Deutschland von Nachhaltigkeitszielen noch weit entfernt

Beratung zu UN-Nachhaltigkeitszielen im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung

Deutschland (und die anderen UN-Staaten) sind von den in der Agenda 2030 angestrebten Nachhaltigkeitszielen noch weit entfernt. Das wurde am Mittwoch im Rahmen eines öffentlichen Fachgesprächs des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung deutlich zur Nachbereitung des „High-level Political Forums on Sustainable Development“ (Hochrangiges Politisches Forum zu nachhaltiger Entwicklung) im Juli 2019 sowie des Nachhaltigkeitsgipfels der Vereinten Nationen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs im September 2019. An der Sitzung unter Vorsitz von Andreas Lenz (CSU) nahmen die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD), die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Maria Flachsbarth (CDU), sowie die Jugenddelegierten für Nachhaltige Entwicklung, Rebecca Freitag und Felix Kaminski, teil.

Rita Schwarzelühr-Sutter sagte, in der deutschen Delegation seien sowohl Bundesregierung und Bundestag, als auch die kommunale Ebene und die Zivilgesellschaft vertreten gewesen. Bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele komme man „zu langsam“ zu voran, der Prozess sei „zu wenig transformativ“: Es liege „noch jede Menge Arbeit vor uns“. Im Vergleich zum Klimagipfel habe der Nachhaltigkeitsgipfel etwas „im Schatten“ gestanden.

Maria Flachsbarth verwies darauf, dass UN-Generalsekretär Antonio Guterres gesagt habe, dass eine Dekade des Handelns anbrechen müsse. Deutschland wolle bis 2050 klimaneutral sein und habe zwischen 2005 und 2018 seine Ausgaben zur Klimafinanzierung versiebenfacht. Man gebe 1,5 Milliarden Euro in den grünen Klimafonds, unterstütze die Initiative für eine Klimarisikenversicherung und investieren in grüne Technologien in den Städten. Auch bei den Themengebieten Wald und Gesundheit arbeite man daran, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, eine Informationskampagne solle zudem ab November Menschen in zehn deutschen Städten für das Thema sensibilisieren. Das Hochrangige Politische Forums zu nachhaltiger Entwicklung komme derzeit aber seine „logistischen Grenzen“, hier müsse über ein neues Format mit höherer Wirksamkeit diskutiert werden.

Deutliche Kritik äußerten die beiden Jugenddelegierten, die Teil einer Delegation der Bundesregierung waren und junge Menschen aus Deutschland in der UN-Generalversammlung vertraten. So sagte Felix Kaminski, Nachhaltigkeit und Klimaschutz seien für die junge Generation aktuell besonders wichtige Themen. Man müsse aber bilanzieren, dass die Staaten in Sachen Nachhaltigkeit „gar nicht on track“ seien, es vielmehr „ziemlich düster“ aussehe, weil man beim Erreichen der ökologischen Ziele versage. Deutschland müsse hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Rebecca Freitag appellierte an die Abgeordneten, die Nachhaltigkeitsziele seien die Verantwortung der Regierung und das Parlament müsse diese daran immer wieder erinnern. Es sei nicht akzeptabel, dass die deutsche Regierung verfrüht abgereist sei und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf ihre Rede verzichtet habe. Die Nachhaltigkeitsziele seien 2015 von den 193 UN-Mitgliedstaaten unterzeichnet worden und damit verpflichtend. Es brauche „grundlegende und strukturelle Veränderungen“ etwa in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Energie und Wirtschaftssystem. Bei der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie reichten „Schönheitskorrekturen“ nicht aus. Die Abgeordneten des Bundestags forderte Freitag auf, die Nachhaltigkeitsziele „zur DNA der Regierung“ zu machen.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hatte am 09.07.2013 das Format und die organisatorischen Aspekte des Hochrangigen Politischen Forums zu nachhaltiger Entwicklung festgelegt. Es übernimmt als intergouvernementales Gremium mit universeller Teilnahme aller UN-Mitgliedstaaten innerhalb der Vereinten Nationen die Führung in Fragen nachhaltiger Entwicklung.

Das Forum tagt alle vier Jahre für zwei Tage auf Ebene der Staats- und Regierungschefs im Rahmen der Eröffnung der Generalversammlung („SDG-Gipfel“, SDG steht für Sustainable Development Goals) sowie jährlich für acht Tage, darunter während drei Tagen auf Ministerebene, im Rahmen der Arbeitstagung des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (Ecosoc). (hib/SUK)

->Quelle:  bundestag.de/hib=mod454590

Deutschlands Ungleichheit

Einkommen in Deutschland so ungleich verteilt wie nie zuvor

Die Verteilung der deutschen Einkommen ist nicht so gleichmäßig wie zunächst angenommen schreibt in der WELT. Im Gegenteil: Die Einkommen der Deutschen sind laut dem Verteilungsbericht  des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftungso ungleich verteilt wie nie zuvor. Einen Grund dafür sehen Ökonomen auch in dem Flüchtlings-Zuzug der vergangenen Jahre, der die Statistik verzerrt.

In der Debatte um die soziale Ungleichheit in Deutschland gibt es eine neue Warnmeldung. Die verfügbaren Einkommen sind so ungleich verteilt wie noch nie, das ist das Ergebnis des Verteilungsberichts des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), der größten repräsentativen Panel-Befragung in Deutschland, haben die Forscher verschiedene statistische Werte zur Einkommensverteilung berechnet.

Das gängigste Maß, der Gini-Koeffizient, erreichte im Jahr 2016 demnach einen Höchststand von 0,295. Liegt der Gini-Koeffizient bei 0, bedeutet dies eine vollkommen gleichmäßige Verteilung; ein Wert von 1 wiederum heißt, dass eine einzelne Person das komplette Einkommen erhält.

Getrieben werde die aktuelle Entwicklung von zwei Faktoren, heißt es in dem Bericht. Zum einen hätten Gruppen mit hohen Einkommen „von sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen profitiert und dadurch die große Mehrheit der Haushalte in Deutschland beim verfügbaren Einkommen hinter sich gelassen“. Zum anderen seien die 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen zurückgefallen. Die Armutslücke – definiert als Betrag der fehlt, um die Armutsgrenze von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu überschreiten – sei zwischen 2011 und 2016 preisbereinigt um 29 Prozent gewachsen auf 3400 Euro.

Quelle: WELT

 

„Der Freihandel ist tot“

Lang lebe der Freihandel? Nur, wenn die Globalisierung künftig sozial und umweltverträglich gestaltet wird.
Von Bernd Lange, Tim Peter |
Globaler Handel und Handelspolitik sind in den vergangenen Jahren zu zentralen gesellschaftspolitischen Streitthemen unserer Zeit gewachsen. Diskussionen über das geplante EU-US Handelsabkommen TTIP lösten einen bis dahin ungekannten Sturm der Entrüstung und des Widerstandes aus. Die heftigen Debatten um das jüngst ausgehandelte Abkommen der EU mit den MERCOSUR-Staaten machen deutlich, dass es in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist, entscheidende Weichen in der Handelspolitik zu stellen und damit auch breitere gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen.Wir befinden uns an einem Scheideweg. Denn die Regentschaft des Ideals des Freihandels ist vorüber, der König ist tot. Die Annahme, dass alle Beteiligten von einer Ausweitung und Liberalisierung von weltweitem Handel profitieren und es demnach keine Verlierer dieser Entwicklungen gibt, ist offensichtlich absolut falsch. Mensch und Umwelt sind betroffen, die Gewinne ungleich verteilt. Und zwar nicht nur in denjenigen Staaten, die als verlängerte Werkbank der westlichen Welt wahrgenommen werden, sondern auch bei uns in Deutschland und Europa.

„Die EU darf Staaten, die systematisch Menschen- Arbeitsschutzrechte und Umweltstandards verletzen, nicht mit uneingeschränktem Marktzugang belohnen.“

Viele dieser Entwicklungen nahmen ihren Ursprung in einer Umgebung, die nicht von bilateralen Verträgen, sondern den Regeln der Welthandelsorganisation vorgegeben wurde. Der Fokus der WTO ist ohne Frage auf den Abbau von Handelshemmnissen und der Schlichtung von Handelsstreitigkeiten gerichtet. Die Aufnahme von Gesprächen über Fragen von Arbeitnehmerrechten im Zusammenhang mit Handel wurde 1996 von Entwicklungsländern geblockt. Diese befürchteten, dass mögliche WTO-Regeln in diesem Bereich zum Vorwand genommen werden könnten, um protektionistische Maßnahmen zu ergreifen und damit den komparativen Kostenvorteil billigerer Arbeit aufzuheben.

Die EU hat als Reaktion auf diese Entwicklungen Arbeitnehmer- und Umweltstandards in bilaterale Verträge und ihre Gesetzgebung zur Marktöffnung für Entwicklungsländer (APS-Verordnung) aufgenommen. Die Bilanz, die man heute ziehen kann, fällt allerdings ernüchternd aus. Im Fall von Korea dauerte es Jahre und unzählige Appelle von Gewerkschaften, Parlamentariern und weiteren Beobachtern, bis die EU-Kommission dieses Jahr endlich, zum ersten Mal in ihrer Geschichte, den Streitbeilegungsmechanismus auslöste. Der Ausgang des Prozesses ist ungewiss, wissen doch die koreanischen Regierungsvertreter, dass bei weiterer Nicht-Erfüllung ihrer Verpflichtungen keine harten Strafen drohen. Auch das APS-System hat sich als sehr schwerfällig herausgestellt, teilweise fehlen Kapazitäten um die Lage in Drittstaaten zu beobachten oder die Kommission scheut sich, entschieden Druck auf Regierungen auszuüben.

Wir brauchen ein neues Leitbild für unser handelspolitisches Engagement. Das Ziel muss eine neue Regulierung der Globalisierung sein, bei der nicht wirtschaftliche, sondern soziale und umweltpolitische Zielsetzungen die Inhalte bestimmen. Die Rechte von Arbeitnehmern müssen gestärkt werden, und ihren Vertretern eine Stimme bei der Umsetzung von Handelsabkommen gegeben werden, die auch gehört wird. Gleiches gilt für Fragen des Umweltschutzes. Handelsabkommen dürfen den Zielen des Pariser Klimaabkommens nicht zuwiderlaufen, sondern müssen seine Umsetzung fördern. Ein solcher Ansatz würde zu einem veränderten Gleichgewicht und einem neuen Fokus der Arbeit der Europäischen Kommission führen.

Wir dürfen keine Angst haben, Schranken und Beschränkungen da einzuführen, wo sie sinnvoll oder nötig sind. Die EU darf Staaten, die systematisch Menschen- Arbeitsschutzrechte und Umweltstandards verletzen, nicht mit uneingeschränktem Marktzugang belohnen. Wo Verstöße festgestellt werden, müssen wir schnell und konsequent reagieren. Dazu müssen zum einen Gesetze angepasst werden und die Grundlagen in unseren Abkommen gelegt werden. Aber viel wichtiger ist, dass ein Wechsel in der Haltung der Kommission stattfindet.

„Wenn Fragen der Nachhaltigkeit nicht über Lippenbekenntnisse hinausgehen, wird die Zukunft für bilaterale Handelsabkommen und die europäische Handelspolitik weiterhin von Dissens und Ungewissheit geprägt sein.“

Ein Richtungswechsel ist nur dann glaubwürdig, wenn eine konsequente Umsetzung der gesamten Inhalte eines Abkommens sichergestellt ist und die Kommission, gestützt von Europäischem Parlamiter zu befolgen würde bedeuten, sich als globaler Akteur unglaubwürdig zu machen.

Denn Europa hat das Potential als einflussreicher Akteur auf der Welt aufzutreten, der neben einer Wirtschaftsmacht auch Verfechter internationaler Standards ist und Bedingungen für eine Kooperation stellt. Wir stützen uns dabei auf universelle Werte und Normen und setzen auf Kooperation auf Augenhöhe.

Der designierte Handelskommissar Phil Hogan ist in seiner Anhörung Antworten auf diese drängenden Fragen schuldig geblieben und hat es verpasst, eine progressive Vision von der EU als globalem Akteur aufzeichnen. Das ist bedauerlich, da die Zeit drängt, eine „Handelspolitik für alle“, wie sie seine Vorgängerin ausgerufen hat, umzusetzen. Diese Aufgabe wird das Europäische Parlament übernehmen und Kommissar Hogan eine Reihe von Arbeitsaufträgen an die Hand geben, um seine Arbeit in den kommenden Monaten und Jahren zu steuern.

Es ist höchste Zeit, Verantwortung zu übernehmen und der Welt zu zeigen, dass wir es mit einer nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung ernst meinen.

->Quelle: ipg-journal.de/der-freihandel-ist-tot