EU-Taxonomie: Schritte in Richtung Green Deal

Kommission will Geld in nachhaltige Tätigkeiten lenken

Die EU-Kommission hat am 21.04.2021 ein Maßnahmenpaket für nachhaltige Finanzierung vorgelegt, das durch einen delegierten Rechtsakt im Rahmen der EU-Taxonomie dazu beitragen soll, in der Europäischen Union mehr Geld in nachhaltige Tätigkeiten zu lenken: Anleger sollen in die Lage versetzt werden, ihre Investitionen verlässlich und ohne „Greenwashing“ auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen. Auf globaler Ebene will die EU bei der Festlegung von Standards für ein nachhaltiges Finanzwesen eine Führungsrolle übernehmen. Die umstrittene Frage, wie in diesem Rahmen Investitionen in Erdgasprojekte eingestuft werden, wurde kurzfristig auf einen separaten Gesetzgebungsvorschlag Ende des Jahres verschoben. VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing warnt denn auch vor einer Gefährdung der Versorgungssicherheit durch eine „jahrelange Hängepartie in einem europäischen Gesetzgebungsverfahren“.

Nachhaltiges Geld – Foto © Gerhard Hofmann

„Die neuen Bestimmungen werden eine grundlegende Wende im Finanzwesen herbeiführen“, sagte Kommissarin Mairead McGuinness. „Wir setzen ehrgeizigere Maßstäbe im Bereich des nachhaltigen Finanzwesens, damit Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent wird. Die Zeit ist gekommen, auf Worte Taten folgen zu lassen und nachhaltig zu investieren.“ Das heute angenommene Paket umfasst:

  • Die delegierte Verordnung zur EU-Klimataxonomie, die darauf abzielt, Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu fördern. Zu diesem Zweck wird klargestellt, welche Wirtschaftstätigkeiten am meisten zur Erreichung der EU-Umweltziele beitragen. Das Kollegium der Kommissionsmitglieder hat heute eine politische Einigung über den Text erzielt. Der delegierte Rechtsakt wird Ende Mai formal angenommen, wenn die Übersetzungen in alle EU-Sprachen vorliegen. In einer Mitteilung, die ebenfalls heute vom Kollegium angenommen wurde, wird der Ansatz der Kommission detaillierter dargelegt.

Exekutiv-Vizepräsident Dombrovskis sagte: „Wir haben die Kriterien für Wirtschaftstätigkeiten veröffentlicht, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel leisten können. Ferner legen wir Kriterien fest, nach denen davon ausgegangen werden kann, dass die Tätigkeiten die anderen Umweltziele der Taxonomie nicht wesentlich beeinträchtigen. Dies war keine leichte Aufgabe. Und ich kann ganz offen sagen, dass ich bei keinem anderen Thema ein so breites Spektrum gegensätzlicher Ansichten und Ansätze gesehen habe.“

  • Einen Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen. Dieser Vorschlag soll den Informationsfluss bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung in der Unternehmenswelt verbessern. Er wird ihre Kohärenz erhöhen und dafür sorgen, dass Finanzunternehmen, Anlegern sowie dem breiteren Publikum vergleichbare und verlässliche Angaben zum Thema Nachhaltigkeit zur Verfügung gestellt werden.
  • Sechs delegierte Änderungsrechtsakte zu treuhänderischen Pflichten und zu Anlage- und Versicherungsberatung, die sicherstellen werden, dass Finanzunternehmen wie Beratungsgesellschaften, Vermögensverwaltungsgesellschaften oder Versicherer das Thema Nachhaltigkeit in ihre Verfahren und in ihre Anlageberatung für Kunden aufnehmen.

Der europäische Grüne Deal ist die europäische Wachstumsstrategie, die die Lebensqualität und die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger verbessern, Europa bis 2050 klimaneutral machen und das Naturkapital und die Biodiversität der EU schützen, erhalten und verbessern soll.

Als Teil dieser Bemühungen benötigen die Unternehmen einen umfassenden Rahmen, der es ihnen ermöglicht, ihre Geschäftsmodelle nachhaltiger zu gestalten. Um diesen Wandel im Finanzwesen zu gewährleisten und Grünfärberei zu verhindern, werden alle Teile des heutigen Pakets die Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit der Angaben zur Nachhaltigkeit erhöhen. Das Paket wird den europäischen Finanzsektor ins Zentrum einer nachhaltigen und inklusiven wirtschaftlichen Erholung von der COVID-19-Pandemie und der längerfristigen nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung Europas stellen.

Delegierte Verordnung zur EU-Klimataxonomie

Die EU-Taxonomie ist ein solides, wissenschaftlich fundiertes Instrument, das für Unternehmen und Anleger gleichermaßen Transparenz gewährleistet. So werden Anleger bei Investitionen in Projekte und Wirtschaftstätigkeiten, die sich deutlich positiv auf Klima und Umwelt auswirken, künftig von der gleichen Grundlage ausgehen können. Darüber hinaus werden Offenlegungspflichten für Unternehmen und Finanzmarktteilnehmer festgelegt.

Mit dem delegierten Rechtsakt, über den das Kollegium der Kommissionsmitglieder heute eine politische Einigung erzielt hat, wird der erste Satz der technischen Bewertungskriterien eingeführt, anhand deren bestimmt werden soll, welche Tätigkeiten wesentlich zur Erreichung von zwei der in der Taxonomie-Verordnung festgelegten Umweltziele beitragen:

  • Anpassung an den Klimawandel: Eine Wirtschaftstätigkeit, die dieses Ziel verfolgt, sollte wesentlich dazu beitragen, nachteilige Auswirkungen des aktuellen oder erwarteten künftigen Klimas oder das Risiko nachteiliger Auswirkungen auf die Tätigkeit selbst oder auf Menschen, Natur oder Vermögenswerte zu verringern oder zu verhindern.
  • Klimaschutz: Eine Wirtschaftstätigkeit, die dieses Ziel verfolgt, sollte wesentlich zur Stabilisierung der Treibhausgasemissionen beitragen und zu diesem Zweck diese Emissionen entweder vermeiden oder verringern oder den Abbau von Treibhausgasen verstärken. Die Wirtschaftstätigkeit sollte mit dem langfristigen Temperaturziel des Übereinkommens von Paris in Einklang stehen..

Diese Kriterien stützen sich auf wissenschaftliche Empfehlungen der Sachverständigengruppe für ein nachhaltiges Finanzwesen. Sie sind das Ergebnis zahlreicher Rückmeldungen von Interessenträgern und der diesbezüglichen Diskussionen mit Europäischem Parlament und Rat. Der delegierte Rechtsakt deckt wirtschaftliche Tätigkeiten von etwa 40 Prozent der börsennotierten Unternehmen in Sektoren ab, auf die knapp 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa entfallen. Zu diesen Sektoren gehören Energie, Forstwirtschaft, Herstellung, Verkehr und Gebäude.

Die delegierte Verordnung zur EU-Taxonomie wird von Zeit zu Zeit weiter an neue Entwicklungen und den technischen Fortschritt angepasst. Auch die Kriterien werden regelmäßig überprüft. Dadurch wird sichergestellt, dass neue Sektoren und Tätigkeiten, einschließlich solcher, die den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft unterstützen oder andere Tätigkeiten ermöglichen, im Laufe der Zeit in den Geltungsbereich aufgenommen werden können.

Eine neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen

Mit dem heutigen Vorschlag werden die geltenden Bestimmungen der Richtlinie über die nichtfinanzielle Unternehmensberichterstattung überarbeitet und gestärkt. Ziel ist die Schaffung eines Regelwerks, das die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Laufe der Zeit auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung stellen wird. Die vorgeschlagene Richtlinie wird die EU-Bestimmungen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf alle Großunternehmen und alle börsennotierten Unternehmen ausweiten. Damit werden künftig fast 50.000 Unternehmen in der EU detaillierte Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung einhalten müssen, d. h. deutlich mehr als die 11.000 Unternehmen, die den derzeit geltenden Anforderungen unterliegen. Die Kommission schlägt die Entwicklung von Standards für Großunternehmen sowie die Entwicklung getrennter, verhältnismäßiger Standards für KMU vor, die nicht-börsennotierte KMU freiwillig anwenden können.

Alles in allem soll der Vorschlag sicherstellen, dass die Unternehmen die von Anlegern und anderen Interessenträgern benötigten verlässlichen und vergleichbaren Informationen zu ihrer Nachhaltigkeit bereitstellen. Dies wird einen kohärenten Fluss von nachhaltigkeitsbezogenen Angaben im gesamten Finanzsystem gewährleisten. So werden die Unternehmen darüber Bericht erstatten müssen, wie Nachhaltigkeitsthemen wie der Klimawandel ihre Tätigkeit beeinflussen und wie ihre Tätigkeiten sich auf Mensch und Umwelt auswirken.

Darüber hinaus wird die vorgeschlagene Richtlinie die Berichterstattung für die Unternehmen vereinfachen. Die Tatsache, dass in diesem Bereich unterschiedliche Meldestandards und -rahmen eingehalten müssen, setzt viele Unternehmen unter Druck. Die vorgeschlagenen EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung sollten diese allesamt ersetzen und zugleich dem Informationsbedarf von Anlegern und anderen Interessenträgern gerecht werden.

Änderungen der delegierten Rechtsakte zu Anlage- und Versicherungsberatung, treuhänderischen Pflichten und zu Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Anlage- und Versicherungsprodukten

Mit den heute angenommenen sechs Änderungsrechtsakten wird das Finanzsystem ermutigt, Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltigem Wirtschaften zu unterstützen und auch bereits bestehende, nachhaltige Unternehmen zu fördern. Zudem wird der Kampf der EU gegen Grünfärberei dadurch gestärkt.

  • Anlage- und Versicherungsberatung: Wenn ein Berater die Eignung eines Kunden für eine bestimmte Anlage beurteilt, muss er nun mit dem Kunden dessen Präferenzen in Bezug auf Nachhaltigkeit erörtern.
  • Treuhänderische Pflichten: Mit den heutigen Änderungen werden die Pflichten eines Finanzunternehmens bei der Beurteilung der eigenen Nachhaltigkeitsrisiken (etwa der Auswirkung von Überschwemmungen auf den Wert der Investitionen) klargestellt.
  • Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Anlage- und Versicherungsprodukten: Für Unternehmen, die Finanzprodukte auflegen, und für Finanzberater bedeutet dies, dass sie bei der Gestaltung ihrer Finanzprodukte Nachhaltigkeitserwägungen Rechnung tragen müssen.

Äußerungen aus dem Kommissionskollegium:

Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident für eine Wirtschaft im Dienste der Menschen, erklärte: „Europa war Vorreiterin bei der Reform des Finanzsystems zur Unterstützung von Investitionen für den Klimaschutz. Mit der ersten Klimataxonomie, die Unternehmen und Anlegern helfen wird, zu beurteilen, ob ihre Anlagen und Tätigkeiten wirklich ökologisch sind, machen wir heute einen großen Schritt nach vorn. Die Taxonomie ist eine wesentliche Grundlage dafür, private Anlagen in nachhaltige Unternehmen zu mobilisieren und in Europa bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Dies ist ein echter Durchbruch, dem umfassende Konsultationen vorausgingen. Wir haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu einem ausgewogenen, wissenschaftlich fundierten Ergebnis zu kommen. Darüber hinaus schlagen wir verbesserte Vorschriften für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen vor. Durch die Entwicklung europäischer Standards bauen wir auf internationalen Initiativen auf und leisten einen Beitrag zu diesen Initiativen.“

Die für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und die Kapitalmarktunion zuständige Kommissarin Mairead McGuinness: „Das Finanzsystem ist für den Erfolg des europäischen Grünen Deals von zentraler Bedeutung. Für die Ökologisierung unserer Wirtschaft sind massive Investitionen erforderlich. Alle Unternehmen müssen dazu ihren Beitrag leisten – sowohl Unternehmen, die in dieser Hinsicht schon weit vorangekommen sind, als auch Unternehmen, die sich noch stärker für Nachhaltigkeit engagieren sollten.

Hintergrund und nächste Schritte

In den vergangenen Jahren hat die EU wichtige Schritte zum Aufbau eines nachhaltigen Finanzsystems unternommen, das zur Erreichung der Klimaneutralität Europas beiträgt. Die EU-Taxonomieverordnung, die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten und die Benchmark-Verordnung bilden die Grundlage der Arbeiten der EU zur Erhöhung der Transparenz und zur Bereitstellung eines Instrumentariums, das es den Anlegern ermöglicht, nachhaltige Anlagemöglichkeiten zu erkennen. Nach der Annahme wird die delegierte Verordnung zur EU-Klimataxonomie vom Europäischen Parlament und vom Rat geprüft (innerhalb von vier Monaten, dieser Zeitraum ist einmal um weitere zwei Monate verlängerbar). In Bezug auf den Vorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen wird die Kommission nun Gespräche mit dem Europäischen Parlament und dem Rat aufnehmen. Die sechs delegierten Änderungsrechtsakte zu Anlage- und Versicherungsberatung, treuhänderischen Pflichten und Aufsichts- und Lenkungsanforderungen bei Anlage- und Versicherungsprodukten werden vom Europäischen Parlament und vom Rat geprüft (innerhalb von drei Monaten, einmal verlängerbar um weitere drei Monate) und dürften ab Oktober 2022 Anwendung finden.

VKU-Chef Liebing: „Hängepartie gefährdet Investitionen in Versorgungssicherheit.“

Dazu VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing: „Es ist bedauerlich, dass im jetzigen Verfahren keine klaren und verlässlichen Perspektiven für Versorgungssicherheit eröffnet wurden und dafür, wie die Wärmewende in Deutschland forciert werden kann. Nach Kernkraft- und Kohleausstieg brauchen wir dringend gasbefeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen als Brückentechnologie, um die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Der “Brennstoffwechsel” von Kohle zu Gas spart dabei schon heute CO2-Emissionen ein. Auch deswegen ist es unverständlich, dass sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Position verständigen konnte, obwohl die Taxonomie-Frage für Investitionen in Gasprojekte entscheidend ist für den Erfolg der Energiewende und die Erreichung der Klimaziele.

Der Transformationsprozess hin zu einer klimaneutralen EU bis 2050 findet jetzt statt. Weil dieser Prozess mit langen Investitionszyklen verbunden ist, brauchen wir schnellstmöglich Investitionssicherheit. Das gilt insbesondere für die Frage, ob diese Investitionen auch als nachhaltig angesehen werden können. Nur so können kommunale Energieversorger ihren Beitrag dazu leisten, die ambitionierten Klimaziele bis 2030 zu erreichen.

Es ist zwar erfreulich, dass sich die bisher vorgeschlagenen realitätsfernen negativen Kriterien für Investitionen in gasbefeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen nicht durchgesetzt haben. Dass die EU-Kommission die Bewertung von Erdgasprojekten aber nun ausgelagert hat, darf nicht zu einer jahrelangen Hängepartie in einem europäischen Gesetzgebungsverfahren führen. Für die größte Volkswirtschaft in Europa ist die Frage einer verlässlichen und bezahlbaren Stromversorgung existenziell.“

->Quellen und weitere Informationen: