TTIP-Gegner werden immer mehr: Staeck und Wetzel

Künstler und Arbeiter gemeinsam – gemeinsame Erklärung

Das Handelsabkommen TTIP soll eine große Chance für die USA und Europa sein, doch nicht nur das mittlerweile berühmt-berüchtigte Chlorhuhn macht vielen Menschen hierzulande Sorgen. Die sprechen nun Gewerkschaftler und Künstler gemeinsam aus. Ein Bericht von n-tv.

Detlef Wetzel und Klaus Staeck - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft
Detlef Wetzel und Klaus Staeck – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Die Front der Gegner des geplanten Freihandelsabkommens der EU mit den USA (TTIP) wird größer. Während Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den USA für mehr Sachlichkeit in der hochemotionalen Debatte plädierte, forderte die mächtige Industriegewerkschaft IG Metall im Bündnis mit der Akademie der Künste am 24.10.2014 den Stopp der Verhandlungen. IG-Metall-Chef Detlef Wetzel und Akademiepräsident Klaus Staeck, die beide im TTIP-Beirat von Gabriel sitzen, bezeichneten den geplanten Investorenschutz über ein privates Schiedsgericht als nicht akzeptabel. Nach eigenem Bekunden ist das eine zum Teil frustrierende Arbeit, echauffiert sich Klaus Staeck: „Komischerweise sagen die Industrievertreter nichts. Wahrscheinlich setzen die auf Frau Merkel.“ Staeck drohte damit, sein SPD-Parteibuch zurückzugeben, falls Gabriel und die SPD die Schiedverfahren im TTIP nicht verhinderten.

IG-Metall und Akademie suchen jedoch den Schulterschluss mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, als Gegengewicht zur Bundeskanzlerin, erklärt Kunstakademie-Präsident Klaus Staeck: Wir unterstützen Herrn Gabriel, der nun mal das schwarze Schaf in seinem Stall hat …“

„Beide Abkommen sind vor allem von wirtschaftlichen Eigeninteressen getrieben, die unverzichtbaren Mindeststandards sozialer, Ökologischer und kultureller Verantwortung … widersprechen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von IG Metall und Akademie der Künste. Rechtsstaatliche Prinzipien drohten unter die Räder zu kommen und auch den kulturellen Besonderheiten Europas drohe Gefahr.

Staeck: „TTIP ist ein Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat. Und da der Rechtsstaat die Grundlage der Demokratie bildet, ist das für mich einer der ernstesten Kämpfe, die ich mir je auf die Fahnen geschrieben habe. Da lass ich mich auch erst mal durch nichts besänftigen. Allein schon die Schiedsgerichte, die das Abkommen vorsieht, sind ein massiver Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie.“

Aus einem Papier von IG Metall und der Berliner Akademie der Künste:

„Die IG Metall und die Akademie der Künste verbindet eine gemeinsame kritische Position zu den laufenden TTIP-Verhandlungen. TTIP und CETA, die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA bzw. Kanada, haben eine Welle der Empörung und des Widerstandes ausgelöst. Längst protestieren nicht mehr nur  Globalisierungskritiker gegen eine Handelspolitik, die Freihandel als Ideologie der Mächtigen begreift. Breite Kritik besteht vor allem am geplanten Investitionsschutz („Investor-Staat-Streitbeilegung“), der eine Sondergerichtsbarkeit durch private Schiedsgerichte zugunsten der Konzerne zur Folge hätte: ein Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat.  Infrage stehen außerdem unsere Mindeststandards sozialer und kultureller Verantwortung. TTIP könnte zu einem „Senkungswettbewerb“ führen, wenn sich die Verhandlungspartner bei der Durchsetzung gemeinsamer Standards auf das jeweils niedrigere Level einigen. Kulturelle Vielfalt sowie menschliche Arbeit und die Institutionen der Kapital-Arbeit-Beziehungen gehören im europäischen wie deutschen Kultur- und Sozialmodell zu den Bereichen, die nicht freien Märkten und unreguliertem Wettbewerb ausgeliefert werden dürfen.“

Gemeinsame Erklärung der Akademie der Künste und der IG Metall zum „Freihandelsabkommen“ (TTIP) zwischen der EU und den USA

„Deutschland ist eine Exportnation, und die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen hat in Deutschland und Europa gesellschaftlichen Wohlstand und kulturelle Weltoffenheit befördert. Doch Handel, der allseitigen Wohlstand stiften will, muss fairer Handel sein. Dazu bedarf es eines politischen Rahmens, der verbindlich soziale, ökologische und gesellschaftliche Standards vorgibt.
Im europäischen und deutschen Sozial- und Kulturmodell gehören Umwelt und Natur, Kunst und Kultur, aber auch die menschliche Arbeit und die Institutionen der Kapital-Arbeit-Beziehungen zu den Feldern, die nicht freien Märkten und unreguliertem Wettbewerb ausgeliefert werden dürfen. Weder das gegenwärtige Kulturverständnis und die öffentliche Förderung kultureller Vielfalt, noch die Modelle der Mitbestimmung, der Tarifautonomie und des Sozial- und Umweltschutzes dürfen infrage gestellt oder gefährdet werden.
Vor dem Hintergrund dieser Prinzipien und Werte sehen wir in den gegenwärtigen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) sowie dem offiziell bereits „ausverhandelten“ Abkommen zwischen Kanada und der EU (CETA) vielfältige Gefahren. Mit CETA droht TTIP durch die Hintertür! US-Konzerne könnten kanadische Tochterfirmen gründen und auf der Grundlage des dort vorhandenen Investitionsschutz gegeben falls EU- Mitgliedstaaten verklagen.
Beide Abkommen sind vor allem von wirtschaftlichen Einzelinteressen getrieben, die unverzichtbaren Mindeststandards sozialer, ökologischer und kultureller Verantwortung und den Regeln von Transparenz und demokratischen Entscheidungen widersprechen. Wir wenden uns nicht grundsätzlich gegen Vereinbarungen, die den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit anderen Ländern regeln. Sie müssen jedoch auf die Verbesserung von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Standards sowie die Förderung von kultureller Vielfalt zielen und dürfen diese nicht gefährden.
In diesem Sinne halten wir die folgenden Mindestanforderungen für unerlässlich:

  1. Es genügt nicht, Kultur und Medien und damit lediglich den Status Quo der audiovisuellen Dienstleistungen aus dem Verhandlungsmandat auszuklammern, wenn nicht gleichzeitig die rasanten Entwicklungen in diesem Sektor berücksichtigt werden. Internetbasierte Mediendienste wie Google, die einer rein wirtschaftlichen Logik folgen, könnten so zu einem Einfallstor in den Kultur- und Medienbereich werden. Konzerne wie Amazon könnten ungehindert auf dem Wege zum Monopol die Verlagslandschaft weiter schädigen und die Buchpreisbindung aushebeln.
  2. Prinzipiell ist auszuschließen, dass das demokratische Recht, Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen zu schaffen, gefährdet, ausgehebelt oder umgangen wird oder dass ein Marktzugang, der solchen Regeln widerspricht, ermöglicht wird.
    Die Fähigkeit von Parlamenten und Regierungen, Gesetze und Vorgaben zum Schutz und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen, darf nicht eingeschränkt werden.
  3. Das geplante Investor-Staat-Klageverfahren („Investitionsschutzabkommen“), das Investoren die Möglichkeit einräumen soll, in Fällen vermuteter Beeinträchtigung ihrer Investitionen und Gewinnerwartungen privat organisierte Schiedsgerichte gegen die Vertragsstaaten anzurufen um Schadensersatzforderungen durchzusetzen ist überflüssig und gefährlich. Die EU und die USA verfügen über ordentliche Rechtssysteme. Jegliche Art von Investitionsschutzabkommen lehnen wir daher ab.
  4. Beide Vertragspartner müssen sich verpflichten, die ILO-Kernarbeitsnormen und weitere von der ILO als „bedeutend“ klassifizierte Arbeitsnormen sowie die OECD Rahmenvereinbarungen für multinationale Unternehmen zu ratifizieren und umzusetzen. Jedes Vertragswerk muss einen verbindlichen Zeitplan für die Ratifizierung und Implementierung insbesondere der ILO Kernarbeitsnormen 87 (Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts) und 98 (Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen) enthalten.
  5. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften muss für die Ausgestaltung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse ein umfassender Gestaltungsraum garantiert werden. Es darf keinen direkten oder indirekten Zwang zu weiterer Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen geben.
  6. Bei Dienstleistungen durch in die EU entsandte Beschäftigte ist die uneingeschränkte Gültigkeit nationaler Arbeitsrechts- und Tarifstandards zu gewährleisten. Das Ziellandprinzip ist zu garantieren.
  7. Im Bereich der öffentlichen Vergabe und Beschaffung dürfen soziale und ökologische Vergabekriterien und ihre mögliche Erweiterung nicht in Frage gestellt werden. Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, müssen auf Einhaltung der jeweiligen Vergabekriterien, wie etwa die Tariftreue, verpflichtet werden können.
  8. Ein etwaiges Verhandlungsergebnis bedarf der umfassenden Diskussion in den Gesellschaften der Vertragsparteien und einer Beschlussfassung der nationalen Parlamente.

Die intransparente Verhandlungsstrategie beider Seiten hat in der Gesellschaft ein tiefes Misstrauen hervorgerufen. Erst auf anhaltenden öffentlichen Druck ist das Verhandlungsmandat seit kurzem online einsehbar. Wir halten die unzulängliche Informationspolitik der Regierung und den nachlässigen Umgang mit der gerechtfertigten breiten Kritik aus der Gesellschaft für nicht weiter hinnehmbar. Die politischen Entscheider haben eine demokratiepolitische Bringschuld gegenüber der Gesellschaft. Das gilt auch und insbesondere für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Von ihr sind bisher lediglich allgemeine Bekundungen zu hören, jedoch keine Auseinandersetzung mit den zahlreichen Kritikern. Wir fordern die Bundeskanzlerin auf, im Namen der Bundesregierung klar Stellung zum weiteren Fortgang der Verhandlungen zu beziehen. Das Verwirrspiel gegenüber der Zivilgesellschaft muss ein Ende haben.

Wir halten eine Transparenzoffensive für unverzichtbar, wenn das Vertrauen in die Politik zurückgewonnen werden soll. Es bleibt daher notwendig, den politischen und zivilgesellschaftlichen Druck aufrechtzuerhalten. Die neue EU-Kommission muss mit Blick auf CETA das TTIP-Mandat überprüfen und die Verhandlungen aussetzen, bis die zahlreichen Einwände der Zivilgesellschaft diskutiert und geprüft worden sind. Sie sind neu aufzusetzen, wenn die Kernpunkte unserer Forderungen erfüllt sind.“

Quellen: n-tv.de; jungewelt.de; zeit.de; ttip-unfairhandelbar.de