EZB im Green Deal – zur Nachhaltigkeit verpflichtet!

Lagarde kann sofort beginnen, während andere Akteure zunächst Gesetze benötigen
Plädoyer von Prof. Harald Bolsinger, Würzburg

Zahllose offene Briefe, Stellungnahmen von Verbänden und Demonstrationen aufgebrachter Bürger*innen forderten und fordern immer noch von der EZB, bei ihrer Finanzmarktpolitik ganzheitliche Nachhaltigkeit walten zu lassen. Mario Draghi hat das während seiner gesamten Amtszeit aktiv ignoriert. Eine geeinte Bewegung, die sich politisch auch jenseits von öffentlichen Wunschbekundungen, Demos und Parteigezänk einbringt, fehlt uns aber immer noch. Doch sie ist dringend nötig, um das umzusetzen, was Europa dringend braucht – und was bereits gilt!

Das Thema ist extrem einfach: Die EZB muss heute schon gesellschaftspolitische Faktoren in ihrer Portfoliopolitik und ihrem gesamten Kerngeschäft zwingend berücksichtigen. Auch die ewige gleiche Argumentation – angefangen von Herrn Weidmann über unzählige finanztechnokratisch geprägte Akademiker*innen mit Professorenhut bis hin zu Politiker*innen ohne Grundwissen über ihre eigene EU-Ordnungspolitik – ändern daran nichts! Das Märchen von der scheinbar verwirklichbaren geldpolitischen Neutralität wird dadurch auch nicht wahrer.

Die EZB hat als EU-Institution eine weltweit einzigartige Stellung unter den Zentralbanken inne. Die Verträge von Lissabon machen die EU-Charta der Grundrechte zu direkt anwendbarem Primärrecht in allen europäischen Institutionen. Also auch für die EZB! Alle Tätigkeiten der EZB als europäischer Institution müssen daher den kodifizierten Werten der Charta der Grundrechte entsprechen – daran ändert auch die viel beschworene Unabhängigkeitsdefinition im Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union nichts. Dies ist der nüchterne ordnungspolitische Rahmen, der bereits gilt! Und das ist ein Segen!

Screenshot aus der Tagesschau vom 1.12.2019

Wir brauchen nicht mehr darüber zu streiten, welche Aspekte der Nachhaltigkeit mit welcher Taxonomie zu berücksichtigen sind – wir haben bereits eine gültige Definition in der Grundrechtscharta! Es fehlt nur noch die Umsetzung in Form simpler Negativkriterien für Wertpapierportfolios, die jede Geschäftsbank bereits seit Jahrzehnten ausweist, die Nachhaltigkeit auch nur ansatzweise auf dem Schirm hat. In einer Tagung Ende Oktober an der Goethe-Uni wurde das ausführlich dargestellt. Am 11.11.2019 wurde im parlamentarischen EU-Petitionsausschuss dazu die Petition 0429/2017 behandelt, mit dem Beschluss, dass mit der neuen EZB-Präsidentin dieser Sachverhalt alsbald diskutiert werden soll.

Eine Aufhebung der Ethikblindheit der EZB kann Frau Lagarde demnach sofort durch negative Diskriminierung von unethischen Wertpapieren im Sinne der EU-Grundrechtscharta umsetzen.

Während für viele Schritte des Green Deal noch Regulierung erforderlich ist, kann und muss die EZB sofort beginnen. Damit wäre das Goldene Kalb eines vermeintlich zwingend ethikblinden Eurosystems ein für alle Mal vom Sockel gestoßen. Sollte die EZB dies nicht umsetzen und die Europäische Kommission die Untätigkeit dulden, besteht die Möglichkeit, den juristischen Weg im Rahmen einer Untätigkeitsklage und/oder Nichtigkeitsklage einzuschlagen. Doch ein derartiges Armutszeugnis wäre Europa unwürdig. Der politische Weg ist allemal besser – zum Beispiel durch Unterstützung der EU-Petition 0429/2017, die ab 1 Mio. Unterstützer*innen das Gewicht einer europäischen Bürgerinitiative bekommen würde.

Es wird sich ändern! Neue Köpfe mit ethischem Sachverstand sind jetzt an der Macht. Eine neue EZB-Präsidentin und eine neue EU-Kommissionspräsidentin, die gemeinsam unsere EU- Grundrechtscharta und die Lissaboner Verträge zu ihrem Antritt in die Kamera halten. Sicher haben sie diese auch gelesen! Jetzt brauchen sie diese nur noch umzusetzen – erinnern wir sie immer wieder daran…

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