Jubiläumstagung der Forschungsgruppe Ethisch-ökologisches Rating (FG EÖR) an der Frankfurter Universität in der Evangelischen Akademie Bad Boll
Unter dem Titel „Mehr Nachhaltigkeit! 25 Jahre FGEÖR“ kamen etwa 50 Mitglieder, Unterstützer und Referenten am 3. und 4. November 2017 an den Rand der Schwäbischen Alb. Fazit: Nachhaltigkeitsratings sind ein wichtiger Zwischenschritt. Angesichts der SDGs müssen Politik, Agenturen, Finanzwelt und Forschung die Gangart erhöhen. – Ein Resümee von Susanne Bergius, 06.11.2017.
Die Impulskraft von Nachhaltigkeitsratings und nachhaltigen Investments sowie die Orientierung von Unternehmen und Finanzwelt an den Sustainable Development Goals (SDGs) könnten verstärkt werden durch
- ein nachhaltigkeitsorientiertes Wettbewerbsrecht,
- aktivere institutionelle Investoren,
- eine höhere Gemeinwohlorientierung der Ratingkonzepte,
- die Einbindung von Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit sowie
- eine intensivere Forschung zu Externalisierung respektive Internalisierung öko-sozialer Kosten.
Von der Jubiläumstagung erhoffte sich die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating (FG EÖR) anlässlich ihres 25jährigen Jubiläums Kritik und Anregungen für sich selbst sowie für die Arbeit der Teilnehmenden. Beides kam auch:. Die Tagung gab zahlreiche wertvolle Impulse, über die es sich lohnt, weiter zu diskutieren und, ja, auch zu streiten. Über manches Gehörte müsste man länger nachdenken und tiefer recherchieren.
Insofern ist dieses Resümee zu verstehen als eine Sammlung von
- Kernthesen,
- Eindrücken und
- Lerneffekten sowie
- kommentierenden Einschätzungen.
Diese Aspekte bündele ich in 12 Ansätzen zur Vertiefung: Zentralen Thesen folgen wesentliche erläuternde Aussagen der Referenten und Diskussionsrunden, die ich („SB“) in kursiver Schrift kommentiere.
Grußwort von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks
Nachhaltigkeit und Transparenz – als wichtige Säule zeitgemäßen Risikomanagements
Liebe Symposiums-Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
eines ist gewiss: Zur Mitte des 21. Jahrhunderts wird die Welt anders aussehen als die Welt, die uns aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertraut ist: Techno-logische und soziale Neuerungen, die Folgen des Überschreitens planetarer Grenzen, der Verlust an Biodiversität bei steigendem Bevölkerungswachstum und der zunehmende weltweite Ressourcenverbrauch – all diese Entwicklungen berühren unsere ökologischen und ökonomischen Lebensgrundlagen. Sie zeigen zugleich: Ökologische Herausforderungen haben eine ökonomische Seite und umgekehrt.
Diesen Zusammenhang hat die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität (FGEÖR) schon frühzeitig in den Blick genommen. Sie arbeitet seit nunmehr 25 Jahren zielgerichtet an grundlegenden Themen wie „Erhaltung der Gemeingüter“, „Bewahrung der Schöpfung“, „Zurückdrängung der Externalisierung“ und „Langfristigkeit versus Kurzfristigkeit“.
Was vor 25 Jahren mit Pionierarbeit begann, hat zwischenzeitlich einen sehr umfassenden Ansatz gewonnen: Die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft zu betrachten. Ein Anliegen, dem Sie sich mit Ausdauer und ethisch-begründetem Wertefundament verbunden fühlen.
Manchmal braucht es Beharrlichkeit, um die Ernte von Pionierarbeit einfahren zu können. Heute diskutiert man wie selbstverständlich über „green/sustainable finance“ – und das nicht nur in internationalen Fachkreisen wie G7 und G20, sondern zunehmend auch auf nationaler und regionaler Ebene. Dabei geht es um Fragen, wie beispielsweise Umwelt- und Klimarisiken und -chancen adäquat berücksichtigt werden können. Das Thema Nachhaltigkeit dringt zunehmend in die Finanzwelt und darüber hinaus. Hierzu hat die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating wesentlich beigetragen.
Nichts auf der Welt ist so kraftvoll wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, so hat Victor Hugo gesagt. Und meines Erachtens nach ist im Jahr acht nach der Finanz- und Wirtschaftskrise die Zeit gekommen, langfristige Risiken zu betrachten und ESG-Kriterien – also ökologische, soziale und Governance-Aspekte – im Kerngeschäft zu verankern. Sie müssen Entscheidungsgrundlage der Investitions- und Anlagepolitik werden. Nachhaltigkeit und Verantwortlichkeit im finanzwirtschaftlichen Kontext ist zugleich Ausdruck eines zeitgemäßen Risikomanagements. Ökologisch wie sozial fragwürdige Geldanlagen sind nicht mehr zeitgemäß. Das umso mehr, seitdem „Nachhaltigkeit als politisches Leitprinzip“ mit dem Beschluss der 2030-Agenda der Verein-ten Nationen für eine weltweite nachhaltige Entwicklung 2015 international einen gewaltigen Schub bekommen hat. Investitionsentscheidungen von heute beeinflussen die Infrastruktur von morgen. Wenn wir eine weiterhin lebenswerte Zukunft wollen, dann müssen Geldströme in umwelt- und ressourcenschonende Verfahren und Produkte fließen.
Wir müssen endlich langfristig, im Interesse der Nachhaltigkeit, denken und handeln. Die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating hat damit begonnen und arbeitet an dem entsprechenden Wissenstransfer. Das alles mit dem klaren Ziel, geeignete Rahmenbedingungen für eine ethisch fundierte und intakte Umwelt zu schaffen.
Wegen ihrer besonderen Fähigkeit, frühzeitig die richtigen Fragen zu adressieren, ist die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität vorbildlich.
Arbeiten Sie deshalb weiterhin so wirkungsvoll an der „Nachhaltigkeits-Schnittstelle“ zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Ich bin gespannt auf Ihren Brückenschlag, Ihre Anstöße und Initiativen in den nächsten 25 Jahren. Zu tun gibt es genug!
Ihnen allen wünsche ich ein erkenntnisreiches und gewinnbringendes Symposium.
Mit herzlichen Grüßen
Zu Beginn erinnerte Johannes Hoffmann an die Anfänge der Forschungsgruppe (damals „Projektgruppe“) Ethisch-Ökologisches Rating, um den Blick auf die künftigen Herausforderungen zu lenken.
Erwartete Wirkung überschätzt
1. Die Idee, es reiche eine langsame Evolution – hier nachhaltige Geldanlagen -, um gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gegenzusteuern, überholt, selbst wenn manchmal aus einzelnen Aktionen Großes erwächst. Daraus ergeben sich neue Forderungen – zum einen an Nachhaltigkeitsratings, zum anderen an den Gesetzgeber, denn er bedient den Hebel „Wettbewerb“.
Die Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating war überzeugt, dass es keiner radikalen Umwälzungen bedürfe, damit Menschen dauerhaft mit der Schöpfung überleben könnten. Stattdessen sollten es neue soziale Prozesse ermöglichen, ein immer komplexeres Weltsystem neu zu justieren und Gleichrangigkeit von Natur, Arbeit und Kapital zu erreichen. Der zunächst erarbeitete Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden (FHL) für die Bewertung von Unternehmen und Kapitalanlagen sollte zu dieser Evolution beitragen. Die Forscher erhofften eine spürbare Wirkung zugunsten einer sozial-ökologischen Markt- und Kreislaufwirtschaft. Zwar steigt das Volumen nachhaltiger Geldanlagen kontinuierlich und kräftig, dennoch ist die Welt, wie Johannes Hoffmann sagte, „heute im Großen und Ganzen keineswegs nachhaltiger als vor einem Vierteljahrhundert“. Die Wirkung von Nachhaltigkeitsratings und ethischen Geldanlagen sei überschätzt worden. Dies liege auch an der Verwässerung des Nachhaltigkeitsbegriffs durch Ratingagenturen und Investoren.
Daraus ergeben sich nach Ansicht von Johannes Hoffmann angesichts von ethischen Grundorientierungen neue Notwendigkeiten.
So sollten Nachhaltigkeitsratings erstens ein radikaleres Verständnis von Nachhaltigkeit praktizieren und keine Externalisierung mehr akzeptieren. Messlatte sollten Erhaltungsinvestitionen für Natur- und Sozialkapital sein: je größer die verbleibende Externalisierung, desto negativer die Bewertung. Denn Externalisierung sei das Gegenteil von Nachhaltigkeit – letztere definiere sich geradezu durch die Abwesenheit der ersteren. Das höchste Prädikat sollten demgemäß nur solche Unternehmen bekommen, die alle genutzten Gemeingüter ebenso behandeln wie ihre eigenen Produktionsanlagen. Will heißen: Solche, die jeden Verbrauch von Natur- und Sozialkapital durch geeignete Ersatzinvestitionen vermeiden oder kompensieren.
Zweitens seien künftig nicht nur die ökologische und soziale Dimensionen, sondern auch die ökonomische Dimension zu betrachten. Keine der drei Dimensionen sei durch eine andere substituierbar, schon gar nicht durch Finanzkapital. Auch Henry Schäfer, der zwar verhindert war, aber dessen Thesen summarisch vorgetragen wurden (s.u.), fordert, Ratings auf ökonomische Aspekte auszuweiten und zu vereinheitlichen.
SB: Die Frage daraus lautet: Sollen Nachhaltigkeitsanalysten jetzt auch Finanzanalyse machen?
Einerseits könnte man sagen: Das verkennt die unterschiedlichen Qualifikationen von Finanzanalysten und Nachhaltigkeitsanalysten. Zudem ist zu entgegnen: Sollen sich die Agenturen zusätzlich zum aktuellen Wettbewerb mit Mainstreamakteuren, die Research zu Umwelt-Sozialem-Governance (ESG) anbieten, auch noch den Wettbewerb mit Finanzratingagenturen aufhalsen?
Andererseits: Was wäre, wenn Nachhaltigkeitsagenturen langfristige Finanzanalysen machten und sich damit klar von Finanzratings absetzten und auf diese Weise Langfrist-Investoren eine solidere Entscheidungsgrundlage böten? Ist es völlig undenkbar, dass Nachhaltigkeits-Ratingagenturen dafür Finanzanalysten einstellen? Oder womöglich gar mit konventionellen Agenturen kooperieren, um umfassende Ratings zu liefern – und auf diese Weise die potenzielle Chance zu nutzen, sich im Wettbewerb mit dem Mainstream besser zu positionieren?
Die FG richtet auch Forderungen an den Gesetzgeber, denn er verursache, dass Kosten externalisiert, also auf Gemeinwohl und Gesellschaft abgewälzt würden. Finanzkrise und Klimawandel zeigten, dass die Rahmenbedingungen für den Wettbewerb nicht hinreichend geregelt seien. Darum ruft die Forschungsgruppe EÖR dazu auf, das Wettbewerbs- und Aktienrecht anzupassen und auf Verantwortung, Rücksicht, Fairness und Respekt vor dem Gemeinwohl und den Erhalt der Gemeingüter auszurichten.
Konkrete Vorschläge
Die FG EÖR unterbreitete dazu konkret ausformulierte Vorschläge. Die betreffen
- die Natur- und Sozialverträglichkeit des Eigentums,
- die Begrenzung unlauteren Wettbewerbs infolge Missachtung natürlicher Gemeingüter und der Volksgesundheit (weitgehendes Verbot von Externalisierung),
- Erleichterungen zwecks Internalisierung externer Kosten,
- Sorgfaltspflichten für Natur- und Sozialkapital sowie
- eine vorgeschriebene Beratung zu Natur- und Sozialverträglichkeit im Kreditwesen und Investmentbereich.
Also: Primat der Politik vor einem von Lobbyisten betriebenen Kapitalismus.
Mit dieser Neuausrichtung würde die Politik eine zukunftsfähige Marktwirtschaft aufbauen helfen, um die Gemeingüter, die allgemeinen Lebensgrundlagen (laut BVerfG Güter der Allgemeinheit) auch für künftige Generationen zu erhalten. Denn dann müssten Nutzer für deren Erhaltung (Regeneration, Wiedergewinnung, ggf. Ersatz) sorgen.
SB: Über diese Vorschläge sollte sich die Politik wahrlich beugen, es sind Maßnahmen, die längst ausstehen und dringend erforderlich sind, um eine zukunftsfähige Marktwirtschaft aufbauen. Die Bundesregierung kann sich nicht der Nachhaltigkeit verschreiben, aber zugleich und unbeirrt nicht-nachhaltiges Wirtschaften begünstigen.
Natürlich können Nationalstaaten hierbei aber nicht alleine agieren, es bedarf der internationalen Einbettung und eines EU-und WTO-kompatibles Vorgehens. Dafür braucht es aber unabdingbar progressiver Anregungen aus den Nationalstaaten heraus.
SB: Das mag schwierig sein, aber die Änderung des Wettbewerbsrechts wäre im Sinne der 2015 verabschiedeten globalen Nachhaltigkeitsziele der UN, den Sustainable Development Goals (SDGs).
Was die Bundesregierung tut
Ratingagenturen mögen einen Einfluss auf die Finanzwelt und die Unternehmen haben, doch angesichts der SDGs ist entscheidend, was die Politik tut, um Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig aufzustellen. Thomas Weber, im Bundesjustizministerium für Nachhaltigkeit zuständig, stellte vor, was die Bundesregierung angesichts der Dringlichkeit tut – sowie, was sie und die EU-Politik dringend tun müsten und dass es dafür Verbündete braucht.
2. Maßgebend für Industrieländer ist vor allem das Nachhaltigkeits-Ziel 12: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster zu schaffen. Dieses SDG bedeutet, die Große Transformation zu schaffen: den Übergang von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft. Nötig dazu ist laut Weber eine Nachhaltigkeitsdesign-Richtlinie. Damit Politik das tut, was sie tun müsste, braucht sie Verbündete und Druck aus der Gesellschaft.
Die Große Koalition und bis dato noch geschäftsführende Bundesregierung habe unter Nachhaltigkeit die Achtung der Menschenwürde und die Bewahrung der Umwelt verstanden. Operationales Ziel sei die Kreislaufwirtschaft, so Weber. Die SDGs hätten in der Nachhaltigkeitspolitik eine neue Phase eingeleitet: Das bundespolitische Nachhaltigkeitsdesign sei 2016 im Hauruck-Verfahren auf deren absolute Ziele neu ausgerichtet worden. Darum stimme noch Vieles nicht überein. Trotzdem stelle sie den Nachhaltigkeitsdiskurs auf eine völlig neue Grundlage.
„Die SDGs sind ein gigantischer Weckruf an die ganze Welt“, sagte Weber. Wenn es nicht gelinge, bis 2030 in fundamentalen Fragen ganz wesentliche Fortschritte zu erreichen, bestehe die Gefahr, dass die Prozesse nicht mehr steuerbar seien. Das sei hoch dramatisch: 12 Jahre seien keine lange Zeit. Angesichts der rasant wachsenden Weltbevölkerung steige die Relevanz einer richtigen Kreislaufwirtschaft. Das erwarteten die Menschen aus Schwellen- und Entwicklungsländern.
Digitalisierung in den Dienst der Nachhaltigkeit stellen
Bei der nötigen Transformation von der Linearwirtschaft zu einer echten Kreislaufwirtschaft werde praktisch nichts gleich bleiben – und das in nur 12 Jahren. Die Potenziale der Nachhaltigkeitspolitik lägen in der Gestaltung der Prozesse. Darum sei die Digitalisierung in den Dienst der Nachhaltigkeit zu stellen. Der Kreislaufgedanke sei ohne Digitalisierung nicht zu realisieren.
Was müsste die Politik machen, um die Transformation voran zu treiben? Weber: Nötig wären Märkte, auf denen ausschließlich nachhaltige Produkte angeboten werden, so dass nicht die Verbraucher entscheiden müssten, was nachhaltig sei – denn das sei eine Zumutung. Wenn Nachhaltigkeit notwendig sei, könne man sie nicht von den Konsumentscheidung Einzelner abhängig machen. Nachhaltige Märkte zu etablieren, sei sinnvoller Weise nur auf europäischer Ebene denkbar. Würde Europa in diese Richtung gehen, würden wesentliche Teile der Welt sicher folgen. Wären die Märkte nachhaltig, bräuchte es keine explizit nachhaltigen Investments mehr – denn dann wäre das für alle Investments der Maßstab. Insofern sei es das Ziel der nachhaltiger Geldanlagen, sich selbst überflüssig zu machen. In diesem Sinne sei jede Anstrengung für nachhaltige Investments sinnvoll. Genauso sei das mit der Politik.
Was heißt das konkret? Weber: „Wir sollten die Ökodesign-Richtlinie erweitern zu einer Nachhaltigkeitsdesign-Richtlinie, die für alle Produkte Nachhaltigkeitskriterien definiert.“
Er sagte aber auch: „Die Politik traut sich noch nicht zu tun, was offensichtlich notwendig ist.“ Dies sei so, obwohl die Nachhaltigkeitsarchitektur ausgefeilt sei mit Federführung im Kanzleramt, Staatssekretärsausschuss, Nachhaltigkeitsstrategie, turnusmäßiger Bestandsaufnahme zu den Kriterien sowie Nachhaltigkeitsbeauftragten in allen Ministerien. Die Nachhaltigkeitsexperten hätten trotz divergierender Meinungen ein Gemeinschaftsgefühl – und dieselben Widersacher.
Auf die Frage aus dem Auditorium, warum die Bundesministerien nicht die Beschaffung und das Gebäudemanagement komplett auf Nachhaltigkeit umstellten, antwortete er: Die Gesellschaft sei noch nicht so weit, sprich: damit könnten Politiker keine Wahlen gewinnen. Damit Politik tue, was notwendig sei, brauche sie Verbündete und Ermutigung aus der Gesellschaft. Er rief dazu auf, beim öffentlichen Anhörungs- und Konsultationsverfahren im Rahmen des Peer Reviews der OECD die Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung zu bewerten.
SB: Tatsächlich ist die Anfang 2017 beschlossene neue Nachhaltigkeitsstrategie deutlich breiter gefasst mit viel mehr Zielen über Deutschland hinaus. Spannend ist das neue Ziel, den Marktanteil von Produkten mit staatlichen respektive glaubwürdigen und anspruchsvollen Umwelt- und Sozialsiegeln bis 2030 von 6% auf 34 Prozent zu steigern. Hier hat sich die Bundesregierung wirklich viel vorgenommen.
Relevant ist, dass Nachhaltigkeit „bei jedem Gesetz und jeder Rechtsverordnung von Anfang an berücksichtigt werden“ soll. Nachhaltigkeit ist „als verpflichtender Prüfstein der Folgenabschätzung in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien von Vorschlägen der Bundesregierung für Gesetze und Verordnungen verankert.“ Eigentlich gab es eine verpflichtende Gesetzesfolgenabschätzung schon zuvor, wurde aber kaum umgesetzt oder wirkte nicht.
Ob sich das nun ändern wird? Zweifel sind angebracht. Denn noch kurz vor Verabschiedung der Nachhaltigkeitsstrategie fielen unverändert politische und legislative Entscheidungen ohne hinreichende Gesetzesfolgenabschätzung. Man schaue sich nur den Alleingang von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) Ende 2016 an: Damals erlaubte er per Verordnung überlange Lastwagen. Der Vorstoß ist absurd angesichts der steigenden Verkehrsemissionen.
Daraus ableitbare Interessenskonflikte erklären wohl, warum die Regierung zum SDG 9 „Eine belastbare Infrastruktur aufbauen“ kein Ziel für klimaverträgliche Mobilitätskonzepte formulierte. Ein echtes Versäumnis. Der beim SDG11 genannte Endenergieverbrauch als einziger Maßstab ist überdies nichtssagend: Würde die Bahn sämtliche Güter mit erneuerbaren Energie befördern, bräuchte ihr Energieverbrauch gar nicht zu sinken. Im Gegenteil: Ein absoluter Anstieg gegenüber dem der emissionsträchtigen Lkw-Transporte könnte ein gutes Signal sein.
Zudem findet sich in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie kein Indikator, der bei Unternehmen, zumindest solchen mit Bundesbeteiligung, misst, ob sie über Nachhaltigkeitsrisiken und Leistungen berichten.
Das größte Loch klafft beim Kapitalmarkt. Seine Verantwortung für die Finanzierung umwelt- und sozialschädlicher Entwicklungen und Produkte, die den Globalen Nachhaltigkeitszielen entgegenstehen, wird ausgeblendet. Geld- oder Kapitalanlagen sind unerwähnt und es fehlen Rechenschaftspflichten oder Ziele für Investments, zumindest für öffentliche Gelder.
Es wäre zu wünschen, dass die neue Bundesregierung diesen Hebel nicht auch ignoriert, sondern aktiv nutzt, um die SDGs zu erreichen.
Die britische Perspektive
Wie durch den Kapitalmarkt, bzw. aktive Investoren tatsächlich Veränderungen in Unternehmen angestoßen werden können und könnten, verdeutlichte Franziska Jahn-Madell aus britischer Perspektive. Ihre Ausführungen machten deutlich:
3. Durch Existenzialismus – Tun, statt Jammern und durch Linkshänder-Macht zum Nachdenken anregen – können Investoren bei Vorständen unternehmerische Systeme stören, zu Veränderungen beitragen und gegen den neuen Brutalismus angehen.
Das politische und wirtschaftliche Umfeld habe sich als hässliche Folge der Finanzkrise von 2008 zu einem neuen Brutalismus verändert, erläuterte Jahn-Madell unter Bezug auf den von John Rogers 2017 geprägten Begriff. Zunehmender Rechtsextremismus, Populismus, Autoritarismus, und Brutalität gehen demnach einher mit der grundlegenden Verachtung der Menschenwürde in immer mehr Ländern. Infolgedessen schwindet oder schrumpft staatliche Unterstützung zur Bekämpfung globaler Probleme wie Klimawandel, Umweltzerstörung und soziale Übel in vielen Ländern.
Spannend ist die Aufforderung von Jahn-Madell, dem neuen Brutalismus mit existenzialistischem Vorgehen zu begegnen: Anzuerkennen, dass, wie der Existentialismus sage, Leiden unvermeidlich sei. Dass die Frage also nicht sei, ob das Leben uns Zitronen gebe, sondern zu entscheiden, wie wir mit diesen Zitronen umgingen. Sie gab ermutigende Beispiele dafür, dass Investoren und Unternehmen in den USA, Großbritannien und anderen Ländern trotz aller Widrigkeiten weltweit in diesem existenzialistischen Sinne vorgehen. Etwa – dass 1.200 Unternehmen, 300 Städte und 9 US-Bundesstaaten trotz des bevorstehenden Austritts des Landes aus dem Pariser Klimaabkommen weiter auf dessen Implementierung hinarbeiten wollten. Oder dass sich immer mehr Investoren mit Umwelt, Sozialem und Governance befassten und allein oder gemeinsam mit anderen die Vorstände und Aufsichtsräte im direkten Austausch dazu bewegen wollten, verantwortlicher zu wirtschaften.
SB: Lange war – von einzelnen Positivbeispielen – unklar, ob dieses (englisch ausgesprochene) Engagement überhaupt etwas bewirkt. Denn es ist vertraulich und muss vertraulich sein, weil es nur so funktionieren kann.
Im September habe eine akademische Studie der Cass Business School bestätigt, dass diese direkte Ansprache tatsächlich relevant sei, unter anderem, weil Investoren für Unternehmen Frühwarnsysteme darstellten und Firmenlenker wach rüttelten. Ob Engagement aber wirksam sei, hänge davon ab, so Jahn-Madell, wie Investoren die Unternehmen ansprächen, wie sie diese psychologisch dafür gewännen, zuzuhören und Verhalten bzw. Geschäftsgebaren zu ändern.
Hierzu gab Jahn-Madell diese Gedanken mit auf den Weg: Beim Prozess, eine Denkweise zu ändern, gehe es nicht darum, zu gewinnen oder zu verlieren, sondern darum, ein System zu stören. Dies gelinge durch Anstöße und Fragen, von denen der Angestoßene später glaubt, er sei selbst auf die Idee gekommen.
Derart linkshändige Macht inspiriere zum Nachdenken und schaffe Veränderung von innen. Dabei sei es durchaus erlaubt und erforderlich, subjektive Sichtweisen mit einzubringen, etwa die Sorge, dass der Klimawandel die Menschheit gefährde. Nötig sei die Kraft, unangenehme Überraschungen des Lebens zu absorbieren sowie wichtige Taten zusammen mit anderen Menschen zu tun – so wie es Mahatma Gandhi und Martin Luther King getan hätten. Engagement schaffe kommunikativen Wert, da es den Informationsfluss und das Verständnis zwischen Unternehmen und Investoren verbessere. Investoren sollten folglich ihre Erwartungen an den jeweiligen Vorstand schriftlich darlegen, Treffen einfordern und strategisch mit ihm reden, möglichst gemeinsam mit anderen. Durch die bloße Handlung, einen Brief zu schreiben, ein Treffen anzufragen und durch das Treffen selbst, schüfen Investoren Störungen und leiteten einen Veränderungsprozess ein, selbst wenn der Jahre dauere.
SB: Dem stimme ich zwar zu und halte aktives Aktionärstum für einen sehr wichtigen Hebel, um verantwortlicheres und nachhaltigeres Wirtschaften voran zu bringen. Jedoch mache ich ein großes Fragezeichen, denn Unternehmensdialoge sind schwarze Boxen.
Investoren sollten darum darlegen, welche ESG-Themen sie mit welchen Unternehmen besprechen, und insbesondere, was nach 2-3 Jahren tatsächlich aus ihren Forderungen wird. Investoren müssen belegen, welchen echten Einfluss und welche Wirkung sie haben. Sonst wird Engagement zum Greenwashing.
Nachhaltiges Investment reicht nicht
Auch das folgende Panel zur Wirkung nachhaltiger Geldanlagen konstatierte, allerdings aus einem anderen Blickwinkel:
4. Ganz wirkungslos sind nachhaltig ausgerichtete Kapitalanlagen nicht. Jenseits der Börse kann grünes und soziales Geld viel bewirken. Aber um eine neue Finanzkrise zu verhindern, reicht nachhaltiges Investment nicht. Die SDGs setzten Impulse, um bei Investments viel stärker auf positive Gestaltung zu achten.
Der nachhaltige Anlagemarkt ist, so die Referenten, nur ein winziger Teil des Kapitalmarkts. Und börsennotierte Fonds und Aktien haben – von Börsengängen und Kapitalerhöhungen abgesehen – keinen Finanzierungseffekt. Außerdem gebe es viele hellgrüne Produkte, bei denen man sich nicht wundern dürfe, dass eine Wirkung ausbleibe.
Jenseits der Börse aber gibt es beachtliche Wirkungen. So stieg der Anteil Erneuerbarer Energieträger durch anfänglich nur von privaten Investoren finanzierte Wind- und Solarparks am Stromaufkommen innerhalb von 25 Jahren von 0% auf mehr als 35%. Dort ist laut Max Deml (ÖkoInvest, Wien) ein Vielfaches des Geldes investiert, was in nachhaltigen Fonds steckt. Ein enormer, völlig unerwarteter Wandel, von dem noch vor wenigen Jahren gesagt wurde, er sei nicht möglich.
Auch finanzielle Inklusion und Mikrofinanzierungen zeigten laut Edda Schröder (Invest Invisions, Frankfurt), dass Wirtschaft, Finanzen und Ethik zusammen passten. Denn sie ermöglichten Menschen ohne Zugang zu Banken, sich selbst zu helfen. Bei Krediten für konkrete, ökologisch sinnvolle Projekte merke man, so sagte Jürgen Koppmann (Umweltbank Nürnberg), dass man als Bank wirklich einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten könne.
Allerdings brauche es, so zeigte die Diskussion, innovative Lösungen, um genügend bezahlbare Investitionsobjekte zu finden, die auch Rendite abwerfen. Denn eine Geldanlage ohne Rendite sei kein Investment und damit auch nicht nachhaltig. Das Renditepotenzial grünen Geldes sei hoch.
Jedoch: Um eine neue Finanzkrise zu verhindern, reiche nachhaltiges Investment nicht, betonte Thomas Goldfuß (GLS-Bank, Bochum). Das Gebaren der Finanzindustrie habe sich nicht wesentlich geändert, und ohne eine Regulierung hätten die Erneuerbaren Energien nicht solche Fahrt aufgenommen. Internalisierung externer Kosten und die Beachtung der wahren ökologischen Kosten würden viel mehr bewirken als Aktionärsengagement. Im Sozialen Bereich seien andere Instrumente nötig. Immerhin spiele Nachhaltigkeit inzwischen in die Finanzanalyse als Risikofaktor hinein, weil mehrere Skandale gezeigt hätten, dass die Börse Fehlverhalten unmittelbar abstrafe. Der Mainstream verstehe nach und nach, dass es unklug sei, Nachhaltigkeitskriterien außen vor zu lassen. Es gehe langsam voran, aber es gehe voran.
In den SDGs sahen die Referenten eine echte Chance für eine Transformation, um über Kapitalmarktinvestitionen steuernd Einfluss zu nehmen. Die enge Frist sei gut, um Willen und Kraft zu stärken. International entstünden immer mehr Arbeitsgruppen, die sich mit der konkreten Umsetzung befassten. Die SDGs setzten Impulse, um bei Investments viel stärker auf positive Gestaltung zu achten. Die Umweltbank werde, so kündigte Koppmann an, die SDGs als Satzungsziele aufnehmen.
Die Diskussion zu den kritischen Fragen von Alexander El Alaoui (Salm-Salm & Partner GmbH) bot zudem einigen Stoff für Analysten, Rating-Gestalter und Wissenschaftler:
- – Wie geht man mit Zielkonflikten um und Kriterien, die sich widersprechen?
- – Wie wägt man ab, welche Investments und Kriterien im Sinne der SDGs höher zu gewichten sind als andere? (Stichwort: Ist das Windrad im Wald besser als eine Biokraftstoffinvestment oder ein Mikrokredit?)
- – Wie misst man die langfristige Wirkung von Investments vor Ort?
- – Wie sind messbare ökosoziale Kriterien für Kredite zu schaffen?
- – Wie kann man Investoren klar machen, dass arme Menschen ihre Grundbedürfnisse decken müssen, und Investments in benachteiligten Regionen darum ein anderes Maß an ‚Materialität‘ anlegen müssen?
Dies gipfelte in einer unbeantworteten Frage aus dem Publikum:
„Die große Herausforderung ist: Wie organisieren wir die Entwertung nicht-nachhaltiger Investments? Und: Kann der Markt nachhaltiger Kapitalanlagen so schnell wachsen, dass diese Transformation dann noch steuerbar bleibt?“
SB: Finanzakteure reagieren bereits auf globale Herausforderungen. Sie wären längst nicht so weit ohne die, die seit Jahren und Jahrzehnten für die Sondierung und Etablierung passender Kriterien, Bewertungen und Konzepte für Nachhaltigkeit arbeiten. Aber man sollte sich nicht darauf verlassen, dass sich der Mainstream den Menschheitsherausforderungen wirklich systematisch und zugleich effektiv annimmt. Ohne andere Regulierungen, die das Leitbild respektive die Wertvorstellung der Nachhaltigkeit reflektieren, wird das wohl nicht geschehen.
Der Blick auf Indien
Konferenzen hierzulande und in Europa betrachten die Geschehnisse meist nur unter dem Blickwinkel unserer abendländischen Kultur. Darum war es besonders spannend, einen Blick auf Indien gelenkt zu bekommen. Die FG EÖR ging vor zehn Jahren der Frage nach, ob und inwieweit der Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden auf andere Länder übertragbar wäre und ob in Indien eine Nachhaltigkeits-Ratingagentur gegründet werden könne. Mit beidem kamen die Forscher nicht weit, wie es Felix Wilfred aus Madras eindrücklich schilderte. Gleichwohl hatten sie zentrale Erkenntnisse:
5. Ratings sind ein wichtiges Instrument, aber sie sind nur ein Zwischenschritt. Das Entscheidende ist, die Entwicklung zu ändern. Dafür braucht es Akteure: Bewegungen in der Zivilgesellschaft. Es ist besorgniserregend, dass Indien und andere Länder zivilgesellschaftliche Organisationen unter Druck setzen, denn diese könnten eine Transformation erwirken.
Zusätzliches Problem sei, dass meisten Menschen nicht der normativen Ethik folgten, sondern einer narrativen Ethik. Selbst gute Gesetze, wie sie durchaus in Indien existieren, helfen nicht, wenn sie nicht befolgt und Verstöße nicht sanktioniert würden. Weil das Denken und Handeln und die sozialen Maßstäbe völlig andere seien, sei dort nicht an eine Nachhaltigkeits-Ratingagentur zu denken gewesen.
Folglich muss man sich klar machen: Die Kriteriologie des Hohenheimer Leitfadens ist ein Produkt des Abendlandes. Will man zu anderen Ländern arbeiten, muss man sie an die dortigen soziokulturellen Gegebenheiten anpassen.
Lösungsansatz Oekom Research: Menschen für die Methodik begeistern
Unklar blieb, welche Möglichkeiten es geben könnte, aus dieser Krux heraus zu kommen. Einen Ansatz aus der praktischen Arbeit von Oekom Research nannte Robert Haßler: Man könne Menschen für die Methodik begeistern, indem man die Kriterien offen lege und erläutere, dass Investoren sich dafür interessieren, weil sie weltweit investierten. Man müsse mit Unternehmen aus aller Welt über universelle Kriterien (CO2, Menschenrechte) diskutieren, bei denen die Überzeugungsarbeit vergleichsweise leicht sei, aber auch über kulturell aus dem deutschsprachigen Raum geprägt Fragen. Es helfe, zu erläutern, dass sich weltweit anlegende Investoren an Indizes orientieren.
Felix Wilfred gab den Teilnehmenden die Frage mit:
Wie können wir die Ratings transformieren zu einer Bewegung der Zivilgesellschaft?
Am Abend nahm das Finanzkabarett von Georg Bauernfeind und Max Deml sowohl die konventionelle Wirtschaft als auch die nachhaltige Finanzwelt aufs Korn. Das war lustig und inspirierend, denn es regte ebenfalls an, sich in andere Menschen zu versetzen und Sichtweisen zu ändern.
Der zweite Tag begann mit einer Videobotschaft von Harald Bolsinger aus dem Forschungsnetzwerk der Investorenvereinigung CRIC. Er regte an, aus der FG EÖR heraus ein Netzwerk zu bilden, in dem sich Experten austauschen, woraus sich Forschungsprojekte an verschiedenen Lehrstühlen generieren, um das große Werk der FG auf breiterer Basis fortzuführen. Er lud dazu ein, das auf der Plattform des Investorennetzwerks CRIC zu tun.
Anschließend gab Robert Haßler Einblicke in die Entwicklung des nachhaltigen Finanzmarktes, in die Motive der Investoren, ihr Interesse an den Sustainable Development Goals (SDGs) und daran, ob ihre Portfolios 2°-kompatibel ist. Er erläutere, was das Mainstreaming bewirkt und welche Konsequenzen das für Ratingagenturen für Nachhaltigkeit hat:
6. Ratingagenturen für Nachhaltigkeit müssen sich heutzutage in einem neuen Verdrängungswettbewerb gegenüber Mainstream-Akteuren behaupten. Dazu sind fundierte Analysen erforderlich sowie eine Anpassung der Kriterienkataloge an die UN-Nachhaltigkeitsziele SDGs.
Hauptsächlich durch Debatten auf EU-Eben, neue regulatorische Richtlinien und Branchenstandards gewännen Umwelt- Sozial- und Governance-Aspekte langsam mehr Bedeutung in der Kapitalanlage. Der Stellenwert von Nachhaltigkeit sei sowohl auf Unternehmens- als auch auf Investorenseite im Vergleich zu früher beachtlich, meinte Haßler und widersprach damit Äußerungen des Panels vom Vortag. Er berichtet aus der Erfahrung einer Ratingagentur, deren inzwischen 160 Kunden addiert 1,5 Billionen Euro nachhaltig anlegten.
Das Querschnittsthema komme auf einer höheren Ebene an, sagte er unter Verweis auf zahlreiche und teils unübersichtliche Initiativen. Wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung des nachhaltigen Investments kämen jedoch nicht aus dem deutschsprachigen Raum – und nicht von Research-Agenturen für Nachhaltigkeit. So sei in der von der EU-Kommission ernannten Expertengruppe für ein Nachhaltiges Finanzsystem (HLEG) kein Vertreter einer Nachhaltigkeits-Ratingagentur. Diese Gruppe gebe der Politik Empfehlungen. Das könne dazu führen, dass künftig eventuell konventionelle Finanzratingagenturen auch Nachhaltigkeit integrieren müssten.
Anders als Henry Schäfer war Haßler überzeugt, dass nachhaltigkeitsorientierte Investoren und Ratingagenturen – neben der Regulatorik in Europa – wesentliche Treiber für mehr CSR bei den Unternehmen seien. Das belege eine kürzlich veröffentlichte Umfrage von Oekom Research unter 6.000 Unternehmen. In Unternehmen seien Veränderungen spürbar, selbst wenn sie sich nicht stets in der Gesamtrealität widerspiegelten und noch nicht vom Finanzmarkt wahrgenommen würden. Aber ein Anteil von 16 Prozent an Unternehmen mit Prime-Status sei eine wesentlich bessere Lage als vor 10-20 Jahren. Oekom Research zeichne ökosozial leistungsstarke Unternehmen als prime aus, aber bewusst nicht als nachhaltige Unternehmen: „Davon sind wir noch weit entfernt.“
Der Markt nachhaltiger und verantwortlicher Investments verändere sich vom Pionier-Markt zum Mainstream-Markt, da Nachhaltigkeitsdaten vermehrt von konventionellen Institutionellen eingebunden würden. Investoren wollten Risiken, besonders Reputationsrisiken vermeiden, dies sei und bleibe eines der Hauptmotive. Dafür fungierten über alle Märkte hinweg Ausschlusskriterien als bedeutendste Strategie.
SB: Von deren mangelnder Wirkung, wie Henry Schäfer nachwies, haben die Investoren sichtlich keine Ahnung oder scheren sich nicht darum, weil ihnen Nachhaltigkeit als Wert an sich nichts wert ist.
Haßler räumte ein, dass der Impuls des Kapitalmarkts viel größer wäre, wenn hinter den von der Global Sustainable Investment Alliance ermittelten weltweiten 23 Billionen US$ nicht vorwiegend Ausschlüsse steckten, sondern Strategien, die einen wirklichen Impact haben. Gleichwohl: Aus der Nische sei eine große Bewegung geworden mit Initiativen und Impulsgebern auf unterschiedlichen politischen und finanzwirtschaftlichen Ebenen, die den Markt vorantrieben.
Das sogenannte Mainstreaming treffe auch die Ratingagenturen für Nachhaltigkeit. Nicht nur müssten für Großabnehmer teure Datenübertragungssysteme entwickeln. Sondern neue große ESG-Datenlieferanten aus dem Mainstream verursachten schon jetzt einen Verdrängungswettbewerb. Völlig unklar sei, wie die Landschaft in 2-5 Jahren aussehen werde. Hier gelte es, sich zu wappnen.
Entgegen den Forderungen Hoffmanns, Ratings müssten auch die ökonomische Seite analysieren, hob Hassler die ureigene Aufgabe der ESG-Ratingagenturen hervor: Nachhaltigkeit zu messen. Immer mehr Anleger erwarteten, dass diese Urteile möglichst fundiert seien und den Anspruch erfüllten, die tatsächliche Differenz zwischen Soll und Ist bei der unternehmerischen Nachhaltigkeit auszudrücken. Denn das Mainstreaming berge die immense Gefahr, dass vieles rasch und wenig fundiert als nachhaltig plakatiert werde.
SB: Diese Gefahr sehe ich auch. Dem müssten Nachhaltigkeits-Ratingagenturen entgegen treten. Wesentlicher Anknüpfungspunkt, der Verwässerung des Nachhaltigkeitsbegriffs entgegen zu wirken, sind die Sustainable Development Goals (SDGs). Sie sind für Investoren greifbarer als der Begriff Nachhaltigkeit, wie Großanleger unterschiedlicher Bereiche der Autorin bestätigten.
Die SDGs haben laut Haßler ebenso wie die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens Investoren ermutigt, ihren ökologischen und sozialen Fußabdruck besser zu verstehen und zu managen Die SDGs führen bei Investoren zu mehr Nachfrage: Sie wollen mehr erfahren über die tatsächlichen Auswirkungen eines Investments auf zum Beispiel die Umwelt, CO2-Emissionen, Wasserverfügbarkeit und anderes.
Diese neue Nachfrage habe bei Oekom Research dazu geführt, dass die Agentur manche Indikatoren neu aufbereite. Sie habe in Anlehnung an die SDGs insgesamt 15 Ziele definiert und manche SDGs gebündelt, zum Beispiel unter dem Schlagwort „Grundversorgung sicherstellen“. Zudem sei eine explizite SDG-Produktbewertung eingeführt worden. Anlageportfolios könnten entsprechend ihrer Leistungen für die SDGs bzw. ihren schädlichen Auswirkungen auch monetär bewertet und mit einer Benchmark verglichen werden (Sustainability Solutions Score): Es sei messbar, wie viel Euro auf welche SDGs eingezahlt würden bzw. sich nachteilig auswirkten.
Die anschließende Fragerunde zeigte weitere Pole: Die einen sagten, angesichts gleich gebliebener Probleme auf der Welt müsse an den Ratings etwas geändert werden: Es müssten Kriterien mit monetären Aspekten verknüpft werden, um mehr Wirkung zu entfalten. Die anderen sagten: Wir brauchen nicht noch weitere Kriterien, sondern Wege, damit die Ratings mehr genutzt werden.
SB: Angesichts der SDGs sehe ich für Ratingagenturen eine ganz große Aufgabe: Unternehmen und Anbieter nachhaltiger Anlageprodukte neigen dazu, sich einzelne Ziele heraussuchen, zu denen in etwa das passt, was sie ohnehin im Rahmen ihrer Corporate Social Responsibility tun. Mit Rosinenpicken machen es sich die Akteure aber zu einfach.
Denn selbst wenn Unternehmen mit einem Teil ihres Geschäfts Positives für ein paar SDGs bewirken, verstoßen sie womöglich mit anderen Aktivitäten gegen andere SDGs, sei es durch einen hohen ökologischen Fußabdruck, sei es weil die Arbeitsbedingungen in unübersichtlichen Lieferketten von politischen Defiziten in Entwicklungsländern profitieren. Diversifizierung kann sich folglich angesichts der SDGs als kontraproduktiv erweisen.
Aufgabe von Ratingagenturen muss es sein, SDG-Washing zu enttarnen – und zwar sowohl bei Unternehmen und Staaten als auch bei Anlageprodukten. Letzteres könnte ein neues Feld sein. Beim SDG-Check langfristig auch die Externalisierung von Kosten einfließen zu lassen, hielte ich für eine wesentliche und nutzbringende Weiterentwicklung.
Der zweite Tag sollte eigentlich mit einem Rundumschlag beginnen. Henry Schäfer (Universität Stuttgart) wollte einmal alle Akteure sehr kritisch beleuchten, war aber verhindert.
SB: Leider haben wir seine Ausführungen nicht erlebt – denn ein Erlebnis wäre das gewesen. Man muss seine Ansichten nicht komplett teilen, aber es ist sinnvoll, nach 25 Jahren Ethisch-ökologischem Rating alles zu hinterfragen. Die Kritik und die ernüchternden Feststellungen sollten einen jedoch nicht zur Untätigkeit verdammen, sondern sollten Ansporn sein. Wesentliche Aspekte, die er einbringen wollte, erwähnte Georg Lämmlin. Ich ergänze und kommentiere sie, weil es um die Einschätzung von wichtigen Hebeln für nachhaltige Geldanlagen und Ratings geht.
7. Wichtige institutionelle Investoren fehlen nach wie vor als Nachhaltigkeitstreiber. Die Steuerung guten Unternehmensverhaltens durch Finanzmärkte ist ein Anspruch, von dem unklar ist, ob er wirklich funktioniert. Und ob er sinnvoll ist. Dem steht die These entgegen, es komme auf die Realwirtschaft an.
Ist es überhaupt sinnvoll, wie Henry Schäfer provozierend fragte, den Investoren und Finanzmärkten eine Nachhaltigkeitswirkung zuzutrauen, also „den Teufel vor den Pflug zu spannen“? Schäfers Aussagen zu den Wirkkräften waren ernüchternd: Stiftungen, öffentliche Hand, gemeinnützige Organisationen – Fehlanzeige. Privathaushalte seien nur eingeschränkt geeignet für die Steuerung von nachhaltigem Unternehmensverhalten durch Geldanlage. Banken und Sparkassen eignen sich ebenfalls nicht für eine Investitionslenkung – aufgrund ihres schwachen Anteils an externen Finanzierungen bei Nicht-Kapitalgesellschaften, ihres Auftrags, aufgrund von Zielkonflikten und der ökonomischen Regulierungslage. Altersvorsorgeeinrichtungen seien eine ‚grüne‘ Enttäuschung, es überwiege Trägheit. Schäfer folgerte: „Wenn der Staat Nachhaltigkeit will, dann soll er regulieren“.
Gegensätzlich erschienen diese Aussagen: Einerseits gebe es kein Anlageangebot wegen fehlender Nachfrage nach ESG-Finanzierungen, andererseits werde Risikokapital gebraucht. Zudem konstatierte er: Nachhaltige Unternehmen brauchten nicht unbedingt den Kapitalmarkt.
Finanzmärkte scheinen ihm eher ein stumpfes Schwert für Nachhaltigkeit. Das hat mehrere Gründe und Facetten hinsichtlich aller Akteure. Zur Wirkung nachhaltiger Geldanlage fehle meist jegliche Information und insbesondere fehlten Zielvorgaben für Wirkung und daran gekoppelte finanzielle Folgen. Zwar sei Engagement u. U. eine vielversprechender Ansatz, aber mit einem hohen Aufwand und es drehe sich meist um Governance-Themen – Umwelt und Soziales fielen „unter ferner liefen“. Damit widersprach Schäfer klar den Aussagen von Jahn-Madell.
Auf Unternehmensebene seien Ursache und Wirkung zu wenig geklärt. Firmen betrieben CSR aus Eigeninteresse oder Reputationspflege, doch CSR habe selten positive Umwelt- und Sozialwirkungen. Wissenschaftliche Studien zum Zusammenhang mit finanziellen Leistungen seien wegen einer positiven Grundhaltung der Forscher mit Vorsicht zu genießen.
SB: Hier schießt Schäfer über das Ziel hinaus. Schließlich hat 2015 die weltgrößte Metastudie über 2250 Studien eindeutig geklärt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen unternehmerischen Nachhaltigkeitsleistungen und finanziellen Leistungen besteht. All diesen Forschern mangelnde Distanz zu unterstellen, ist überzogen.
Kritisch beurteilte Schäfer die Datenflut zur Nachhaltigkeit, die Art der Berichterstattung und die Auswertung. Schlechte Nachhaltigkeitsleistungen würden mit qualitativen Daten übertüncht, gute Leistung mit harten Fakten belegt. (SB: Das kann ich nur bestätigen.) Bei Ratings bestehen laut Schäfer vielfach Schein-Unterschiede. Ratingverfahren seien besser zu vereinheitlichen. Ein wesentliches Manko formulierte er so: Bis dato werde überwiegend geschaut, was Unternehmen Gutes tun (Input), doch nicht, was ihr Output, Outcome respektive Impact (Wirkung) sei.
Schäfers Fazit lautete: Es sei der Realsektor und nicht der Finanzsektor, der die Weichen für eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft stellen müsse (andernfalls würde erneut „der Schwanz mit dem Hund wackeln“, was seit der Finanz- und Bankenkrise nicht mehr vorkommen sollte). Die stärksten Einflüsse SDGs dürften von Unternehmen des nicht-finanziellen Sektors ausgehen (z.B. Diesel-Skandal, Industrie 4.0), öffentlichen Händen (z.B. mangelnde Infrastrukturinvestitionen, Smart Cities) und Privathaushalten (z.B. durch verändertes Konsumverhalten).
SB: Diese Ansicht teile ich nicht: Selbstverständlich soll nicht der Schwanz mit dem Hund wackeln oder Bock zum Gärtner werden. Aber: Kapitaleigner und Treuhänder haben ebenfalls eine große Verantwortung, wie unsere Gesellschaften und Ökonomien künftig gestaltet sind.
Allein der Realwirtschaft die Kraft des Wandels zuzuschreiben, kann sie erstens überfordern und entließe zweitens die Eigentümer des Geldes, die Finanziers der Wirtschaft aus ihrer Verantwortung. Das geht gar nicht! Nur weil etwas bisher nicht hinreichend funktioniert hat, heißt das nicht, dass es nie funktioniert. Selbst Visionen sind realisierbar, wie die Stadt Venlo zeigt, ein Beispiel, das Johannes Hoffmann stellvertretend für Michel Weijers vorstellte. Daraus ist zu lernen:
8. Mehr denn je sind bei Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Finanzwelt eine ganzheitliche Sicht und ein ganzheitliches Vorgehen erforderlich sowie die Einbindung der Bevölkerung. Dass dies geht und finanziell attraktiv ist, illustriert die niederländische Stadt Venlo mit ihrem Cradle-to-Cradle-Konzept.
Venlo plant nicht anhand einzelner, selektiver Entwicklungsideen zum Beispiel für Verkehr oder Wohnungsbau, sondern geht die Stadtentwicklung zugleich aus ökonomischer, ökologischer, sozialer sowie kultureller Perspektive an und beteiligt die Bevölkerung. Die Bürger können sich aktiv einbringen und tun das auch, um in allen Dimensionen einen Mehrwert zu schaffen. Beispielsweise durch die Begrünung öffentlicher Gebäude, damit sie Luft und Wasser reinigen; alternative Energiegewinnung in großem Maßstab, Regenwassernutzung in einem Gewerbegebiet zugunsten der Artenvielfalt und anderes mehr. Bemerkenswerter Weise sind sich alle politischen Parteien darüber einig. Sie wollen den Mehrwert gemeinsam schaffen. Dieses Vorgehen nach dem sogenannten Cradle-to-Cradle-Prinzip von Michael Braungart ist modellhaft. Es bedeutet abfallfrei wirtschaften. Jeder Rohstoff verbleibt in natürlichen oder industriellen Kreisläufen.
Braungart und seine „Jünger“ vermeiden den Begriff „Nachhaltigkeit“, denn, so argumentieren sie, er bedeute, Dinge lediglich weniger schlecht zu machen. C2C hingegen wolle Leben und Wirtschaften grundsätzlich gut machen.
SB: Über diese Dämonisierung von Nachhaltigkeit habe ich schon mehrfach mit Braungart debattiert. Ich meine: Laut Brundlandt-Definition soll Nachhaltigkeit genau das erreichen: Leben und Wirtschaften gut tun.
Dennoch sollten Nachhaltigkeitsexperten und Entscheider die Kritik am Nachhaltigkeitsbegriff und den Cradle-to-Cradle-Ansatz als Herausforderung begreifen. Das gilt sowohl für die FG EÖR als auch für Rating- und Research-Agenturen, für Investoren ebenso wie für Anbieter nachhaltiger Kapitalanlagen und nicht zuletzt für die Politik.
Wirtschaftlich lohnt sich C2C. Venlo rechnet vor: Den Investitionen über 40 Jahre in Höhe von 5,1 Milliarden Euro stehen Einsparungen von 27,3 Millionen Euro gegenüber. Insgesamt ergibt sich eine Investitionsrendite von 12,5 Prozent – wenn das nichts ist! Zudem erkranken Menschen weniger und die Produktivität steigt. Aus einer sterbenden wurde durch dieses Konzept eine stark wachsende Stadt. Das internationale Handelsrecht (Handelsverträge) begrenzt zwar Möglichkeiten der Städte und Kommunen, aber man kann sinnvolle Dinge auch einfach tun und dafür Akzeptanz erhalten, wie die Venloer vormachten: Was sie taten, hat genau genommen dem EU-Recht zwar nicht ganz entsprochen, aber jetzt gilt die Stadt bei der EU als Musterschüler.
SB: Hiesige Städte sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Sich nicht in deutscher Bedenkenträgerei verlieren, sondern mutig sein, sich die Lebenszykluskosten ansehen, Handlungsspielräume nutzen und pragmatisch in die Zukunft gehen. Da ist von Niederländern einiges zu lernen, wie ich in den Jahren als Benelux-Korrespondentin erfahren durfte. Und von den britischen Transition Towns.
Da solche umfassenden Projekte Startkapital benötigt, wäre es sinnvoll, wenn sich Investmentgesellschaften und Risikokapitalgeber hierfür engagieren würden. Venlo hat das aus eigenen Mitteln gestemmt. Aber will man künftig eine nachhaltige und kulturverträgliche Stadtentwicklung im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele erreichen, ist sehr viel Geld vonnöten. Dazu braucht es private Investoren.
Im anschließenden Panel wurden systemische Perspektiven angerissen. Angerissen, weil Wesentliches nicht diskutiert oder aus Zeitgründen nicht vertieft wurde. Es entstand der Eindruck:
9. Unter systemischer Perspektive sind das Geldsystem, die Preisgestaltung und das Wettbewerbsrecht zu betrachten und möglichst anzupassen. Zudem sind schon in Schulen die Gefühle einzubeziehen und ein Gefühl für die Bedeutung von Nachhaltigkeit zu vermitteln. Differenzen betreffen die Funktion von Nachhaltigkeits-Ratingagenturen und eine über öko-soziale Bewertungen hinausgehende Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitsratings durch die Bewertung externalisierter Kosten.
Zwar ist für Hoffmann das Oekom-Rating nach wie vor eines der besten. Aber er hält Änderungen für nötig, um einen neuen Schub am Markt in Gang zu setzen. Es reiche nicht mehr, auf Freiwilligkeit der Unternehmen zu setzen, sondern es sei ein Ratingverständnis nötig, das an der Bewertung der externalisierten Kosten ansetze und Internalisierung einfordere. Allerdings, so räumte Hoffmann ein, seien dafür die vorgeschlagenen Änderungen des Wettbewerbs- und Eigentumsrechts erforderlich.
SB: Und das ist eine Krux: Solange der Rechtsrahmen herkömmliches Wirtschaften begünstigt, solange wird nachhaltiges Wirtschaften erschwert – und das erschwert auch strengere Ratings, die sich kaum extrem weit von der Regulierungswirklichkeit bewegen können, wenn sie denn ernst genommen werden wollen.
Hoffmanns Frage, ob es gleichwohl möglich sei, Externalisierung und Internalisierung zu bewerten, wurde nicht diskutiert. Das finde ich, offen gesagt, schade.
Haßler unterstrich, neben der klassischen finanziellen Bewertung gebe es Nachhaltigkeitsratings, auf die in einer idealen Welt alle Anleger zugreifen könnten, was zu einer besseren Kapitalallokation führen müsste.
Welche Chancen bestehen für eine beschleunigte Integration von Nachhaltigkeit in den Finanzmarkt? Haßler sagte, er glaube optimistisch an die Intelligenz und Anpassungsfähigkeit des Menschen, sofern er verstehe, dass Nachhaltigkeit die Zukunft ist und nicht-nachhaltiges Wirtschaften keine Grundlage für eine lebenswerte Zukunft biete. Helfen würde eine andere Regulierung, Frankreich mache das vor mit seiner Transparenzvorschrift für Investoren und längst geltenden CSR-Berichtspflicht. Folglich schnitten französische Unternehmen recht gut ab und Investoren seien hinsichtlich nachhaltigen Investierens vergleichsweise aktiv.
Auf die Frage des Moderators Georg Lämmlin, wie Investitionen in Nachhaltigkeit attraktiver gemacht werden können, wurde aus dem Auditorium das Geldsystem angesprochen: Es sei nicht nachhaltig, weil Investitionen am Finanzmarkt immer in Konkurrenz treten zu Investitionen in reine virtuelle Finanzprodukte ohne realwirtschaftliche Grundlage infolge des Systems, bei dem Geld beliebig vermehrt wird.
SB: Dies wurde nicht diskutiert. Aber darüber würde es sich lohnen, zu diskutieren – selbst wenn nicht zu erwarten ist, dass es so rasch veränderbar ist, dass es die SDGs unterstützen könnte.
Offen blieb die als Idee in den Raum gestellte Frage, ob Geld als knappes Gut für das, was wir zum Leben brauchen, künftig eventuell gar nicht mehr das entscheidende Schmiermittel sei.
Kritisiert wurde, dass das Emissionshandelssystem nicht funktioniere und der CO2-Preis keine Lenkungswirkung habe. Gleichwohl erkennen Investoren, dass CO2 sich materiell auswirkt, das sei ein positives Zeichen, so Haßler. Wichtig sein Hinweis, dass es auch bei einem kompletten Umstieg auf EE voraussichtlich externe Effekte geben werde, man solle sich nicht der Illusion eines Paradieses hingeben.
Zu weiteren systemischen Dreh- und Angelpunkten äußerte sich im Interview mit Gerhard Hofmann Staatssekretär a. D. Michael Müller. Er verdeutlichte:
10. Die Erkenntnissen des Anthropozäns machen klar: Bei der nötigen Transformation geht es um die Herauslösung der Ökonomie aus bisherigen Zwängen.
Einerseits sei, so Müller, die technisch-ökologischen Dynamik zur Weiterentwicklung von Demokratie zu bewahren, diese aber müsse andererseits deren Endlichkeit und Grenzen beachten. Die ökologische Debatte müsse zur Diskussion über die Zukunft der Gesellschaft werden; er erinnerte an das Jahr 1886: Damals wurde das Theaterstück Fin de Siècle in Paris aufgeführt mit der Aussage, die Menschheit befinde sich längst mit einem Bein in einer neuen Epoche, sie habe es nur nicht gemerkt. Das sei heute auch so, kritisiert Michael Müller. Die Diskussion über das Anthropozän, die Gefahr der ökologischen Selbstvernichtung und mögliche Auswege werde nicht geführt.
Verhängnisvollerweise sei es seit 1989 nach Ende des Ost-West-Konflikts nicht gelungen, Nachhaltigkeit als Gegenkonzept zur Kurzfristigkeit zu etablieren. Die Logik der Nachhaltigkeit entspreche nicht der Denkweise von Politik und Gesellschaft. Unser Handeln sei zu industriestaatlich zentriert, und Auswirkungen von Klimawandel und anderen ökologischen Katastrophen kaum auf der Nordhalbkugel und/oder nur zeitversetzt spürbar. „Ein Teil der Zukunft ist schon zementiert, aber wir reden nicht darüber.“
Zudem warnte er: Der Nährboden des Nationalismus ist das Erbe der traditionellen Orientierung auf Wachstum. Wer nicht wolle, dass Nationalisten hoch kommen, müsse eine Alternative bieten. Es müsse hinterfragt werden: Sind die Grundausrichtungen (möglichst hohes Wachstum) noch richtig? Das werde nicht gemacht. Der Enquete-Bericht des Bundestages „Wohlstand, Wachstum, Lebensqualität“ habe vor vier Jahren als Messlatte für Wachstum einen Kriterienkatalog mit Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt beschlossen, doch hierzu sei seither auf Bundesebene nichts passiert (nur in Schleswig-Holstein). „Dass das, was ein Maßstab sein sollte für unsere Gesellschaft und Politik, nicht diskutiert wird, besorgt mich.“
Konkret konstatierte und forderte Müller: Der Bundestag sei nicht fähig, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen, wenn er sich dazu nicht neu aufstelle. Nötig sei ein eigener Ausschuss mit verfassungsmäßigem Interventionsrecht, sofern eine Verordnung oder ein Gesetz nicht nachhaltig sei. Dies sei erforderlich, da das Staatssekretärskabinett und der Rat für Nachhaltige Entwicklung keine Rolle spielten.
Aufgabe der Politik wäre, das europäische Modell der Moderne (Demokratie, Freiheit, Sozialstaat) so zu verändern, dass es ökologische Gerechtigkeit einbeziehe und dann über die Welt skalierbar sei. Sonst besteht die Gefahr der Unregierbarkeit.
Müller sagte: „Politik heißt, Zusammenhänge verstehen, längerfristige Entwicklungen deuten und Perspektiven aufzeigen – all das passierte momentan nicht, Politik finde nicht statt.“ Diesen Eindruck bestätigte Hofmann mit dem Hinweis, das Echo auf die Vorschläge der FG zu Gesetzesänderungen beim Wettbewerbsrecht sei in Presse und Politik minimal gewesen.
Ansatzmöglichkeiten wären, so Müller, ein Investitionsprogramm zur Sanierung der Ökosysteme, differenzierte Kapitalertragssteuersätze für hinsichtlich Nachhaltigkeit geratete Investments sowie die Differenzierung der Mehrwertsteuer je nach Nachhaltigkeitsqualität von Produkten.
Es gehe nicht darum, Entwicklung zu beschneiden, aber was nicht funktioniere, sei die Abhängigkeit von Politik und Gesellschaft von Wachstum. Wenn sich Politik abhängig mache von Wachstumsraten, sei sie nicht mehr fähig, zu gestalten. Aber man brauche die Gestaltbarkeit von Gesellschaft – ohne diese existiere keine Demokratie.
Mit dem, was Staat und Politik leisten könnten oder müssten, befasste sich auch Nana Karlstetter. Zusammenfassend ist mitzunehmen:
11- Erfolgreiche Geschäftsmodelle zeigen, dass sie sich real auf sozial-ökologische Grenzen beziehen können. Aber das reicht nicht für die Transformation. Wirtschaften zulasten der Gemeingüter müsste verboten und strafbar gemacht werden.
Anhand des Vergleichs von Fairphone mit herkömmlichen Smartphones zeigt sich, wie unterschiedlich die Kriterien von Ratings sind und die Schwierigkeit zu vergleichbaren Bewertungen zu kommen, wenn es keine verbindlichen, einheitlichen Schwellenwerte dafür gibt.
Fairphone beweise, dass es trotz widriger Umstände möglich ist, im Rahmen sozio-ökologischer Grenzen zu wirtschaften. Dafür brauche es eine nachhaltige Grundeinstellung und ökosoziale Priorisierung. Das Drei-Säulen-Modell sei nicht mehr haltbar.
Um das zu forcieren, seien relevante und sichtbare Ratings nötig, die das bewerteten. Gäbe es Regulierung für Nachhaltigkeit und würden sich Ratings viel stärker an Externalisierung orientieren, könnte die Märkte (nachhaltige Geldanlage, Öko-Landwirtschaft, faire Textilien u.a.) besser aus der Nische herauskommen.
Nachhaltige Rahmenbedingungen zu setzen, sei besser als Nachhaltigkeit unter nicht nachhaltiger Gesetzgebung zu subventionieren. Es sei rechtlich machbar und mit geltendem Recht vereinbar, den sogenannten „unsafe“ Operating Space durch gesetzliche Verbote zu definieren. Die Menschheit sollte hier ihre Kreativität investieren, so wie das in anderen Bereichen, etwa der Digitalisierung, auch geschehe.
Eigentum verpflichte schon jetzt, doch das sei zu konkretisieren durch veränderte Rechte und Pflichten zum Schutz der Gemeingüter. Das Eigentumsrecht müsste ermöglichen, Verstöße gegen den Schutz der Gemeingüter strafrechtlich zu verfolgen, vor allem dort, wo seit langem (und z.T. trotz geltender Gesetze) keine/kaum Strafverfolgung stattfindet.
Erforderlich für Sustainable Engineering sei ein ökonomischer Wettbewerb, um sogenannte transformativ funktionale Schnittstellen Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln und zu bewirtschaften. Karlstetter beleuchtete neue Rahmenbedingungen für einen sogenannten „Safe Operating Space“.
Aus dem Auditorium kam die Entgegnung, das Fairphone sei kein Geschäftsmodell, da es relativ teuer sei, eine geringere Qualität habe und nicht für den Massenmarkt geeignet sei. Es gebe neben dem ethischen Aspekt keine zusätzlichen gesundheitlichen oder anderen Vorteile. Karlstetter erwiderte: Es existiere ein Geschäftsmodell, das Fairphone verkaufe sich und habe treue Kunden. Würden die Externalitäten internalisiert, wären die Geräte Apple & Co teuer. Gleiches gelte für andere Branchen.
In der Abschlussdiskussion wurde angesichts der während der Tagung deutlich gewordenen Errungenschaften des ethisch-ökologischen Nachhaltigkeitsratings der vergangenen 25 Jahren diskutiert, wie es mit ihm weitergehen könnte und was dazu erforderlich sei.
Aus der Diskussion Punkt 12 zusammenfassend:
12. Die Bedeutung des Ethisch-Ökologischen Ratings sollte nicht nur gestärkt werden durch verschiedene Anreize und Regulierungen, sondern Ratingagenturen sollten selbst dazu beitragen. Ihre Möglichkeiten und die gestellten Forderungen sind allerdings umstritten:
a. Sie sollten auf ein strengeres Nachhaltigkeitsverständnis inklusive Kulturverträglichkeit zwecks Vermeidung jeglicher Externalisierung abzielen.
b. Sie sollten ihre Ratings ausweiten auf die Ökonomie, auf mehr Materialität und mehr Verdichtung, um den Mainstream des Finanzmarktes zu erreichen.
c. Die Agenturen sollten mehr Informationen öffentlich machen, um öffentliches Bewusstsein zu schaffen und die Zivilgesellschaft zur Meinungs- und Urteilsbildung zu ermächtigen.
d. Dagegen mahnten andere Teilnehmende, Ratingagenturen nicht zu überfordern.
Die laut Moderatorin Silke Stremlau nach wie vor eklatanten ökologischen und sozialen Probleme haben laut Teilnehmenden nichts mit der Güte der Nachhaltigkeitsratings zu tun. Sie seien akkurat erarbeitet und begründet.
Aber man müsse erkennen, dass Schwachstellen existieren. Daraus ergäben sich zahlreiche unterschätzte Potenziale, die die Wirksamkeit und Verbreitung von Nachhaltigkeitsratings deutlich verstärken könnten. Als größte Schwachstellen wurden genannt:
- Paschen von Flotow: Selbstüberschätzung in der öffentlichen Kommunikation. Es sei klar zu stellen, wo die Grenzen für die Agenturen als Dienstleister der Investoren seien. Man könne keine positive gesellschaftliche Resonanz erwarten, wenn man nur Ratingnoten verkaufe.
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Hans-Albert Schneider: Die einst eingeplante Kulturverträglichkeit sei ganz untergegangen. Es fehle die Bewertung des Mittelstandes, dem mit Abstand größten Teil der Wirtschaft.
- Gotlind Ulshöfer: Nachhaltigkeitsratings werden noch nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Investoren, die mit ihnen arbeiten, machten dies auch nicht bekannt.
- Wolfgang Fischer: Ein und dasselbe Unternehmen werde von verschiedenen Ratingagenturen ganz unterschiedlich bewertet, es gebe noch immer keine allgemein gültige Nachhaltigkeitsbewertung, Inhalte verschiedener Ratings seien mitunter nicht vergleichbar und nicht miteinander kompatibel.
- Bernd Wagner: Ratings für Nachhaltigkeit zeigen nicht die ökonomische Relevanz der ökologischen und sozialen Risiken, Chancen und Leistungen und sind damit für Finanzanalysten und Investoren nicht nutzbar. Folglich seien sie keine umfassenden Nachhaltigkeitsratings und für 95 % des Finanzmarktes irrelevant. Darum spielten sie auch bei der Sustainable-Finance-Diskussion keine Rolle.
- Aus dem Auditorium, mit dem intensiv diskutiert wurde, kam unter anderem diese Einschätzung: Ratings seien voller Schwächen, aber das sei das kleinere Übel. Schlimmer wäre, wenn der Staat vorschriebe, was gut oder schlecht sei. Dann gebe es nur schwarz oder weiß, während Ratings die Diskussion belebten und kanalisierten.
Den größten Handlungsbedarf und Potenziale für eine größere Breitenwirkung sahen die Panel-Teilnehmenden in folgenden Punkten:
- Von Flotow / Auditorium: Die Leistungen der Agenturen (Zusammenstellung von Information und Bewertung von Unternehmen) sind im wesentlichen eine zivilgesellschaftliche Erfolgsgeschichte. Die zukunftsgerichtete Frage lautet: Was können eigentlich die Agenturen gegenüber der Politik(Legislative) und der Exekutive leisten? Oder umgekehrt: Zu welchem Zweck und unter welchen Bedingungen sind die Ergebnisse der Arbeit der Agenturen eigentlich relevant für Legislative und Exekutive?
- Schneider / Fischer: Bewertungskriterien deutlich stärker an der Erhaltung der Gemeinressourcen orientieren, die Externalisierung bewerten und die Kulturverträglichkeit einbeziehen;
- Wagner: Die ökonomische Dimension einbeziehen und die Zusammenhänge zwischen öko-sozialen und finanziellen Aspekten aufzeigen; Ratings müssten für Investoren übersetzt werden als Risiko-Chancen-Aussagen; Ulshöfer: Eruieren, wie die Digitalisierung nutzbar gemacht werden könnte.
- Von Flotow: Eine kluge Strategie wäre, mehr Informationen zu veröffentlichen; zum ‚Empowerment‘ der Zivilgesellschaft sollten 50% der Informationen der Agenturen öffentlich zugänglich sein.
Nach diesen zahlreichen Forderungen äußerten Teilnehmende des Panels und aus dem Auditorium folgende Bedenken und Entgegnungen:
- Die Agenturen könnten Externalisierung gar nicht leisten, dafür seien die Zivilgesellschaft und die Forschung zuständig.
- Es seien Mindeststandards nötig sowie eine Instanz, die unabhängig sei von Partikularinteressen, was für Ratingagenturen nicht gelte.
- Ein skeptischer Einwurf galt auch den Verbrauchern: Es gebe ein unglaubliche Fülle an Informationen, die die Menschen überforderten und ihnen erlaubten, sich von Nachhaltigkeit zu distanzieren.
- Der bessere Ansatzpunkt für mehr Wirkung seien die Investoren. Denn Unternehmen ‚tanzten nach der Pfeife des Kapitalmarktes‘.
Bedauerlicher Weise konnten all diese Anregungen und teils einander entgegenstehenden Vorschläge nicht mit Vertretern von Ratingagenturen diskutiert werden. Während der Tagung war aus Ratingkreisen eine eher ablehnende Haltung zu noch mehr Anforderungen an ihre Arbeit respektive eine starke Erweiterung ihrer Ratingansätze zu spüren gewesen.
Deutlich aber wurde während der weiteren Diskussion die grundlegende Rolle von wissenschaftlichen Einrichtungen für eine breitere Beurteilung der Nachhaltigkeitsleistungen von Unternehmen. Die Wissenschaft solle sich diesen Forderungen stellen:
- Nachhaltigkeitsbewertungen für Kreditsachbearbeiter: Sie seien von der Informationsflut auch überfordert, betrieben aber bei Finanzbeurteilungen einen hohen Detailaufwand, dies müsse auch für Nachhaltigkeitsbeurteilungen möglich sein, hierzu könne Forschung beitragen
- Monetarisierung: Solange Gemeingüter nicht bewertet seien, würden sie gesellschaftlich nicht ernst genommen. Erst wenn sie monetär bewertet würden, werde die Externalisierung materiell erfassbar, und dann könnten Unternehmen und Investoren sie internalisieren. Dann könne man auch politischen Lobbyisten gegen Nachhaltigkeit besser entgegen treten.
- Zusammenhänge sichtbar machen: Ökonomische Bedeutung öko-sozialer Risiken, Chancen und Leistungen ermitteln und verdeutlichen. Dann gewännen sie auch für Geschäftsberichte stärkere Relevanz. Denn im Zuge der CSR-Berichtspflicht sei die Chance verpasst worden, ESG-Berichterstattung verpflichtend in den Geschäftsbericht integrieren zu müssen.
- Forschendes Miteinander: Ziel müsse sein, über die FG EÖR hinaus unter den wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich mit Nachhaltigkeit befassen, das Gegeneinander zu überwinden und ein Miteinander zu erreichen, wie es in der Forschungsgruppe bestehe.
Zum Abschluss fragte Silke Stremlau: Ist eine europäische Ratingagentur nötig, die sowohl Nachhaltigkeits- als auch Finanzanalyse gebündelt macht?
Zwei Referenten sagten ‚Ja‘, zwei Referenten sagten ‚Nein‘ und einer sagte: „Es bedarf keiner europäischen, aber es ist eine nötig.“ Angesichts der teils inkompatiblen Forderungen rief Paschen von Flotow zwecks Ausloten des Machbaren und einer eventuellen Weiterentwicklung der Konzepte zum ‚kultivierten Streit‘ auf.
SB: Für diesen kultivierten Streit um effektive Lösungen für eine größere Wirkung von Nachhaltigkeitsratings und von nachhaltiger Investments wünsche ich den Teilnehmenden der Veranstaltung und den Lesern des geplanten Buches ein gutes Händchen.
Bei aller angestrebten Strenge der Nachhaltigkeitsdefinition möchte ich dafür einen wichtigen Gedanken zur kritisierten Verwässerung der Nachhaltigkeitsidee mit auf den Weg geben:
Was nutzt es, wenn ein Bioladen zu 100% öko und fair ist, wenn aber 99% der Menschen im konventionellen Supermarkt einkaufen? Der Supermarkt selbst muss nachhaltiger werden, um die Welt umwelt- und sozialverträglich zu machen!
Falls dies nur über ein weniger strenges Nachhaltigkeitskonzept erreichbar ist, will heißen durch verantwortliches Investieren inklusive Shareholder Engagement, dann ist das kein Greenwashing, sondern auch ein guter, nötiger und nachhaltiger Weg.
Susanne Bergius ist Redakteurin des Handelsblatts; sie gibt das Magazin Handelsblatt Business Briefing Nachhaltige Investments heraus und hat das Netzwerk Weitblick gegründet (www.netzwerk-weitblick.org), ein zweijähriges Projekt, in dem angehende Journalisten im Querschnittsthema Nachhaltigkeit geschult werden.