sich die Frage, inwiefern das ursprünglich angedachte Ziel, mit der Finanztransaktionssteuer die Finanzmarktakteure an den Kosten der Finanzkrise 2008/2009 zu beteiligen und die Stabilität der Finanzmärkte zu erhöhen, überhaupt erreicht wird.

Eine dezidierte Übersicht zu der Entwicklung der Beratungen bis zum Beginn des Jahres 2018 kann der Bundestagsdrucksache 19/4167 entnommen werden.

1. Inwiefern geht die Bundesregierung davon aus, mit der Einführung der Finanztransaktionssteuer die Stabilität an den Finanzmärkten zu erhöhen (bitte den Transmissionsmechanismus im Detail beschreiben)?

2. Wie werden durch den nun diskutierten Kompromissvorschlag zur Finanztransaktionssteuer die Akteure der Finanzbranche an den Kosten der Finanzmarktkrise aus dem Jahr 2008/2009 beteiligt?

a) Mit welcher Belastung für die Finanzbranche wird gerechnet?

b) Wie sieht die Lastenverteilung zwischen Finanzintermediären und aus? Auf welchen Annahmen beruhen diese Schätzungen?

Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Während der Verhandlungen über die Finanztransaktionsteuer, die im Jahr 2011 zunächst im Rat begannen und ab 2013 im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit fortgeführt wurden, haben zwei Mitgliedsstaaten eine nationale Finanztransaktionsteuer eingeführt (Frankreich ab 1. August 2012; Italien ab 1. März 2013) oder die Voraussetzungen für eine Einführung geschaffen (Portugal mit dem Haushaltsgesetz für das Jahr 2013). Auch in Spanien existieren Pläne, eine Finanztransaktionsteuer einzuführen. Die Bundesregierung hält auch vor diesem Hintergrund an der Einführung einer substanziellen Finanztransaktionsteuer im europäischen Kontext fest. Damit es aufgrund der Maßnahmen der teilnehmenden Mitgliedsstaaten nicht zu Marktverzerrungen kommt und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes verbessert wird, tritt die Bundesregierung dafür ein, die grundlegenden Merkmale einer Finanztransaktionsteuer auf EU-Ebene zu harmonisieren. In diesem Sinne werden die Verhandlungen auf europäischer Ebene geführt.

Der Diskussionsprozess über einen Richtlinienentwurf, der diesem Willen folgt, ist noch nicht abgeschlossen. Über Belastungen der Finanzbranche und über die Lastenverteilung zwischen Finanzintermediären und Anlegern existieren keine Schätzungen.

3. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Erhebungskosten für die Finanztransaktionssteuer in Deutschland ein?

4. Wie hoch wird nach Schätzung der Bundesregierung der Nettosteuerertrag (Steuereinnahmen abzüglich Erhebungskosten) sein?

Die Fragen 3 und 4 werden zusammen beantwortet. Die Erhebungskosten werden im laufenden Prozess noch zu bestimmen sein. Daher kann ein Nettosteuerertrag nicht berechnet werden.

5. Welche Unternehmen haben den Schwellenwert von 1 Mrd. Euro Marktkapitalisierung erreicht oder überschritten (bitte tabellarisch auflisten)? Zum Stichtag 17. April 2019 erreichen oder überschreiten folgende 143 Unternehmen den Schwellenwert von 1 Mrd. Euro Marktkapitalisierung.

1&1 Drillisch AG Innogy SE Aareal Bank AG Jenoptik AG Adidas AG Jungheinrich AG Aixtron SE K&S AG Allianz SE Kabel Deutschland Holding AG alstria office REIT AG Kion Group AG Audi AG Knorr Bremse AG Aurelius Equity Opportunities SE & Co KGaA Krones AG Aurubis AG Kuka AG Axel Springer SE Kws Saat SE BASF SE LANXESS AG Bayer AG Lechwerke AG Bayerische Motoren Werke AG LEG Immobilien AG Bechtle AG Man SE Beiersdorf AG McKesson Europe AG Bilfinger SE Merck KGaA Brenntag AG Metro AG Cancom SE MorphoSys AG Carl Zeiss Meditec AG MTU Aero Engines AG Ceconomy AG Muenchener Rueckversicherungs Gesellschaft AG in Muenchen Comdirect Bank AG Mvv Energie AG Commerzbank AG Nemetschek SE Compugroup Medical SE Nordex SE Continental AG Norma Group SE Covestro AG Osram Licht AG Cts Eventim AG & Co KgaA Patrizia Immobilien AG Daimler AG Paul Hartmann AG Delivery Hero SE Pfeiffer Vacuum Technology AG Dermapharm Holding SE Porsche Automobil Holding SE Deutsche Bank AG Prosiebensat 1 Media SE Deutsche Boerse AG Puma SE me Deutsche Euroshop AG Rational AG Deutsche Lufthansa AG Rheinmetall AG Deutsche Pfandbriefbank AG Rhoen Klinikum AG Deutsche Post AG Rocket Internet SE Deutsche Telekom AG RWE AG Deutsche Wohnen SE Salzgitter AG DEUTZ AG SAP SE Diebold Nixdorf AG Sartorius AG DMG Mori AG Schaeffler AG Duerr AG Scout24 AG DWS Group GmbH & Co KgaA Sedlmayr Grund und Immobilien KGaA E.ON SE Siemens AG Enbw Energie Baden Wuerttemberg AG Siemens Healthineers AG Evonik Industries AG Siltronic AG Evotec SE Sixt SE Fielmann AG Software AG Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide STADA Arzneimittel AG freenet AG Stroeer SE & Co KGaA Fresenius Medical Care AG & Co KGaA Suedzucker AG Fresenius SE & Co KGaA Symrise AG Fuchs Petrolub SE TAG Immobilien AG GEA Group AG Takkt AG Gelsenwasser AG Talanx AG Gerresheimer AG Telefonica Deutschland Holding AG Grenke AG thyssenkrupp AG GSW Immobilien AG TLG Immobilien AG H&K AG Tui AG Hamburger Hafen und Logistik AG Uniper SE Hannover Rueck SE United Internet AG Hapag Lloyd AG Varta AG HeidelbergCement AG Volkswagen AG HELLA GmbH & Co KgaA Vonovia SE Hellofresh SE VTG AG Henkel AG & Co KgaA Wacker Chemie AG Hochtief AG Wacker Neuson SE HSBC Trinkaus & Burkhardt AG WashTec AG Hugo Boss AG Wirecard AG Hypoport AG Wuestenrot & Wuerttembergische AG Indus Holding AG Xing SE Infineon Technologies AG Zalando SE Inflarx NV

6. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass die Einführung einer Finanztransaktionssteuer nach dem diskutierten Kompromissvorschlag eine Beteiligung durch Aktien an den betroffenen Unternehmen unattraktiver macht?

7. Sieht die Bundesregierung die Gefahr, dass durch die Finanztransaktionssteuer Anleger vermehrt in ausländische Unternehmen investieren, die nicht einer solchen Steuer unterliegen, bzw. mit welchen Ausweichtendenzen rechnet sie?

8. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass durch die Finanztransaktionssteuer am Ende die Bürgerinnen und Bürger die Steuern zahlen und nicht die Finanzakteure, die an der Finanzkrise beteiligt waren?

Die Fragen 6 bis 8 werden zusammen beantwortet. Die Bundesregierung tritt dafür ein, dass eine Finanztransaktionsteuer im europäischen Kontext eingeführt wird. Die in Frankreich bereits eingeführte Steuer zeigt stabile und für die Jahre 2017 bis 2019 steigende Einnahmen (www.performancepublique.budget.gouv.fr/sites/performance_publique/files/farandole/ressources/ 2019/pap/pdf/VMT1-2019.pdf; S. 66). Nennenswerte Vermeidungsstrategien, wie in den Fragen 6 bis 8 beschrieben, sind der Bundesregierung nicht bekannt.

9. Inwieweit berücksichtigt die Bundesregierung bei den Verhandlungen zur Finanztransaktionssteuer die Altersvorsorge der Sparerinnen und Sparer, und kann sie ausschließen, dass die Altersvorsorge von der Finanztransaktionssteuer nicht betroffen ist?

a) Wenn nein, welche Ausnahmen plant die Bundesregierung, um die Altersvorsorge der Sparerinnen und Sparer nicht zu belasten?

b) Erwägt die Bundesregierung zum Beispiel eine Anhebung des Sparer- Pauschbetrags?

c) Erwägt die Bundesregierung die Wiedereinführung der Spekulationsfrist bei Aktien?

Die Verhandlungen zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene dauern an. Dabei werden auch die Auswirkungen auf die Altersversorgung diskutiert.

10. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer der Anreiz der Kleinanleger und Sparer, Aktien zu kaufen, sinkt? Wenn ja, wie möchte sie gegensteuern?

Die Bundesregierung teilt die Auffassung nicht. Die Zahlen aus Frankreich zeigen auf, dass Kleinanleger und Sparer im signifikanten Umfang Aktien erwerben. Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 6 bis 8 verwiesen.

Quelle: dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/098/1909828.pdf
dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/098/1909828.pdf
dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/098/1909828.pdf