Licht und Schatten in den HLEG-Empfehlungen

oekom research-Statement zum finalen Bericht der High Level Group on Sustainable Finance der EU-Kommission

Am 31.01.2018 wurde der finale Bericht der von der EU-Kommission eingesetzten HLEG logoHigh Level Expert Group on Sustainable Finance (HLEG) veröffentlicht. Damit legt die Gruppe nun ein umfangreiches Set an Empfehlungen vor, wie der Gesetzgeber die Entwicklung eines nachhaltigen Finanzmarktes unterstützen kann, in dem die Integration von ESG-Aspekten einerseits die Finanzmarktstabilität fördert und zudem dabei hilft, die EU-Umwelt- und Sozialziele zu erreichen. Ein kommentierendes Statement von Dieter Niewierra, oekom research.

Dabei beziehen die Empfehlungen neben dem Handlungsbedarf bei den konventionellen Finanzratings nun auch explizit Nachhaltigkeitsratings als Teil der Lösung ein. Angesichts der essentiellen Funktion von Nachhaltigkeitsresearch für die Lenkung der Kapitalströme ist dies eine unerlässliche Voraussetzung, um das Ziel des Berichts – die Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft – überhaupt zu erreichen. Denn Nachhaltigkeitsratings sind für fast alle HLEG-Empfehlungen ein Schlüssel-Baustein, um sie umzusetzen bzw. wirksam werden zu lassen.

Schlüsselbaustein Nachhaltigkeitsresearch

Die Empfehlungen benennen zentrale Punkte, wie der derzeitige Finanzmarkt nachhaltiger ausgerichtet werden kann. Dabei wird deutlich, dass das Nachhaltigkeitsresearch für die meisten Punkte einen Schlüsselbaustein darstellt, ohne den diese nicht oder nur ungenügend umgesetzt werden können:

  • In dem Maße, wie ESG-Kriterien als Bestandteil der Treuhand- und Investorenpflichten zu begreifen sind, benötigen Asset Manager und Asset Owner entsprechendes Nachhaltigkeitsresearch, um im Rahmen ihres Portfoliomanagements diesen Pflichten überhaupt nachkommen zu können.
  • Die Anforderungen von Nachhaltigkeitsratingagenturen sind eine wichtige Quelle und Variable für die Ausgestaltung der Unternehmensberichterstattung zu nicht-finanziellen Indikatoren. Sie unterstützen somit die von der HLEG empfohlenen entsprechenden Offenlegungspflichten von Unternehmen.
  • Damit Anbieter die Nachhaltigkeit ihrer Anlageprodukte im Rahmen eines Labels zertifizieren lassen können, müssen sie den Einsatz eines entsprechenden Nachhaltigkeitsratings nachweisen.
  • Mit dem durchgehenden Verweis auf den Stellenwert der Aspekte Transparenz und Qualität im gesamten Bericht, aber auch insbesondere im Zusammenhang mit Ratings setzt die HLEG zudem ein wichtiges Signal. Bei einer komplexen Thematik wie Nachhaltigkeit sind diese beiden Aspekte mitentscheidend, um den Finanzmarkt in seiner Gänze erreichen zu können.

Aus der Sicht von oekom research weisen die HLEG-Empfehlungen „in die richtige Richtung. Sie sind auch im übertragenen Sinne richtungsweisend, so z. B. die Orientierung der Taxonomie an der nachhaltigen Wirkung von Anlagen und ihrem Beitrag zu den SDGs. Diese Wirkungsorientierung ist der effektivste Weg, die EU Umwelt- und Sozialziele effizient zu erreichen. Es ist auch zu begrüßen, dass die EU die Taxonomie als Meta-Schema begreift. Es soll daher selbst keine Metrik, Schwellen oder Indikatoren umfassen, sondern soll anschlussfähig an bestehende Schemata im Markt sein. Dies garantiert für alle Marktteilnehmer eine wichtige Flexibilität bei der Umsetzung ihrer gesteckten Ziele.“

Kein Bezug auf Divestment-Strategien

Einige wesentliche Punkte würden von den Empfehlungen jedoch nicht oder nur unzureichend adressiert bzw. könnten in ihrer Wirkung noch nicht abgeschätzt werden. So könnten sich einige Themen in ihrer Wirksamkeit erst dann beweisen, wenn die Vorschläge operationalisiert seien:

  • Es sind bislang lediglich Grundzüge der Taxonomie bekannt, bei der es in vielen Punkten aber vor allem auf die Ausgestaltung der Details ankommen wird. Als Beispiel sei SDG 2 zum Thema Hungerbekämpfung genannt: Hier geht es nicht allein um die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln wie sie in den Empfehlungen angesprochen werden, sondern auch um die Vermeidung von Fehlernährung. Es bleibt abzuwarten, wie die Herangehensweise der Projektgruppe unter Leitung der EIB bei der Operationalisierung aussehen wird.
  • Ein anderer Aspekt betrifft das Thema Green Bonds: Zwar geht das von der EU angestrebte EU Green Bond Schema (und das darauffolgende Label) in seinen Anforderungen über die Green Bond Principles hinaus und formuliert zudem für die Green Bond Emittenten Verpflichtungen statt Empfehlungen (z. B. in Bezug auf eine Verifikation durch eine Second Party Opinion). Um hier jedoch Greenwashing oder Trittbrettfahrer zu verhindern, ist es zur Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Green Bonds auch notwendig, die Nachhaltigkeitsperformance des Emittenten in die Analyse einzubeziehen.
  • Darüber hinaus sollte neben der Fokussierung des Berichts auf das Thema Klimawandel auch andere Umwelt-Themen wie Artenschwund und soziale Fragen wie z.B. die Einhaltung der Menschenrechte baldmöglichst aufgegriffen werden.
  • Was die geforderte systematische Integration von ESG-Faktoren in Investment- und Kreditprozesse betrifft, so wird diese nur möglich sein, wenn nicht nur wie vorgeschlagen Banken Prozesse zur Bewertung von ESG-Risiken etablieren, sondern stärker noch als bislang auch Versicherungen in Augenschein genommen werden. Leider liegt in dieser Branche der Fokus immer noch sehr auf dem Management von Klimarisiken statt auf dem Beitrag zu Klimawandelbekämpfung und nachhaltiger Entwicklung, wie er durch entsprechende Nachhaltigkeits-Anforderungen an Versicherungskunden realisiert werden könnte.
  • Trotz der Breite der Empfehlungen nimmt der Bericht nicht Bezug auf die Bedeutung bzw. den Beitrag von Divestment-Strategien, was angesichts der weltweiten Dynamik zu diesem Thema und der namhaften Beispiele an Asset Ownern wie auch Asset Managern, die diesen Weg gehen, verwundert.

Der Handlungsbedarf bei konventionellen Ratingagenturen in Bezug auf deren Risikoansatz, Geschäftsmodellen und Zeithorizont im Bewertungsansatz sei zwar im Bericht klar benannt, aber keine durchschlagende Empfehlung enthalten, die diese Probleme lösen würde. Qualitätsanforderungen wie der Deep Data Delivery Standard, die sich auf alle Arten von Ratingagenturen beziehen, seien deshalb unerläßlich.

Robert Haßler - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für FGEÖRRobert Haßler, CEO von oekom research: „Wir begrüßen die Empfehlungen der HLEG und begleiten den Sustainable Finance-Prozess aktiv. Die darin formulierten Anforderungen decken sich in weiten Teilen mit unserem methodischen Ansatz. Kunden, die unser Nachhaltigkeitsresearch nutzen, sind somit gut gerüstet, die zukünftigen Bestimmungen zu erfüllen. Und auch die Unternehmen, die bereits jetzt ein gutes Nachhaltigkeitsmanagement zeigen, bekommen durch die HLEG-Empfehlungen weiteren Rückenwind, was letztlich einer nachhaltigen Entwicklung nützt.“

Über oekom research

Die oekom research AG zählt zu den weltweit führenden Ratingagenturen im Bereich des nachhaltigen Investments. Die Agentur analysiert Unternehmen und Länder hinsichtlich ihrer ökologischen und sozialen Performance. Als erfahrener Partner von institutionellen Investoren und Finanzdienstleistern identifiziert oekom research diejenigen Emittenten von Aktien und Rentenpapieren, die sich durch ein verantwortungsvolles Wirtschaften gegenüber Gesellschaft und Umwelt auszeichnen. Mehr als 180 Asset Manager und Asset Owner aus 13 Staaten beziehen das Research der Ratingagentur regelmäßig in ihre Anlageentscheidungen ein. Die Analysen von oekom research beeinflussen dadurch aktuell rund 1,5 Billionen Euro Assets under Management.

->Quelle: http://www.oekom-research.com/index.php?content=news_20180209151149

Ralf Fücks: „Eigentum für alle! Vermögensverteilung und Vermögenspolitik in Deutschland“

Zur aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) über die Verteilung von Vermögen in Deutschland.

Ralph Fücks – Foto © libmod.deJPG

It‘s a rich man’s world: Folgt man einem aktuellen Forschungsbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sind die Vermögen in Deutschland extrem ungleich verteilt. Nach dieser Rechnung besitzen die obersten zehn Prozent knapp 64 Prozent des Volksvermögens, das top ein Prozent rund ein Drittel und die reichsten 45 Haushalte im Land 4,7 Prozent – etwa so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Während die Einkommensverteilung innerhalb der letzten Dekade entgegen der gefühlten öffentlichen Wahrnehmung einigermaßen stabil geblieben ist, hat sich die Kluft zwischen Vermögenden und Habenichtsen weiter geöffnet.

Der Börsen- und Immobilienboom hat die Vermögenswerte aufgeblasen – wer hat, dem wird gegeben, wer allein von seinem Gehalt leben muss, kann keine großen Sprünge machen. Dieser Trend wird durch die unterschiedliche Besteuerung von Arbeits- und Kapitaleinkommen noch verstärkt.

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„Mehr Nachhaltigkeit ins Regierungsprogramm“

Forderungen und Vorschläge der Forschungsgruppe Ethisch-ökologisches Rating an die Koalitions-Unterhändler: Wir brauchen Gesetzesinitiativen für den nachhaltigen Wettbewerb!

Rauchentwicklung bei Bitterfeld – Foto © Gerhard Hofmann

Im unternehmerischen Wettbewerb werden vielfach Risiken und Kosten zeitlich und räumlich in die Gemeinschaft und auf die Natur abgewälzt, Ressourcen werden ohne Entschädigung ausgebeutet. Durch diese – völlig legale – „Externalisierung“ von Kosten lassen sich Gewinne erhöhen und Wettbewerbsvorteile realisieren. Kaum ein Unternehmen ist frei von diesem Wettbewerbszwang, um am Markt bestehen zu können. Diese Praxis ist zu einem wichtigen Wachstumsmotor unserer Ökonomie geworden. Im Gegenzug wird das unternehmerische und investorische Umfeld im wachsenden Maße mit Risiken belastet. Diese äußern sich konkret in wirtschaftlichen Instabilitäten und Gefährdungen bis zum Zusammenbruch der Standorte und der Lebensqualitäten. In der Folge ist auch gutes unternehmerisches Handeln kaum mehr möglich. Eine nachhaltige Entwicklung ist so unerreichbar. Die Konsequenz: Die Rahmenbedingungen für einen zukunftsfähigen Wettbewerb müssen neu geschaffen werden.
Zu den gegenwärtig laufenden Koalitionsverhandlungen richtet die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität ihre Vorschläge und Forderungen (siehe auch die Seite der Bundesregierung mit Einsendungen des Nachhaltigkeitsdialogs: bundesregierung.de/Nachhaltigkeitsdialog-stellungnahmen/forschungsgruppe) an die Parteien der künftigen Großen Koalition.

Unsere Gesetze befördern den Raubbau an den Produktionsgrundlagen, statt ihn zu verhindern

Unsere Wirtschaftsordnung erlaubt es den Agierenden, die Gemeingüter (Commons, Ressourcen), die unsere gemeinsamen Lebens- und Produktionsgrundlagen bilden, stärker zu nutzen (zu übernutzen) als diese es vertragen. Denn das Recht der Privateigentümer, etwa über ihre Grundstücke, Produktionsanlagen, Fahrzeuge nach Belieben zu verfügen, endet meist nicht konsequent dort, wo aus dem privaten Eigentum heraus ungezügelt auf die Gemeingüter zugegriffen wird¹, wie z.B. auf Atmosphäre, Atemluft, Bodenfruchtbarkeit, Wasserreinheit, Fischreichtum, Artenvielfalt, Bodenschätze.

Naab gestaut bei Kallmünz – Foto © Gerhard Hofmann

Als seien frische Luft, reines Wasser, fruchtbarer Boden oder reiche Fischgründe noch im Überfluss vorhanden, dürfen letztere fast nach Belieben ausgeplündert, die anderen über Gebühr belastet werden. Nach dem Prinzip „höchste Rendite in kürzester Zeit“ werden zu ihren Lasten Kosten gespart, dadurch Preise verbilligt und Qualitäten überhöht. Dieses mit dem Segen des Wettbewerbs- und Gesellschaftsrechts: Aufwendungen und Selbstbeschränkungen, die nötig wären, um eine Schädigung genutzter Gemeingüter zu vermeiden oder diese Güter nach der Nutzung wiederherzustellen, können sanktionsunschädlich unterlassen werden.

Mit einem Wort: Gemeingüter (des Human-, Natur- und Sozialkapitals) werden übernutzt, so wie die sprichwörtliche Gemeindewiese (Allmende) übernutzt wurde, wenn zu viele Tiere zu lange auf ihr weideten, anstatt dass sie durch eingeschränkte Nutzung Gelegenheit bekam, sich zu regenerieren. Übernutzung tritt ein, wenn Nutzungsbeschränkungen der Gemeingüter bzw. Aufwendungen zu ihrer Erhaltung oder ihrem Ersatz unterlassen werden dürfen – anders ausgedrückt: Weil man Kosten auf sie abwälzen (= externalisieren²) darf.

Ein drittes Wort für Übernutzung und Externalisierung ist Raubbau, ein viertes ist Substanzverzehr. Heute sind alle Gemeingüter durch Raubbau und Substanzverzehr bedroht; viele sind dem kritischen Zeitpunkt nahe, an dem ihre Dezimierung nicht mehr zurückgedreht werden kann (vgl. Edenhofers Kippschalter³).

Kippschalter im Erdsystem, Edenhofer 2011, Schellnhuber 1996, Lenton et.al. 2008

Doch noch immer schützt das Wettbewerbsrecht Wettbewerber auch dann, wenn sie sich durch Externalisierung Vorteile gegenüber jenen verschaffen, die Kosten selbst tragen (internalisieren), um die natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen zu erhalten. Und noch immer verpflichtet das Gesellschaftsrecht den Vorstand einer AG allein auf das Vermögensinteresse (Mehrung des Shareholder Vaalue) der Aktionäre, aber nicht auch auf den Schutz des Natur- und Sozialkapitals.

Gesetzesänderungen – Nachhaltiger Wettbewerb muss einklagbar werden!

Der Raubbau an den Gemeingütern schreitet unaufhaltsam voran, solange er nicht durch Gesetzesinitiativen verhindert wird, die mit der Duldung des externalisierenden Wettbewerbs Schluss machen. Anders wird es KAUM zu nachhaltiger Entwicklung kommen. Kosteneinsparung zu Lasten von Gemeingütern muss als unlauterer Wettbewerb gesetzlich sanktioniert werden. Das entspricht dem Verfassungsauftrag, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu verwirklichen. Artikel 14 Absatz 2 des Deutschen Grundgesetzes fordert den Gesetzgeber auf, den Gebrauch des Privateigentums so zu regeln, dass er zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dient4. Diesem Gebot kommt der Gesetzgeber am ehesten nach, wenn er Regeln verabschiedet, deren Einhaltung von der Allgemeinheit selbst überwacht und ggf. eingeklagt werden kann, von geschädigten Einzelnen, von den betroffenen Wettbewerbern und von den Institutionen der Zivilgesellschaft5.

Konkrete Vorschläge

  • BGB: Die beliebige Verfügung über das Privateigentum nach § 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sollte ausdrücklich unter den Vorbehalt gestellt werden, dass der Eigentümerkeine Kosten auf das Natur- und SozialKApital abwälzt, also die Kriterien der Natur- und Sozialverträglichkeit beachtet6
  • UWG: Externalisierung sollte in die verbotenen Wettbewerbshandlungen nach §§ 3-4 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb aufgenommen werden. Ein neuer Absatz 12 in § 4 sollte bestimmen, dass auch derjenige unlauter im Sinne von § 3 handelt, der sich durch Abwälzung von Kosten auf Umwelt und Gesellschaft7 Vorteile gegenüber Mitbewerbern verschafft8. Das UWG soll ja verhindern, dass Unternehmen die Nachfragenden durch bloß vorgespiegelte eigene Leistungen für sich gewinnen. Ein durch Schädigung von Gemeingütern erreichter Vorsprung ist in diesem Sinn nicht weniger unlauter – und dem Allgemeinwohl sogar noch abträglicher – als z.B. Täuschung durch irreführende Werbung oder Ausnutzung von Unerfahrenheit. Wenn Externalisierung als unlauter gilt, können zuwiderhandelnde Unternehmen etwa mit Hilfe der Zentralstelle zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs von Mitbewerbern verklagt werden, die Kosten aufwenden, um die Schädigung der betroffenen Gemeingüter zu vermeiden, und sich benachteiligt fühlen, weil der externalisierende Mitbewerber die Produkte zu niedrigeren Preisen oder mit höherer Qualität anbieten kann und den Nachfragern vorspiegelt, dass sein Kosten- oder Qualitätsvorsprung auf besserer Marktleistung beruht. Raubbau an Gemeingütern darf keinesfalls weiter als Marktleistung gewertet werden; das würde die Marktwirtschaft diskreditieren. Deshalb müssen auch zivilgesellschaftliche Organisationen Unternehmen auf Unterlassung verklagen können.
  • GWB: Flankierend sollten Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die einander eine Internalisierung bestimmter von ihnen bisher abgewälzter Kosten zusichern, vom Kartellverbot ausgenommen werden. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen soll Gewinnsteigerungen durch Ausschaltung von Preis-Unter- und Qualitäts-Überbietung verhindern. Es nimmt aber Verabredungen zur Verbesserung der Produktion bzw. des Angebots vom Kartellverbot aus. Eine Ausnahme muss deshalb auch für Verabredungen gelten, externalisierte Kosten künftig selbst zu tragen.
  • AktG: In § 76 (1) sowie Art. 4.1.1 des Deutschen Corporate Governance Kodex9 sollten die Unternehmensvorstände auf den Schutz der naturgegebenen und der gesellschaftlichen Gemeingüter verpflichtet werden, die unsere Lebens- und Produktionsgrundlagen bilden – des Natur- und Sozialkapitals10. Dabei muss sichergestellt sein, dass die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ (§ 93.1) nicht verletzt wird, wenn er Umweltschutzinvestitionen anordnet, die Arbeitsbedingungen verbessert oder durch Arbeitszeitverkürzung Entlassungen vermeidet11. Sicher bedarf das weiterer, spezifischer Gesetze, doch sollte in § 93.1 die Sorgfalt des Geschäftsleiters durch den Einsatz für das Wohl des Unternehmens, das Vermögen der Kapitaleigner und die Erhaltung der Gemeingüter, die die Lebens- und Produktionsgrundlagen bilden, definiert werden. So bekäme der Vorstand eine Rechtsgrundlage für entsprechende Aufwendungen, und die Zivilgesellschaft gewänne eine Chance, das Unternehmen daran zu erinnern, dass es auf nachhaltige Entwicklung verpflichtet ist.
  • KWG und InvG: Ins Kreditwesengesetz und ins Investmentgesetz muss die Verpflichtung zu einer zertifizierten Anlageberatung aufgenommen werden, die Kapitalanleger darüber informiert, inwieweit Anlageprodukte natur- sozialverträglich sind.
    Die Vorschläge sind – so zwei Rechtsgutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung12 – mit WTO-Recht und EU-Bestimmungen kompatibel.

Zwei offene Fragen – Messung von Nachhaltigkeit und Strukturwandel
Bleiben – vor allem – zwei offene Fragen:

  1. Welche Auswirkungen haben die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen auf die Struktur des Arbeitsmarktes? Und wie kann dieser Umbau sozialverträglich, also gleitend vonstatten gehen? Dafür werden gegenwärtig Forschungsarbeiten erstellt.
  2. Welche aussagekräftigen Messinstrumente für den Nachweis der Nachhaltigkeit von Unternehmen können entwickelt werden? Erste Ansätze dazu enthält der Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden, einer ausführlichen Kriteriologie, die vor 20 Jahren als erstes von der Forschungsgruppe entwickelt wurde. Und die 2016 aktualisiert worden ist – Titel FGEÖR – Systemänderung-oder Kollaps des Planeten.

Anmerkungen

¹ Das Privateigentum reicht in den Bereich des Gemeineigentums hinein, wenn es z.B. in der Verfügung über ein Grundstück oder eine Erdölquelle besteht oder zu Entscheidungen über betriebliche Arbeitsbedingungen berechtigt. Die Bodenschätze, das Grundwasser, der Luftraum, die Gesundheit der Arbeitenden sind Gemeingüter.
² Externalisierung bedeutet, dass Kosten nicht selbst getragen, sondern auf die ungeschützte Außenwelt, die Gemeingüter, abgewälzt werden. Die Abwälzung besteht in der Unterlassung von Aufwendungen, die nötig wären, um eine Schädigung eines Gemeinguts im Vorhinein zu vermeiden oder im Nachhinein zu kompensieren (also das Gemeingut wieder auf den vorigen Stand zu bringen oder es durch ein anderes gleichwertig zu ersetzen). Schädigung eines Gemeinguts liegt vor, wenn dieses durch Produktion oder Konsum über das Maß hinaus abgenutzt wird, das es schadlos absorbieren (durch Regeneration selbst ausgleichen) kann. Sie entsteht bei Bodenschätzen oder Fischbeständen aus der Verminderung (durch Extraktion), beim Klimasystem oder der menschlichen Gesundheit aus der Schwächung des Systems (z.B. durch Emission von Schadstoffen), bei Ökosystemen auch aus Übernutzung oder Umwidmung, bei Sozialsystemen wie der gesellschaftlichen Partizipation z.B. aus einer Vorenthaltung von Bildungs- oder Erwerbschancen.
³ http://www.muenchner-wissenschaftstage.de/2010/upload/download/Edenhofer_globale_Klima-_und_Energiepolitik.pdf
4 Ähnlich sagt die Grundrechte-Charta der EU in Artikel 17: „Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist“ und ergänzt in Artikel 37, dass gemäß „dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung“ ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität sichergestellt werden müssen.
5 Das Rechtsinstitut der Verbandsklage gib es ja schon. Ein Naturschutzverband oder sonstiger Verein kann klagen, ohne selbst in eigenen Rechten verletzt zu sein, und damit die Rolle eines Anwaltes der Natur übernehmen.
6 Die Nutzung von Gemeingütern verursacht dann Kosten, wenn sie die Absorptions- oder Regenerationsfähigkeit des Gemeinguts überschreitet (Fußnote 3). Da die Einzelnen diese Grenze meist nicht genau bestimmen können, muss es Kriterien geben, an denen sie ihr Verhalten orientieren können. Dazu vgl. Hoffmann, Johannes, Ott, Konrad & Scherhorn, Gerhard (Hg.): Ethische Kriterien für die Bewertung von Unternehmen. Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden. Frankfurt a. M. 1997: Verlag für interkulturelle Kommunikation (IKO).
7 Die Definition der Externalisierung (siehe Fußnote 3) ist notwendigerweise abstrakt. Sie kann durch Beispiele für Externalisierungshandlungen oder Hinweise auf einschlägige Urteile konkretisiert werden, die in den Motiven des Gesetzes aufgezählt werden könnten. Im Anhang sind einige Beispiele aufgeführt
8 Eine entsprechende Definition der Externalisierung gehört auch in die „Schwarze Liste“ der Richtlinie 2005/29/EU über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarktverkehr.
9 Seit Juni 2009 lautet Art. 4.1.1 „Der Vorstand leitet das Unternehmen das Unternehmen mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung in eigener Verantwortung und im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen mit dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder).“ Die Worte „nachhaltige Wertschöpfung“ erlauben aber immer noch die Auslegung, dass der Vorstand allein auf permanente Steigerung des Unternehmenswertes verpflichtet ist; denn ohne nähere Definition kann der Begriff „nachhaltig“ auch im Sinn von „andauernd“ verstanden werden. Als Definition des Nachhaltigkeitsziels reicht die Bezugnahme auf die Stakeholder nicht aus; denn sie überlässt es der Entscheidung der damit gemeinten gesellschaftlichen Gruppen, ob sie das Unternehmen auf Externalisierungshandlungen kritisch hinweisen wollen oder nicht.
10 Gewiss ist es weiterhin berechtigt, dass dem Vorstand (und natürlich auch dem Aufsichtsrat) die Pflicht zugewiesen ist, die Kapitaleigner vor Vermögensschaden zu bewahren. Nicht mehr zeitgemäß ist es dagegen, dass an keiner Stelle des AktG (und ebenso
11 z.B. durch Teilzeitarbeit, Elternzeit, Bildungsurlaub, Sabbatjahre, Altersteilzeit u.a. Setzt die Einführung von Lebensarbeitszeitkonten voraus.
12 WISO-Diskurs: Nachhaltigkeit im Wettbewerb verankern, Bonn, 2015: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/11440.pdf

->Quellen: