Nachhaltigkeit = Achtung der Würde des Menschen + Erhalt der Umwelt

Nachhaltigkeit als politischer Begriff

von Thomas Weber

Nachhaltigkeit ist ein politischer Begriff. Er hat den Erhalt letztlich der Polis, d.i. des Gemeinwesens zum Ziel. Hans Carl von Carlowitz führte vor 300 Jahren das Prinzip der nachhaltigen Waldbewirtschaftung als politische Vorgabe ein, um den Kollaps und das Verschwinden der Wälder als Folgen des Bergbaus im Erzgebirge zu verhindern. Heute, 300 Jahre nach Carlowitz bedeutet Nachhaltigkeit die Vermeidung und die Verhinderung des Kollapses globaler – ökologischer und zivilisatorischer – Systeme, und damit die Verhinderung und Vermeidung eines heute drohenden und vorstellbaren Kollapses der Welt als Polis der Menschheit.

Nachhaltigkeit vom Ende her gedacht

Die Verhinderung des Kollapses verlangt, vom Ende her, vom verhinderten Kollaps her zu denken, und von diesem Ende her zu verstehen, was heute notwendig ist. Vom Ende her gedacht, wird es entweder eine für Menschen bewohnbare Erde geben, die nachhaltig ist, d. i. eine Erde auf der die Menschen so wirtschaften, dass von ihnen keine Gefahr des Kollapses der Erdsysteme mehr ausgeht, oder es wird keine für die Menschheit bewohnbare Welt mehr geben.

Nachhaltigkeit ist Achtung der Würde des Menschen und Bewahrung der Umwelt

Von diesem Ende her gedacht, können wir Nachhaltigkeit bzw. einen nachhaltigen Zustand der Welt als einen Zustand beschreiben, in dem zweierlei realisiert wird: Zum einen die Achtung der Würde des Menschen, daraus abgeleitet die Realisierung des Schutzes der Menschenrechte, von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zum anderen die Bewahrung der Umwelt durch die Realisierung einer vollkommenen Stoffkreislaufwirtschaft auf der Basis regenerativer Energieerzeugung. Beides gehört zusammen. Beides bildet die zwei Seiten derselben Medaille.

Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen – SDG

Die im September 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals (SDG)) denken die Welt vom Jahr 2030 her und formulieren in 17 Zielen, wie die Welt im Jahr 2030 gestaltet sein muss, um den  Kollaps der Weltpolis zu verhindern. Die Frist des Jahres 2030 ist dabei nicht allein politische Absichtserklärung zu verstehen, diese Frist markiert vor dem Hintergrund der realen globalen Veränderungsprozesse durchaus auch die Frist, jenseits der diese Prozesse vielleicht nicht mehr gestaltbar bzw. aktiv beeinflussbar erscheinen. Viel mehr Zeit ist wohl nicht für eine Menschheit und Weltbevölkerung, die dann auf die zehn Milliarden zusteuert, die Welt noch in politisch – zivilisatorischer Weise zu organisieren.

Umfang und Zeitplan dieser SDG formulieren eine gewaltige Aufgabe, der sich kein Land, keine Gesellschaft, letztlich niemand auf der Welt – außer bei Strafe von Zivilisationsbrüchen  und letztlich des Unterganges – entziehen kann. Dabei betreffen die verschiedenen Ziele die verschiedenen Gesellschaften in unterschiedlicher Weise.

SDG 12 adressiert besonders die Industrieländer

Die Industrieländer sind in besonderer Weise von SDG 12 im Hinblick auf Förderung und Schaffung nachhaltiger Produktions – und Konsummuster angesprochen. Sind es doch die in den Industrieländern praktizierten Produktions- und Konsummuster, die sich nicht  auf eine Welt mit bis zu 10 Milliarden Menschen übertragen lassen, ohne dass die globalen Erdsysteme kollabieren.

Damit zielt SDG 12 letztlich auf die Transformation der Lebensstile und Wirtschaftsweisen in den Industrieländern in dem Sinne, dass diese sich von ihrer gegenwärtigen Weltunverträglichkeit  zur Weltverträglichkeit transformieren.

Transformation der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft

Die Schaffung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster stellt  den Industrieländern die Aufgabe einer großen Transformation von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft. Kennzeichen der Kreislaufwirtschaft sind die völlige Vermeidung von Abfall, d. i. Schadstoffeintrag in die Umwelt und die Nutzung ausschließlich kreislaufwirtschaftlich erzeugter regenerativer Energien.

Vom Verbraucher zum Nutzer

Dass dieses mehr ist als nur eine wirtschaftliche Entwicklung zeigt sich im begrifflichen Verschwinden des Verbrauchers bzw. des Verbrauches. In einer Kreislaufwirtschaft wird nichts mehr verbraucht. Die Stoffe werden genutzt bzw. gebraucht. Und im Gegensatz zum Verbrauch, der sich im Verbrauch erschöpft,  sind Gebrauchen und Nutzen immer mit einem „für etwas“ mit einem Zweck  verbunden.

Die Entwicklung von einer Verbrauchswirtschaft zu einer Gebrauchswirtschaft wird daher auch eine Veränderung gesellschaftlicher Wertvorstellungen bedeuten. Sie geht einher mit der Notwendigkeit, bewusst gesetzte Zwecke und Ziele zu verfolgen.

Transformation als politische Aufgabe,  die Märkte  zu regulieren

Zu dieser großen gesellschaftlichen Transformation gibt es keine politisch erstrebenswerte Alternative. Sie ist notwendig für eine Zukunft der Erde mit Menschen.
Wenn Nachhaltigkeit – d.i. Erhalt der Weltpolis –  eine politische Notwendigkeit ist, dann ist es auch politisch notwendig, dass unser Konsum und unser gesamtes wirtschaftliches Verhalten, sei es als Unternehmer oder Verbraucher, sich an Nachhaltigkeit orientieren.

Die Etablierung dieses nachhaltigen Verhaltens ist freilich nur auf an Nachhaltigkeit orientierten Märkten möglich, das sind Märkte, auf denen letztlich nur nachhaltig hergestellte Produkte gehandelt werden können.

Solche Märkte werden sich allein durch individuelles Verhalten von Marktakteuren, von Unternehmen, Anbietern und Verbrauchern nicht etablieren.  Es dürfte für die meisten Akteure auch grundsätzlich nicht einleuchtend sein, warum der einzelne für die Lösung eines kollektiven Problems, nämlich die mangelnde Nachhaltigkeit des Wirtschafts- und Marktsystems, das der einzelne allein nicht verursacht hat, in Anspruch genommen werden soll. Wenn die Etablierung nachhaltiger Märkte politisch notwendig ist, dann kann diese Etablierung letztlich nicht von den Entscheidungen, den Vorlieben und Interessen einzelner Akteure abhängig gemacht werden. Vielmehr ist dann auch die Politik gefordert, die Rahmenregeln und die Ordnung für diese Transformation zu setzen.

Regeln sind Konsens Nachvollziehbarkeit und Verlässlichkeit

Regeln bedeuten Konsens, Nachvollziehbarkeit und Verlässlichkeit. Im Hinblick auf Nachhaltigkeit kann es, weil Nachhaltigkeit, d.i. die Bewahrung der Welt als einem Ort, an dem Polis möglich ist, von alledem nicht genug geben.

Konsens, Nachvollziehbarkeit und Verlässlichkeit können natürlich auch freiwillig erfolgen. Freiwilligkeit bedeutet im Gegensatz zu Gesetzgebung dann aber nur, dass der Konsens von einzelnen oder auch allen auf Grund der Verfolgung von Einzelinteressen problem- und auch folgenlos aufgekündigt werden kann. Das darf nicht passieren, da Nachhaltigkeit keine Frage von Einzelinteressen sein darf. Wenn Nachhaltigkeit Konsens ist, dann ist prinzipiell auch nachhaltigkeitsbezogene Gesetzgebung Konsens.

 Das Bemühen um nachhaltigen Konsum und nachhaltigen Investments als politische Aktion

Der Verweis auf die Verantwortung und Zuständigkeit der Politik und des Gesetzgebers, die notwendigen Regeln zu setzen, macht  indes -zumal in Demokratien –  das Bemühen um die Förderung und Veränderung des individuellen Konsums in Richtung Nachhaltigkeit oder das Bemühen um mit Geldanlage- und Investitionsentscheidungen Nachhaltigkeit zu fördern nicht überflüssig oder gar sinnlos.

Im Gegenteil: Die Diskussion um nachhaltigen Konsum und nachhaltige Geldanlagen ist eine notwendige Voraussetzung, sie ist notwendig für die Schaffung des politischen Klimas, das die Politik dann in die Lage setzt, die auch hinreichenden Voraussetzungen zur Etablierung dieser Märkte, nämlich die gesetzlichen Regelungen auf den Weg zu bringen.

 Projekt: EU-Nachhaltigkeitsdesignrichtline

Konkret könnte in Europa diese gesetzliche Regelung so aussehen, dass die EU, die für die Marktpolitik zuständig ist, festlegt, dass auf den Märkten Europas nur noch nachhaltig produzierte Waren und mit Nachhaltigkeit vereinbare Dienstleistungen angeboten werden dürfen.

Die Nachhaltigkeitsdesignrichtlinie könnte in einer Weiterentwicklung bzw. Neuausrichtung der schon bestehenden Ökodesignrichtlinie bestehen. Diese Ökodesign-Richtlinie dient der Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte. Sie zielt auf eine verbesserte Energieeffizienz und allgemeine Umweltverträglichkeit von Elektrogeräten. Letztlich wird in ihr also ein Rahmen für die Produktgestaltung gesetzlich definiert.

Dieser Rahmen könnte nun um weitere Nachhaltigkeitskriterien erweitert bzw. konkretisiert werden, so dass nicht nur Energieeffizienz und allgemeine Umweltverträglichkeit von Produkten, sondern auch Sozialverträglichkeit und Rahmenbedingungen für den Herstellungsprozess vorgegeben werden.

Die Ausverhandlung einer solchen Richtlinie ist natürlich ein großes Projekt. Es gibt aber – vor dem Hintergrund des Notwendigen – kaum einen Grund, warum das in den nächsten zehn Jahren in Europa nicht auf den Weg gebracht werden kann.

Dr. Thomas Weber arbeitet als Referatsleiter im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz